Armer Teufel, lass mich deine Wunder sehen!

Terry Gilliam. Foto: Wikimedia (2006)

Die Nachrichten sind nicht mehr vermischt. Und es scheint, als blieben nur noch gute übrig. Gestern um 16 Uhr verkündete Terry Gilliam auf Facebook, die letzte Klappe für »The Man who killed Don Quixote« sei endlich gefallen. Damit findet eine Produktionsgeschichte ihr vorläufig glückliches Ende, die so reich an Missgeschicken und Katastrophen ist, dass sie zwischenzeitlich gar Stoff für einen tollen Dokumentarfilm (»Lost in La Mancha«) lieferte.

Mitte Mai sah es noch so aus, als sei der Fluch noch nicht aufgehoben, der seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten über dem Projekt liegt. Die Dreharbeiten hatten zwar, nach zahlreichen, spektakulären Besetzungswechseln, im März begonnen. In Cannes jedoch beklagte sich Co-Produzent Paulo Branco (siehe Eintrag "Wie man hunderte von Filmen macht und kein Geld verliert" vom 15. 4. 2016) öffentlich, der Regisseur sei vertragsbrüchig geworden und würde hinter seinem Rücken nach anderen Partnern suchen. Gillian behauptete im Gegenzug, der portugiesische Produzent habe sein Versprechen einer kompletten Finanzierung nicht eingehalten. Die weiteren Mit-Produzenten, darunter Jeremy Thomas, kündigten an, in vier verschiedenen Ländern Prozesse gegen dessen Firma Alfama anstrengen. Branco und Gilliam sprachen zu diesem Zeitpunkt nur noch über- und bereits seit einem halben Jahr nicht mehr miteinander.

Noch ein zweites Pfingstwunder ist zu vermelden. Gilliams Inszenierung von Hector Berlioz' Oper "La damnation de Faust", die ich gestern in der Staatsoper sah, ist bestrickend provozierend. Sie birst vor Einfallsreichtum. Auch hier waren die Nachrichten ja gemischt. Die Premiere vor sechs Jahren an der Englisch National Opera in London war ein rauschender Erfolg. Die Reaktionen auf die Berliner Premiere am 27. Mai waren gespalten zwischen heftiger Empörung und verhaltener Begeisterung. Die Kritiker des "Tagesspiegel" und der "taz" waren entsetzt, mit welch nonchalanter Verantwortungslosigkeit der anglo-amerikanische Regisseur Berlioz' Oper als Nazi-Revue auf die Bühne bringt. Das erschien mir zunächst als ein sehr deutscher Abwehrreflex (die Deutungshoheit über hiesige Mythen und Zeitgeschichte gibt man nicht gern in ausländische Hände, das bekam schon Luchino Visconti bei seiner deutschen Trilogie zu spüren), in manchen Punkten finde ich die Kritik jedoch nachvollziehbar. Aber soweit ich weiß, gibt es noch kein (kunst-)richterliches Verbot, in einer Oper Braunhemden auftreten zu lassen. Man muss nur gute Gründe dafür haben. So erschienen der "Berliner Zeitung" Gilliams Assoziationen durchaus plausibel und die FAZ war immerhin begeistert, wie Simon Rattles Dirigat die vielschichtige Partitur durchdringt. Das Lob für den Chor war groß. Am Premierenabend müssen sich Buh-und Bravo-Rufe wohl die Waage gehalten haben, gestern jedoch war die Begeisterung ziemlich einhellig und der Schlussapplaus lang.

Der Abend beginnt mit einer Schrecksekunde. Bevor Mephisto auf die Bühne tritt, erschüttert eine Bombenexplosion das Schillertheater. Das Publikum wird auf eine Zumutung eingestimmt. Bei der Londoner Premiere hatte dieser Knalleffekt gewiss noch einen anderen Klang. Vor sechs Jahren war die terroristische Besitznahme der Großstädte noch nicht so weit vorangeschritten. Ist der Inszenierung seitdem eine mulmige, unwillkommene Aktualität zugewachsen? Zumindest passt die Verunsicherung des öffentlichen Raums jedoch zu der interpretatorischen Bewegung, die Gilliam vollzieht. Er schlägt den verwegen großen Bogen von der deutschen Romantik über den Ersten Weltkrieg bis zur Kristallnacht und Auschwitz. Er zitiert Ikonen deutscher Kunstgeschichte – das erste Bühnenbild evoziert atemberaubend Caspar David Friedrich Naturmystizismus; George Grosz' Porträt der Tänzerin Anita Berber tummelt sich feuerköpfig durch den zweiten Akt - , um schließlich bei Leni Riefenstahls Massenchoreograhien und Albert Speers Scheinwerfermonumentalität zu landen. Das Bühnenbild wandelt sich von organischen, natürlichen Formen zu bauhaushafter Strenge und unbehaglich gezackten Geometrien; Faust wird am Schluss auf einer Swastika gekreuzigt. Filmaufnahmen, auf den transparenten Vorhang projiziert, rekapitulieren die Zeitgeschichte. Die Collagetechniken, mit denen Gilliam in seiner Monty-Python-Zeit experimentierte, erhalten hier eine finstere Tönung.

