Sein und Zeit

»Song to Song« (2017) © Broad Green Pictures

Terrence Malicks neuer Film »Song to Song« feierte vor zwei Wochen seine Premiere auf dem South by Southwest-Festival in Austin, wo der notorisch scheue Regisseur überraschenderweise sogar in der Öffentlichkeit auftrat. Das Werk, das Ende Mai in Deutschland starten soll, ist in der Musik-Szene der texanischen Hauptstadt angesiedelt. Allerdings war die Premiere keineswegs ein Heimspiel: Wiederum hat ein Malick-Film die Kritik mächtig gespalten. Selten schlug das Pendel jedoch so heftig aus wie diesmal. Die ersten Rezensionen im »Guardian« und »Independent« waren frenetisch; die New Yorker »Village Voice« veröffentlichte gleich zwei Kritiken, eine glühende Eloge und einen empörten Verriss.

Bisher gehörte ich wechselweise beiden Lagern an, den Verteidigern wie den Abtrünnigen. Dieser Filmemacher lässt mich regelmäßig zum Agnostiker werden. Es gebricht seinen Arbeiten ja nicht an Prätention (nicht von ungefähr hat er seine Doktorarbeit über Heidegger geschrieben). Das darf den Betrachter ratlos zurücklassen. Ein großer Geschichtenerzähler will und muss er nicht sein. Die lyrische Wucht, die sich in den besten Momenten von »Der schmale Grat« »The New World« und noch in »The Tree of Life« aufscheint, zieht mich indes unweigerlich in ihren Bann. Mir scheint, er ist der einzige Regisseur im Gegenwartskino, der aus der Perspektive der Natur filmen kann. Derlei kinematographische Phänomenologie hilft im Großstadtambiente von »Knight of Cups« natürlich nur bedingt.

Ich verspürte nie unbändige Lust, einen seiner aktuellen Filme zu besprechen und wurde bislang auch nie von Redakteuren in die Verlegenheit gebracht. Wäre andererseits mal eine Herausforderung. Tendenziell ist es mir lieber, sein Werk aus großem Abstand zu betrachten. Insgeheim wäre es mir wohl lieber, es aus gelassen historischer Warte zu betrachten. Malick ist ein Manierist, und es könnte gut sein, dass er, ebenso wie diese ehedem vielgescholtene Richtung der Kunstgeschichte, irgendwann mal glänzend rehabilitiert wird. Hoffentlich erscheint zu gegebener Zeit einmal eine aktualisierte Ausgabe der schönen Malick-Monographie, die Dominik Kamalzadeh und Michael Pekler vor vier Jahren im Schüren Verlag veröffentlicht haben.

Meine wohlwollende Neugierde auf seine Arbeit ist immer noch grundiert in der Bewunderung für die zwei Meisterwerke, die er in den 70ern drehte, »Badlands« und »In der Glut des Südens«. Die Pressekonferenz zum zweiten Film in Cannes muss so traumatisch gewesen sein, dass er danach für zwei Jahrzehnte in tiefes Schweigen fiel. Sein Comeback mit »Der schmale Grat« war 1998 ein Ereignis. Es war einfach schon wunderbar, dass er sich überhaupt wieder zurückmeldete. Danach legte er lange Pausen von sechs, sieben Jahren ein. Das war klug. Seit »»The Tree of Life« hingegen hat dieser einstige J.D.Salinger des Kinos das Tempo enorm angezogen; die Hälfte seines Werks ist nach 2011 entstanden. Der Verweigerungskünstler scheint so betriebsam werden zu wollen wie Robert Altman zu seinen besten Zeiten: Ein Film ist noch nicht herausgekommen und der nächste schon in Aussicht. So war Altmans Schaffenskraft einigermaßen gefeit gegen Wechselfälle, er machte einfach weiter und fand regelmäßig Geldgeber, die noch nicht von schlechten schlechten Kritiken oder Einspielergebnissen entmutigt werden konnten. Dieser Modus scheint bei Malick ebenfalls zu funktionieren. Er hat ja auch viel aufzuholen. Für dieses Jahr ist übrigens noch ein zweiter Spielfilm angekündigt, »Radegrund«, der wiederum im Zweiten Weltkrieg spielt und wohl weitgehend in Deutschland gefördert und gedreht wurde. August Diehl, Matthias Schoenaerts, Bruno Ganz, Martin Wuttke und Maria Simon sollen mitspielen – Angaben zur Besetzung kann man bei Malick-Filmen immer nur unter Vorbehalt machen, denn man weiß nie, ob er nicht am Ende doch die ein oder andere Figur wieder herausschneidet.

In der relativ kurzen Spanne von sechs Jahren hat sich ein Bild davon festgesetzt, wie ein Malick-Film aussieht. In den Augen seiner Verächter ist er längst in die Phase der Selbstparodie geschlittert. Danny Leigh beschreibt das sehr schön in einer Zwischenbilanz, die vor zwei Wochen im »Guardian« erschien: »With the modern Malick, the problem most often griped about is the surface of it all, for ever wobbling on the brink of self-parody with the Hello-Sun-Hello-Sky camera-work and gnomic voiceovers on the nature of desire.« Für Leigh ist die Kritik an Malick selbst zum Klischee geronnen: Ständig wird seine Ästhetik mit der von Werbeclips verglichen. Wenn ja, betrieben sie Werbung für die Schöpfung. Unterdessen hat der fleißige Regisseur seine Kritiker beim Wort genommen und einen einminütigen Clip für »Guerlain« gedreht. Über dessen Autorenschaft herrscht, wenn man so will, kein Zweifel: Die verträumte Choreographie der Sehnsucht, die sonnenüberfluteten Szenerien und die romantische Schaulust auf Mensch (Angelina Jolie war selten so überzeugend) und Landschaft (die Provence tritt eher diskret in Erscheinung) identifizieren das Stück augenblicklich als Malick-Film. Der schwelgerische Minimalismus von Andy Quins »Awakening« ist noch triftiger eingesetzt als bei der klangvollen Untermalung des Trailers zu »To the Wonder«. In Parfümwerbung geht es selbstverständlich um erotisches Begehren, was bei Malick sonst nur eine untergeordnete Rolle spielt und auch hier bezähmbar bleibt. Jolie flirtet mit der Kamera, verlockt sie auf ungewohnt verspielte Weise. Ihr tätowierter Rücken ist mehr dekoratives Element als erotisches Signal. Von ihrer munteren Morgentoilette schneidet Malick wiederholt auf die Arbeit eines Parfümeurs, der aus Lavendel und anderen Ingredienzen eine bestimmt unwiderstehliche Essenz gewinnt. Pittoresk rinnt ein erster, kostbarer Tropfen im Gegenlicht an seiner Pipette herab. Der künstlerische Mehrwert (pardon, da wären wir bei dem falschen deutschen Philosophen gelandet) wird dem Auftraggeber gefallen haben: Endlich mal ein Malick-Film, der seine Absichten unmissverständlich zu erkennen gibt.

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