Rehabilitation eines Kleidungsstücks

Es gab eine Zeit, als die Bademäntel von Hollywoodproduzenten noch eine entspanntere Aura hatten. Sie lag weit vor dem Herbst 2017. Und sie gehörten den Trägern in der Regel noch selbst, gehörten nicht zur Ausstattung der Hotelsuiten, in denen Harvey Weinstein sexuelle Gefälligkeiten erpresste.

Die weißen Bademäntel von Robert Evans waren legendär: Dustin Hoffman dienten sie als ein unverzichtbares Requisit der Wiedererkennbarkeit bei seiner vergnügten Imitation in „Wag the Dog“. Vielleicht waren sie im realen Leben des Produzenten zwar auch schon eine Insignie der erotischen Zuversicht, wenn nicht gar Siegesgewissheit. Immerhin trat Hugh Hefner ja auch gern in dieser Montur auf, obwohl bei ihm die Pyjamas wohl wichtiger waren. Ich vermute jedoch, dass sie für Evans eher das Symbol einer luxuriösen, eleganten häuslichen Lebensweise waren – gerade so wie die Morgenröcke, in denen man Sacha Guitry stets sah und die ihm auf der Bühne und Leinwand ebenso wie auf Privatfotos ein Flair von Zwanglosigkeit und Distinktion verliehen, mit dem er in seinem Salon oder Boudoir empfing. Guitry rückte sich damit selbstbewusst in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Gebieterisch hielt er Hof. Tout Paris kam zu ihm; selten war es umgekehrt. In diesem Habit schien er die Arbeit gleichsam im Müßiggang zu erledigen. (Nach der Befreiung von Paris wurde er darin gar verhaftet, weil er im Verdacht stand, zu wenig Distanz zu den deutschen Besatzern gehalten zu haben.) Ich bin nicht sicher, ob Evans dies Vorbild überhaupt kannte, aber er ahmte es formvollendet nach.

Erst heute früh erfuhr ich von einem Freund, dass der Produzent gestorben ist. Ich war im Urlaub, hielt weitgehend Abstinenz vom Internet und bekam deshalb kaum mit, was in der Welt geschah. In Cafés und Restaurants in Andalusien lief zwar ständig das Fernsehen, aber außer Futbol waren nur kurze Nachrichten zu sehen, wo praktisch nur von der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien die Rede war (und gestern morgen immerhin vom 60. Geburtstag von Asterix sowie einer Ausstellung über Bunuel in Mexico). Ich weiß mithin nicht, ob von Evans' Tod hier zu Lande groß Notiz genommen wurde; wahrscheinlich nicht. Das wäre vor ein paar Jahren sicher noch anders gewesen, als immerhin der erste Band seiner Memoiren übersetzt worden ist. Und obwohl ich gerade erst vor ein paar Monaten an dieser Stelle über ihn schrieb (im Eintrag „Über den Berg“ vom 31. 7.), will ich doch noch ein paar Worte über diese einzigartige Gestalt verlieren. Im Wikipedia-Eintrag findet sich viel zu seiner medialen Legende, um die ein Dokumentarfilm kreist und sogar eine Trickfilmserie. Dort wird nicht erwähnt, dass es schon in Blake Edwards' „SOB“ eine hübsche Parodie auf ihn, seine Macht und sein illustres Liebesleben gibt. Nicht jede Anekdote, die er dazu in „The Kid stays in the Picture“ erzählt, muss wahr sein. Aber ich glaube schon, dass er im Vergleich zu Weinstein ein eher romantisches Gemüt besaß. Er sah halt auch gut aus, war ein ehemaliger Leinwandschönling gewesen (wenngleich kein guter Schauspieler) und nutzte die Macht, die er als Produktionschef von Paramount und später als freier Produzent genoss, um Schauspielerinnen zu erobern. Aber ihm ging es um den Reiz der Verführung. Romantik hat ja mit Möglichkeiten zu tun, die sich eröffnen. Meine Lieblingeschichte aus „The Kid stays in the Picture“ handelt von einer Frau, die er umwirbt und die er nach ihrem Lieblingsschauspieler fragt. Das war Cary Grant, den er dann zum nächsten Rendezvous einlud. Die Grundlage seiner erotischen Strategien mag ebenso sexistisch gewesen sein, aber für ihn war klar, dass er einer Geliebten die Welt zu Füßen legen wollte. Er hatte die Möglichkeiten dazu.

