Nachforschungen in der Geheimzone

Foto: Vincent Diamante (2006)

Der Eindruck, die Synchronisation sei in Italien gewissermaßen eine lebensweltliche Selbstverständlichkeit, lässt sich ohne große Abstriche auf Deutschland übertragen. Auch hier ist es das Publikum seit den 30er Jahren gewohnt, dass sich das Fremde auf der Tonspur in etwas Heimisches verwandelt.

Bei aller breitflächigen Akzeptanz ist sie in Fachkreisen ein heikles Thema, wie Thomas Bräutigam und Nils Daniel Peiler im Vorwort ihrer gemeinsam herausgegebenen Anthologie »Film im Transferprozess« (Schürenverlag) feststellen. Eine ungenannte Filmkritikerin zitieren sie mit dem barschen Urteil, Synchronisation sei ein Verbrechen. Und im Gegenzug ließen sich Filmverleiher nicht gern in die Karten schauen und verweigerten Auskünfte über ihre Synchronpraxis. Offensichtlich ist dieses Gebiet mit diversen, durchaus widersprüchlichen Tabus belegt. Es herrscht lautes Stillschweigen darüber. Die Herausgeber beklagen besonders das medienwissenschaftliche Desinteresse an dem Gegenstand, was sicherlich ein zutreffender Befund ist, der indes ein wenig von der Vielzahl der Fußnoten und einer umfänglichen Bibliographie sabotiert wird. Dies ist freilich eher Indiz der Gründlichkeit, mit der die Autoren in einer »Geheimzone« (Bräutigam & Peiler) ermitteln. Das Navigieren zwischen unversöhnlichen Polen ist ein dem Gegenstand angemessenes Leitmotiv des Buches.

Die Herausgeber sind Wiederholungstäter. Der Medienwissenschaftler Bräutigam hat bereits mehrere Bücher zu diesem Thema veröffentlicht, darunter ebenfalls bei Schüren »Stars und ihre deutschen Stimmen«, das mittlerweile in dritter Auflage vorliegt. Der Filmwissenschaftler Peiler wiederum hat gerade erst vor einem Monat eine interessante Veranstaltungsreihe zu Synchron und Untertitelung im Frankfurter Filmmuseum gestaltet. Man kann sagen, sie brennen für das Thema. Ihre Haltung (und die der anderen Autoren) zur Synchronisation ist tendenziell zugeneigt, im Zweifelsfall kritisch abwägend. Das Gegenteil wäre gewiss wenig ertragreich. Ihr Vorhaben haben die Herausgeber »transdisziplinär« aufgefächert: Es kommen auch Sprachwissenschaftler und nicht zuletzt Vertreter der Praxis zu Wort.

Leidenschaft für ihr Thema habe ich den Herausgebern nicht unbedacht unterstellt. Die Synchronisation ist ja erst einmal Teil der eigenen Sozialisation in Kino und Fernsehen, bevor es wissenschaftlicher Forschungsgegenstand werden kann. Das verleiht dem Band über weite Strecken eine Lesbarkeit, die selten geworden ist in unserer gegenwärtigen Filmbuchlandschaft. Auch die kennt ja fast nur noch zwei Pole: das ganz Populäre und die akademische Entrückung. Gewiss, einige Texte vergraben ihren Gegenstand unter umständlicher Methodendarlegung und hermetischem Wissenschaftsjargon. Dem stehen an anderer Stelle ungemein launige und kluge Passagen gegenüber. Zuweilen merkt man schon den (Zwischen-) Überschriften an, ob die Autoren ihr Thema durchdrungen haben. »Das große Unbehagen« oder »Das unsichtbare Handwerk« signalisierten mir, dass ich als Leser in vertrauenswürdigen Händen war.

