Da verstand er keinen Spaß

So viel Staudensellerie, wie ich in den letzten Tagen klein gehackt habe, esse ich sonst in einem Monat nicht. Er gehörte für ihn praktisch in jede Pastasauce. Ihm zuliebe habe ich auch den Brühwürfel wiederentdeckt. Mit dem Knoblauch hingegen geize ich wohl mehr als Lino Ventura.

Heute, am französischen Nationalfeiertag, wäre er 100 Jahre alt geworden. Auf diesen Festtag habe ich mich in der letzten Woche kulinarisch eingestimmt und versucht, einige seiner Lieblingsrezepte nachzukochen. Vor allem habe ich mich an die Rezepte gehalten, die seine Witwe Odette am Ende ihrer Lebenserinnerungen gesammelt hat. Auch in den Büchern, die seine Tochter Clélia über ihn verfasst hat, finden sich einige. Und im Netz fand ich unter dem Suchbegriff „recettes de Lino Ventura“ die Anleitungen zu seinem Osso bucco. Daran werde ich mich später mal heran trauen, das ist vielleicht doch höhere Schule. Heute halte ich es noch etwas einfacher, vielleicht probiere ich seine „Maccaroni alla Carbonara“ oder sein „Risotto mit grünen Erbsen“ aus.

Mir war natürlich bekannt, dass Ventura ein Feinschmecker und Koch war. Nun wollte ich es konkret wissen. Er war verbissen, wenn es ums Kochen ging, ließ sich von niemanden hereinreden, auch von Odette nicht oder den berühmten Küchenchefs, die bei ihm zu Gast waren. War jemand nicht ganz zufrieden, passierte es schon mal dass er ruppig wurde. Der stiernackige, hartgesottene Bursche konnte ziemlich dünnhäutig sein. Wie ernst er die Küche nahm, ist in einer Dokumentation zu sehen, in der sich Jean Gabin erinnert, wie bei Tisch ein handfester Glaubenskrieg um sein „Pétit salé aux lentilles“ ausbrach. An Gabins „Avec Lino, c'était du sérieux!“ muss ich oft denken, wenn ich mir selbst das deftige Linsengericht koche. Bislang folgte ich immer der Variante meines Freundes Binh, der einfaches Schweinefleisch nimmt. Aber Lino bereitete es mit Wildschwein zu. Das ist nichts für einen Sommertag, die Herausforderung hebe ich mir für den Winter auf.

Die Rezepte, die ich fand, spiegeln Venturas zweifache Herkunft wider: Sie gehören überwiegend der mittelitalienischen und der traditionellen französischen Küche an. Mit der Nouvelle Cuisine konnte er ebenso wenig anfangen wie mit dem Kino von Godard. Für ihn waren das „Puppenmahlzeiten“. Er zog es vor, die Klassiker zu interpretieren. Er war sich auch nicht zu schade, in Kochbücher zu schauen. Einige hielt er besonders in Ehren, ließ sie gegebenenfalls notfalls sogar neu binden. Ihn forderte das Bewährte, Solide heraus. Seine Kochkunst beruhte auf der Qualität der Zutaten und seinem Instinkt, sie brauchte kein prätentiöses Raffinement. Venturas Rezepte sind knapp und kompakt. Vorhersehbar sind sie nicht. Wo ein Anderer sich mit Sahne begügt hätte, entschied er sich beherzt für Crème fraiche. Üppige Genreküche sozusagen.

Auf seinen Weinkeller war er stolz. Auch da hielt sich an die französischen Ewigkeitswerte, hatte einen beachtlichen Vorrat an großen Bordeaux'; auch Weine aus der Bourgogne und von der Loire schätzte er. Für den Apéritif zog er einen Sauternes jedem Champagner vor. Zum Glück fand ich in meinem Keller eine Jahrzehnte alte Flasche. (Daneben lag auch noch ein Monbazillac, aber der kam nicht in Frage, denn Lino fand alles, was aus dem Périgord stammt, viel zu schwer.) Natürlich war es kein Chateau d' Yquem, den kann sich ein Filmstar leisten, aber kein Kritiker. Mein Sauternes hatte sich jedoch jene Edelsüße bewahrt, die man am besten eisgekühlt genießt.

Ventura wurde in Parma geboren. Was die Schinken und Käse der Emiglia Romagna anging, machte ihm also niemand etwas vor. Überhaupt legte er größten Wert auf die Güte der Produkte, wählte sie sorgfältig auf dem Markt aus. Sein bevorzugtes Feinkostgeschäft, Davoli in der Rue Cler, existiert übrigens immer noch. Das muss ich beim nächsten Mal in Paris aufsuchen. Da finde ich bestimmt auch die Borlotta-Bohnen, die er für sein „Pasta e fagioli“ nahm. Ich musste mich mit handelsüblichen zufrieden geben, die ich aber, wie vorgeschrieben, bereits am Vorabend einweichen ließ. Ohnehin habe ich immer mal geschummelt. Statt seines geliebten „coulis“ nahm ich Tomatenmark. Aber ich sah zu, dass ich die Chilischoten nicht vergaß, mit denen er seiner Tomatenessenz gern Schärfe gab. „Pasta e fagioli“ habe ich schon davor ein, zwei Mal gekocht (schon allein, weil es die Leibspeise Marcello Mastroiannis war), aber noch nie mit Pellkartoffeln. Und bisher nahm ich immer Suppengrün, das ich nun aber durch seine geschätzte Fleischbrühe ersetzte. Bislang verwendete ich auch andere Pasta, folgte nun aber Linos Empfehlung, zerbrochene Spaghetti zu nehmen. Dank der zerdrückten Kartoffeln und dem großzügig darüber gestreuten Pasrmesan wurde die weiße Bohnensuppe herrlich sämig, Allerdings hätte ich an Pfeffer sparen können, die Chilischoten waren pikant genug.

Seine Rezepte sind stets für vier bis sechs Personen ausgelegt. Das macht das Nachkochen leichter, sagt aber auch viel über Venturas Vorstellung von Gastfreundschaft aus: ein überschaubarer Kreis von Freunden, bei dem jeder das Gefühl haben darf, der Koch habe die vielen Stunden in der Küche nur für sie oder ihn zugebracht. Ich glaube, das war für diesen angeblich verschlossenen Mann die wichtigste Zutat bei einem Festmahl: Geselligkeit.

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