Aber interessanter als der herausragende Lebemann Evans ist letztlich doch der Produzent. Auch da war er in Souverän der Möglichkeiten. In seiner besten Zeit, und die dauerte immerhin weit mehr als ein Jahrzehnt, war er ein Visionär. Bei Paramount bewies er ein Gespür für literarische Vorlagen, aus denen sich großes, oder zumindest kommerziell großes Kino schaffen ließ: „Rosemarys Baby“, „Love Stors“, „Der Pate“. In diese Reihe würde ich auch gern „True Grit“ stellen, denn die Kombination aus Charles Portis' Schelmenroman, besser: Schelminnenroman, und John Wayne war schon eine schöne Gratanderung zwischen Revision und Schwanengesang. Auch als unabhängiger Produzent setzte er auf Stoffe, die reizvoll, aber keineswegs unfehlbar waren: „Der Marathon Mann“ nach William Goldmann und „Black Sunday“ von Thomas Harris, der damals nur ein ehemaliger Journalist und noch nicht der Erfinder von Hannibal Lecter war. Sein Glanzstück war jedoch sein Vertrauen in einen Stoff, der keine literarische Herkunft aufwies: „Chinatown“. Eigentlich wollte er Robert Towne als Drehbuchautor für eine neuerliche Adaption von „Der große Gatsby“ gewinnen. Aber der machte ihm klar, dass man als Interpret von F. Scott Fitzgeralds Prosa nur verlieren könne. (Das hätte Coppola eine Lehre sein können, als er dann den Film für Redford, Mia Farrow und Jack Clayton schrieb.) Statt dessen bot er ihm diese Geschichte über einen Privatdetektiv an, der nicht schlau wird aus der Frau, die ihn beauftragt, und der im Verlauf seiner Ermittlungen herausbringt, wie die Urbanität Los Angeles' maßgeblich aus der Verwertung der Wasserrechte entsteht. Die Fortsetzung von „Chinatown“, „The Two Jakes“, hatte eine der faszinierendsten Entstehungsgeschichten überhaupt, hinter den Kulissen war sie ebenso spektakulär wie die egentliche Filmhandlung (die „Cotton Club“-Morde werden im Wikipedia-Eintrag nur gestreift, alles ist noch eine Spur komplexer und heilloser), eine grandiose Ruine von einem Film, in dem Evans selbst beinahe den Gegenspieler von Jack Nicholson verkörpert hätte (ich glaube, er wäre trotz allem gar nicht mal schlecht gewesen bei seiner Verstrickung in das Ganze, wenngleich Harvey Keitel am Ende prächtig war). Ich hätte gern das Ende der geplanten Trilogie gesehen, die Ende der 1950er spielen sollte, als sich Los Angeles noch einmal radikal durch den Ausbau des Freewaysystens gewandelt und J.J.Gittes durch die Liberalisierung des kalifornischen Scheidungsrechts 90 Prozent seiner Einnahmen verloren hätte. Dazu kam es nach dem kapitalen Flop von „The Two Jakes“ sowie der dramatischen Abwärtsspirale in Evans Werk und Leben nicht mehr. Ein gescheiterter Peter Pan, der auch im hohen Alter immer noch auf das einstige „Kid“ rekurrierte. Irgendwann waren die Möglichkeiten aufgebraucht. Aber ich glaube, der Romantiker Evans hat nie ganz aufgehört, an sie zu glauben.

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