Letzteres ist die Überschrift, die der Synchronregisseur Gerd Naumann seinem Werkstattbericht gegeben hat. Anschaulich schildert er die verschiedenen Etappen der Synchronarbeit, von der Rohübersetzung über das Dialogbuch bis zur Besetzung, der Sprachaufnahme und Mischung. Wie Ludovica Modugno beklagt er den ökonomischen und den Zeitdruck, unter dem die Arbeit neuerdings stattfindet, blendet aber auch zurück in Historie und Entwicklung seines eigenen Berufs. Es ist erstaunlich, welche Zeugnisse er dazu erfragt oder recherchiert hat (wenngleich Sandra Kegels FAZ-Interview mit Axel Malzacher eine höchst unzuverlässige Quelle ist: Dem Synchronautor und -regisseur standen die Haare zu Berge, als er seine »eigenen« Aussagen in der Zeitung las). Ebenso wie Naumann ist auch Claudia Leinert davon überzeugt, dass in Deutschland die Synchronisation bis zur Perfektion entwickelt wird. Sie betreut als Supervisorin für diverse Verleiher Synchronfassungen und schreibt überraschend offen über die Probleme, die ihr schlechte Dialogbücher bereiteten und über ihre Konflikte mit Regisseuren der alten Schule. Sie geht auch auf spezifische Probleme des Sprachtransfers ein, etwa die Suche nach einem Äquivalent für einen bestimmten regionalen Dialekt in der Ausgangsfassung. Ludovica Modugno stand gerade vor einer solchen Herausforderung, als sie eine italienische Entsprechung für den Südstaatendialekt finden musste, den Helen Mirren für den ersten englischsprachigen Film von Paolo Virzi einstudierte.

Eminent aufschlussreich fand ich den Beitrag von Josph Gancarz, der die Entstehung und Rezeption der drei Synchronfassungen von Disneys »Schneewittchen und die sieben Zwerge« darlegt. Die erste entstand 1938 in Holland unter Mitwirkung deutscher Exilanten und unter der Regie von Kurt Gerron. Hitler gefiel sie gut, kam aber wegen der Beteiligung jüdischer Künstler erst nach Kriegsende heraus. Der Text ist eine Chronik der Anpassungen an den jeweiligen Zeitgeschmack und erzählt bundesdeutsche Mentalitätsgeschichte. Gancarz plädiert dafür, Synchronfassungen als bewahrenswerte Kulturgüter zu betrachten. Bezeichnend sind sie allemal.

Das führt der Essay von Thomas Bräutigam vor Augen, der in die Nachkriegszeit zurückblickt und die Synchronpolitik der Alliierten sowie deren Ablehnung durch das deutsche Publikum rekapituliert. Er zeichnet einerseits vier unterschiedliche Strategien nach. Es ist verblüffend, welche Filme nicht die Gnade der Besatzungsmächte fanden: Hawks und Lubitsch waren den Amerikanern unlieb, Renoirs »Die große Illusion« den Behörden auch nicht geheuer. Die russische Gepflogenheit, eine Erzählerstimme über die Dialoge zu legen, stieß auf keine Gegenliebe und die britischen Filme fielen bis »Der dritte Mann« fast durchweg beim Publikum durch. Der Endreim all dieser Anstrengungen ist die heftige Abwehr des Fremden, das von den Kriegsverlierern als Oktroy der Besatzungsmächte wahrgenommen wurde. Bräutigam skizziert diesen Widerstand als nuancenreichen deutschen Dünkel, streicht für meinen Geschmack aber das »Völkische« in dieser Haltung etwas zu vollmundig heraus. Ein Lichtblick in dieser Epoche dumpfen Verharrens ist immerhin die erste Vorführung von Powell&Pressburgers »Schwarze Narzisse«, bei der auf Untertitel verzichtet wurde, um die Farbdramaturgie nicht zu beeinträchtigen und ein Saalsprecher die Handlung nacherzählte.

Wie trotzig und heillos das deutsche Kinopublikum in die eigene Mentalität versponnen ist, wird indes schon im Auftakt-Essay der Herausgeber deutlich. Der »nationale Filter« findet noch in jüngerer Zeit Verwendung. Wenn beispielsweise aus spöttisch gezeichneten Deutschen in der hiesigen Synchronfassung von »Darjeeling Limited« unversehens Schweizer werden, mag man seine Hoffnungen auf einen zivilisatorischen Fortschritt fahren lassen Manchmal bleibt vom Kino, das ein Instrument aufgeklärter Weltteilhabe sein könnte, nach der Synchronisation nur enge Provinzialität übrig.

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