Wie man hunderte von Filmen macht und kein Geld verliert

Roger Corman (2006). Foto: Jason V Brock

Als er vierzehn war, zog die Familie des heute vor 90 Jahren geborenen Roger Corman von Detroit nach Beverly Hills um. Der junge Roger konnte sich nicht daran erinnern, in seiner Geburtsstadt einen einzigen Schuldkameraden gehabt zu haben, der aus einer reichen Familie stammte. Wie er selbst stammten sie aus dem Mittelstand. An der Beverly Hills High School war das anders.

Einige seiner Mitschüler trugen sogar berühmte Namen wie Goldwyn, Warner oder Zukor. Er interessierte sich damals zwar mehr für die Naturwissenschaften und besonders für Mathematik, hörte er aber gebannt zu, wenn sie Geschichten über das Filmgeschäft erzählten. Es fällt nicht schwer, darin die Initialzündung seiner späteren, beispiellosen Filmkarriere zu erkennen; immerhin eröffnet er seine Lebenserinnerungen damit. Zu allem Überfluss lässt sich darin gar noch eine Metapher entdecken. Das Wohlstandsgefälle war für den Teenager wohl kein unüberwindlicher Kulturschock. Er war ein Außenseiter, der aber doch dazugehörte. Als Produzent sollte sein Name keinen so ruhmreichen Klang haben wie der der Studiogründer. Seine frühen Exploitation-Filme kosteten wahrscheinlich weniger, als die Warners oder Goldwyns für einen Kindergeburtstag ausgaben. Aber eine Legende sollte er dennoch werden.

Für einen Geburtstagsartikel habe ich einige seiner alten Filme aus den 50er und 60ern wiedergesehen. Ein paar von ihnen altern besser als andere. Die Titel waren oft das Beste daran. Manche sind unwiderstehlich. Oft hatten seine Autoren nur sie als Anhaltspunkt für die Bücher, die sie in Windeseile für ihn schreiben sollten. Es ist nicht ganz falsch, in ihm eher ein Phänomen, als einen Filmemacher von hohen Graden zu sehen. Aber ich habe keinen Zweifel, dass auch »Teenage Caveman« oder »Attack of the Crab Monsters« mir, hätte ich ihrer habhaft werden können, so viel Vergnügen bereitet hätten wie »Not of this Earth« oder »The Mask of Red Death«. Vor allem sieht man ihn heute natürlich als den abenteuerlustigen Trash-Produzenten, der Leuten wie Peter Bogdanovich, Francis Coppola, Robert Towne, Monte Hellman und Jack Nicholson das Entree ins Filmgeschäft ermöglichte. Später kamen Jonathan Demme, John Sayles und James Cameron dazu. In der »Roger Corman Film School« lernten sie bestimmt mehr über das Filmemachen als an der Universität. Natürlich hatte der Fließbandproduzent keine Zeit, ihnen lange Vorträge zu halten. Er bevorzugte das Prinzip des on the job training. Was für eine begnadeter Pädagoge jedoch insgeheim in ihm steckt, kann man auf YouTube entdecken. Wie er beispielsweise die Odessa-Treppen-Sequenz in Eisensteins »Potemkin« analysiert, ist eine glänzende Lektion in Schnitttechnik. Wer weiß, wie viele seiner berühmten Schüler ihm heute wohl gratulieren werden?

Der Titel seiner Autobiographie, »How I made a hundred movies in Hollywood and never lost a dime«, ist eine freundliche Tiefstapelei. Als er das Buch 1990 veröffentlichte, umfasste seine Filmographie rund 300 Titel. 280 von ihnen hätten Gewinn abgeworfen, schreibt er im Vorwort. Seither sind noch etwas mehr als einhundert Produktionen hinzugekommen. Es ist kaum vorstellbar, dass der Portugiese Paulo Branco eine ebensolche Erfolgsbilanz ziehen könnte. Er hat als Produzent zwar erst 1975, also gut zwei Jahrzehnte später als Corman, begonnen. Aber seine Filmographie verzeichnet mittlerweile auch schon fast 270 Titel. Es ist kaum anzunehmen, dass Filme von Raul Ruiz, Manoel de Oliveira oder Philippe Garrel schon in der ersten Woche ihre Kosten einspielten, wie es viele von Cormans Horrorfilmen allein in Drive-in-Kinos taten. Brancos Produktivität verdankt sich weitgehend dem Mäzenatentum von Fernsehsendern und Förderungsinstitutionen. Auch er muss jeden Euro oder Dollar zweimal umdrehen, bevor er ihn ausgibt. Aber ebenso wie Corman ist er ein Außenseiter, der dazugehört.

Am Wochenende wurde bekannt, dass Branco nun Terry Gilliam beigesprungen ist, damit dieser endlich seinen »Don Quichotte«-Film drehen kann. Das ist eine gute Nachricht. Von dem epochalen Schiffbruch, den seine ersten Versuche vor fast anderthalb Jahrzehnten erlitten, haben Sie bestimmt schon gehört. Jean Rochefort und Johnny Depp sollten ursprünglich die Hauptrollen spielen, dann Robert Duvall und Ewan Mc Gregor. Es gibt auch einen faszinierenden Dokumentarfilm über die spektakulären Missgeschicke, die die Produktion plagten, »Lost in La Mancha«. Auch diesmal stand das Projekt unter üblen Vorzeichen: John Hurt, der die Titelfigur spielen soll, erkrankte vor einiger Zeit an Krebs. Jetzt scheint er wohlauf zu sein. Hoffen wir es. Man darf gespannt sein, was aus dem Film wird. Manchmal sind langgehegte Projekte ja bereits in ein Stadium der Überreife eingetreten, wenn sie endlich realisiert werden. Gilliam hat ein ganz neues Drehbuch geschrieben, das seine traumatischen Erlebnisse reflektiert. Nun geht es um einen jungen Regisseur, der seinen Quichotte in den Griff bekommen will. Ich halte das für keine so gute Nachricht. Im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen habe ich keine nennenswerte Schwäche für selbstreflexives Kino. Corman würde mir da wahrscheinlich zustimmen, obwohl sein Sinn für Ironie ja nicht zu unterschätzen ist. Ich setze meine Hoffnungen da mehr auf Hurt. Vielleicht wird sein Quichotte sogar denkwürdiger als der Frankenstein, den er in Cormans letzter Regiearbeit verkörperte. »Quichotte unbound«: das wäre nun wirklich ein unwiderstehlicher Titel für Gilliams Herzensangelegenheit.

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