"La damnation de Faust" ist sein Operndebüt. Über seinen zweiten Ausflug in diese Disziplin habe ich (siehe Eintrag "Public Viewing" vom 19. 6. 2014) bereits geschrieben. Seine Inszenierung von Berlioz' »Benvenuto Cellini« war karnevalesker. Mithin war ich gespannt, ob er sich bei seinem ersten Gehversuch auf diesem schwierigen Regieterrain ebenfalls als satirischer Querschläger präsentieren würde. Das wagt er hier nur in Ansätzen. Er ist ein weitgehend maßvoller Maximalist. Das Treiben auf der Bühne ist ungeheuer dynamisch, nichts bleibt tableauhaft, sondern alles ist animiert. Er genießt es sichtlich, Menschenmassen in Bewegung zu setzen. Da könnten ihm die Protagonisten fast abhanden kommen. An Faust ist Gilliam in der Tat nicht übermäßig interessiert, er schlittert hier eher durch die Zeitläufte. Da waren seine Brüder Grimm handfestere Phantasten! Es ist erstaunlich, wie spät erst es bei Berlioz zum Teufelspakt kommt. Fast ein wenig gleichgültig gibt er sich bei Gilliam in Mephistos Hände: "Also gut! Armer Teufel, lass mich deine Wunder sehen!". Mephisto fasziniert ihn eindeutig mehr. Er setzt ihn als verschlagenen, spitzbübischen Zeremonienmeister mit wandelbarem Charisma (die Facetten reichen von Mackie Messer bis Dr. Evil) in Szene.

Ja, Leichtigkeit hat dieser Seelenverkauf auch. Gilliam inszeniert Momente des putzigen Illusionismus', besonders die Richtungswechsel beim Faustflug (allerdings auf einem Motorrad) fand ich ulkig. Der Regisseur eignet sich den Stoff und die Bühne ausgefuchst filmisch an: Der Szenenwechsel von Marguerites (Gretchens) Deportation zu Fausts Bücherverbrennung ist brillant montiert. Meist schmiegt sich Gilliams Interpretation triftig der Partitur (in dieser Hinsicht funktioniert die 12. Szene indes gar nicht, da ist die Diskrepanz zu seiner Skizze der Kristallnacht einfach zu groß). Manche Umdrehung, etwa Faust als Siegfried auftreten zu lassen, waren mir zu viel. Thematisch mag das zwar hinreichend gedeckt sein, aber es kam mir wie eine Ausplünderung des Mythenfundus' vor, die blindlings ausgreift und ja nichts auslassen will. Zugleich beweist Gilliam Taktgefühl - der Augenblick, als in Marguerites Zimmer die Menora enthüllt wird, ist von zärtlicher Intimität. Umso furchtbarer ist der Schluss, eine drastische Elegie, von der ich mich nur schwer erholen werde.

Gestern wusste ich noch nicht von Gilliams euphorischem Posting auf Facebook. Auf dem Weg zur Oper hatte ich mir schon Notizen für einen möglichen Textanfang gemacht, die um Scheitern, Katastrophen und Niederlagen kreisten. Immerhin war die konzertante Uraufführung von Berlioz' "dramatischer Legende" 1846 ein denkwürdiger Misserfolg. Nach drei Tagen wurde das Stück abgesetzt, was den Komponisten in den finanziellen Ruin stürzte. Fast zwanzig Jahre hatte er sich zu diesem Zeitpunkt schon mit dem Faust beschäftigt, eine erste Version stieß 1829 auf heftige Ablehnung. Berlioz glaubte nicht, dass sein Werk je als Oper funktionieren würde, misstraute ihrem szenischen Potenzial.

Heute jedoch kreisen meine Gedanken um das Gelingen. Und nun, wo Gilliams Film im Kasten ist, wird mir klar, welch erstaunliche Symmetrie plötzlich zwischen seinen beiden aktuellen Unternehmungen aufscheint. Sein Faust ist eine Auftragsarbeit, kein langgehegter Traum wie sein Don Quixote. Dennoch folgt seine Arbeit innig verwandten Impulsen: Eben doch ein auteur. Beide Stoffe hat Gilliam als Zeitreisen konzipiert. Beide Titelfiguren sind Idealisten, die nicht offenen Auges auf die historische Realität blicken können, die sie umgibt. Auch im Zentrum von "Don Quixote" steht ein legendäres, ungleiches Zweiergespann. Nach allem, was ich gelkesen habe, scheinen beide Protagonisten seiner Faszination würdige. Der Zusammenprall unterschiedlicher Vitalitäten ist seinen Filmen meist gut bekommen, man denke nur an »The Fisher King«. Zumindest vor der Kamera: Es bleibt schließlich noch die Frage, wer im Streit Gilliam-Branco nun der Faust und wer der Mephisto ist.

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