Das verbotene Universum

Die Pressekonferenz, auf der Yves Saint Laurent 2002 seinen Rückzug aus dem Modegeschäft verkündete, war ein wahrhaft trauriges Ereignis. Für die Anwesenden im Saal wird es schwer zu ertragen gewesen sein, aber auch vor dem Fernseher war es erschütternd genug.

Die Worte des Modeschöpfers waren wohlerwogen. Sie gaben dem Anlass eine Würde, die nicht selbstverständlich war. Es war auch weniger der Abschied, der schmerzte, sondern der physische Verfall dieses schönen und eleganten Mannes. Er war gezeichnet von seinem Leben. Eine namenlose Pein schien von ihm Besitz ergriffen zu haben. Die Koordination seiner Gesichtsmuskeln drohte ihm zu entgleiten. Man konnte ihn kaum verstehen, denn seine Lippen formten die Worte nicht mehr so, wie er es wollte. Forderten die Angstzustände, Depressionen und Drogenexzesse, die ihm nachgesagt wurden, wirklich einen so hohen Preis? Saint Laurent war sich der Wirkung, die seine Erscheinung hervorrief, bestimmt bewusst. Gleichwohl bewältigte er die Aufgabe, die er sich für diesen Tag gestellt hatte, tapfer. Der Hirntumor, an dem er starb, wurde erst fünf Jahre später entdeckt.

Die zwei Körper dieses Königs, die historische Gestalt und der Mensch aus Fleisch und Blut, waren auch eine Herausforderung für den Regisseur Olivier Meyrou. „Celebration“, sein schon vor gut zwei Jahrzehnten gedrehtes Portrait von YSL, läuft seit gestern in deutschen Kinos. Es löst diese Doppeldeutigkeit zunächst chromatisch auf, taucht den historischen Aspekt in Schwarzweiß und die Gebrechlichkeit in Farbe. Diese Persönlichkeit verlangt im Kino, so scheint es, stets einen zweifachen Blick. Meyrou filmte Saint Laurent etwa zur gleichen Zeit wie David Teboul, der ihm ein dokumentarisches Dyptichon widmete, „Die wiedergefundene Zeit“ und „5, avenue Marceau“. 2014 wiederum kamen in Frankreich gleich zwei Biopics über den menschenscheuen Couturier heraus, eines von Jalil Lespert, das andere von Bertrand Bonello.

Als „Celebration“ 2007 im Panorama der Berlinale lief, gefiel er mir nicht. Ich fand, er tappe zu oft in die Falle des Pittoresken; nicht zuletzt, weil er ständig auf Moujik schneidet, die legendäre, jedoch hässliche Bulldogge des Modeschöpfers. Der Stilmix des Films erschien mir kokett, also ratlos. Tondramaturgie und Musik empfand ich als anmaßenden Versuch, sich in die Depression einzufühlen. „Celebration“ erschien mir entbehrlich, denn ich war überzeugt, Teboul habe das alles viel besser gemacht. „Die wiedergefundene Zeit“ ordnet YSL mit einem Defilee gescheiter, charismatischer Gesprächspartner in den angemessenen historischen Kontext ein als großbürgerlichen Revolutionär, der die Mode zu einem ästhetischen wie sozialen Terrain weiblicher Ermächtigung machte. Der Film beglaubigt die Worte, mit denen YSL sein Werk resümierte: „Ich weiß, dass ich die Mode vorangebracht habe“, sagte er 2002, „ und den Frauen ein bisher verbotenes Universum geöffnet habe.“ Der zweite Teil, nach dem Sitz des Modehauses in der Avenue Marceau benannt, ist eine konzentrierte Arbeitsstudie, in der man viel über das Entstehen einer Kollektion erfährt; nicht zuletzt dank eines geduldigen Blickes, der abwarten will, wie der Stoff, Schnitt und die Farbe eines Kleides allmählich ihre Wirkung entfalten. Catherine Deneuve, eine der hingebungsvollsten Kundinnen von Saint Laurent, hat einen dezent majestätischen Auftritt bei der Anprobe.

Heute sehe ich Meyrous Film, über den Anke Sterneborg im aktuellen Heft schreibt, mit anderen Augen. Während Teboul noch vom unvermindert geschäftigen Betrieb erzählt, mutet „Celebration“ bereits wie ein Schwanengesang an. Er erkundet die Büros und Ateliers in der Avenue Marceau schon mit einem spröden, nostalgischen Blick. Auch er setzt beim Handwerk ein, studiert lange den zögernden Bleistift des Meisters, um dem Rätsel seiner Kreativität auf die Spur zu kommen. Meyrou kann zwar diese impressionistische Sorgfalt nicht lange aufrechterhalten. Aber „Celebration“ hat den unbestreitbaren Vorteil, dass Pierre Bergé, der Lebensgefährte und Geschäftspartner Saint Laurents, stärkere Präsenz gewinnt. Selbst als Figur im Hintergrund wirkt er allmächtig: Meyrous Kameramann verstand es, im richtigen Moment die Schärfe zu verlagern. Bergé ist eine gewinnend schlitzohrige und autokratische Gestalt, eine echte Kinofigur: Bei Billy Wilder hätte Clive Revill eine solch umtriebige Rolle gespielt, Claude Chabrol hätte sie Michel Serrault oder besser noch Jean Poiret anvertraut.

Welche Macht Bergé als Geschäftsmann und Mäzen ausübte, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Er war nicht nur Förderer von Robert Wilson, Peter Brook und vielen anderen. Paris hat ihm das zweite Opernhaus zu verdanken (als formidabler Wahlhelfer Mitterands hatte er Einfluss genug), die Tageszeitung „Le Monde“ würde es ohne sein Engagement wohl nicht mehr geben. Er saß dem Komitee vor, das Jean Cocteaus Nachlass verwaltet. Bei Meyrou spürt man, dass er auch der Spielleiter von Saint Laurents Existenz ist. Bergé war der Zensor, der zeitlebens über das Bild wachte, das die Welt sich von ihm machen sollte. Lesperts Projekt fand seine Zustimmung und Unterstützung (es zeigt ihn als treusorgenden Mentor und erzählt ihre Liebesgeschichte sehr keusch); Bonellos Produzent hingegen beging den Fehler, Bergés Segen nicht einzuholen. Der drohte, den Start des Films mit allen juristischen Mitteln zu verhindern. Das Ansinnen gab er zwar auf, aber die Rechte an Saint Laurents Kreationen verweigerte er, was bei der César-Verleihung 2015 ein Nachspiel hatte, dessen Ironie ihm vielleicht sogar gefallen hätte: Bonellos Film gewann in der Kategorie Bestes Kostümbild.

Dass Bergé über Wohl und Wehe der Marke Saint Laurent entschied, sollte auch Meyrou zu spüren bekommen. Bergé wollte die Montage des Films überwachen, was der Regisseur verweigerte. Zudem war sein Produzent, Christophe Girard, der früher im Hause Saint Laurent beschäftigt war, in diverse Rechtsstreitigkeiten mit ihm verstrickt. Mithin fand sich jahrelang kein Verleih, der sich auf dieses heikle Terrain vorwagen wollte. Angeblich sah Bergé den Film kurz vor seinem Tod dann doch, und er gefiel ihm nicht schlecht. In Frankreich startete er im letzten Jahr, Zufall oder postume Tücke, am 14. November, seinem Geburtstag.

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