Zurück aus der Entwicklungshölle

Überschriften sind immer ein Problem. Manchmal sind sie schon lange vorher da, was in der Regel ein gutes Zeichen ist. Meist jedoch bereiten sie Kopfzerbrechen und sind am Ende nur eine Notlösung. Im besten Fall jedoch besiegeln sie, dass ein Text seine endgültige Form gefunden hat: Wenn man auf eine Formel bringen kann, worum es geht, ist das ein verlässliches Indiz, dass man den Gegenstand hinreichend im Griff hat.

Dieser Eintrag beispielsweise hieß für eine Weile »Phönix in der Asche«. Das erschien mir bildhaft und anspielungsreich genug, außerdem wirkte es angemessen entzaubernd. Bei der jetzigen Kopfzeile stört mich die »Entwicklung«, die imir etwas zu sperrig ist. Aber ohne hätte es zu sehr nach einem alten Audie-Murphy-Film geklungen. Und sie bringt diejenigen Leser, die wissen, was development hell bedeutet, gleich auf die richtige Spur.

Ich vermute, bei der Suche nach Filmtiteln verhält es sich ähnlich. Da steht selbstverständlich viel mehr auf dem Spiel, da ist es ungleich wichtiger, Aufmerksamkeit zu erheischen. Sie müssen die Geschichte nicht unbedingt präzis benennen, sollten aber auf jeden Fall griffig sein. Heutzutage geht es schließlich verstärkt darum, Marken mit Wiedererkennungswert zu schaffen. Allerdings hege ich Zweifel, ob sich die Projekte, um die es im Folgenden geht, zu Franchises ausbauen lassen. Das soll nicht meine Sorge sein, aber »Coin Heist« klingt erst schon mal vielversprechender als »A Hole in the Mint« (obwohl es natürlich fraglich ist, ob Hartgeld heute wirklich noch die Phantasie der Zuschauer anregt); »The Silence of Six« gibt gleich eine Kaskade von Rätseln auf (Wer sind die Sechs? Weshalb schweigen sie? Warum fehlt das »the« vor den »Six«?); »Mary Rose« hat einen wehmütigen Klang im Hollywoodgeschäft, seit Hitchcock sein Vorhaben aufgab, das mysteriöse Stück von J.M. Barrie zu verfilmen; »Pasta Wars« scheint auf einen Film über Schutzgelderpressung hinzuweisen, handelt aber wohl um komische Zwistigkeiten unter Gourmets.

All diese Titel finden sich sich im Portfolio eines sehr jungen Hollywoodstudios (oder besser, da wir es diesmal semantisch ja sehr genau nehmen: eines Start-ups), von dessen Existenz ich vor ein paar Tagen durch einen Artikel in der »New York Times« erfuhr. Das Geschäftsmodell ist originell, obgleich es auf Wiederverwertung beruht. Der Name der Firma lautet »Adaptive«, was einerseits nicht vollends glücklich ist, da es »anpassungsfähig« an der in diesem Geschäft nötigen Aggressivität gebricht, andererseits aber ihr Konzept aber treffend beschreibt. Adaptive kauft Drehbücher von anderen Studios auf, deren Entwicklung diese längst aufgegeben und die seither in den Regalen Staub ansetzen. Gegründet wurde das Start-up 2012, ein Jahr später begann die Einkaufstour. Die Rechte an 50 Drehbüchern hat Adaptive seitdem erworben, die Hälfte davon bei Miramax. Über die Summen schweigt man sich aus. Ohnehin ist nicht ganz klar, wie tief deren Taschen sind. Die Budgets der geplanten Filme nehmen sich umsichtig und bescheiden aus. Einige der Scripts wurden zunächst als Romane adaptiert, was kostengünstiger ist und eventuell bereits eine gewisse Aufmerksamkeit schürt. Hoffen wir für die Kunden des Vertragspartners Barnes & Noble, dass diesen belletristischen Nebenprodukten nicht anzumerken ist, dass sie eben dies sind.

Ich finde die Geschäftsidee aus zwei Gründen bemerkenswert. Einerseits gemahnt sie daran, dass ein immenser, faszinierend unüberschaubarer Schattenmarkt existiert, auf dem Millionensummen versenkt werden für Drehbücher, aus denen dann doch nichts werden muss. Einen ursprünglichen Reiz müssen sie aber gehabt haben. Vielleicht waren sie sogar unwiderstehliche Visionen. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass etliche von ihnen frischer sind als die Diät der Sequels, Remakes und Reboots, die Hollywood seinem Publikum vorsetzt, dürfte extrem hoch sein.

Eigentlich müsste sich dies als eine erfreuliche, höchst optimistische Geschichte erzählen lassen, in der es um erloschene Träume geht, an die plötzlich wieder jemand glaubt. Sie würde vom Glück des zweiten Blicks handeln, vom Ende des Fegefeuers und einer Wiedergeburt; wenigstens aber doch von einer gewissen Beharrlichkeit der Überlieferung. Aber dank dieser Strategie erfüllen sich keine Autoren-, sondern Produzententräume. Das Studio legt augenscheinlich keinen Wert darauf, den ursprünglichen Urhebern eine Chance zu geben, ihre Visionen weiterzuentwickeln. Im Gegenteil, sie verpflichten andere Autoren, die die Drehbücher auseinandernehmen und dann wieder neu zusammensetzen. Die NY Times führt am Beispiel von »Coin Heist« eindrücklich vor, wie das aufgehen soll.

Wir sind hier Welten entfernt entfernt von dem schönen Wort Francois Truffauts, das Drehbuch sei ein Glücksversprechen. Auch er ging selbstverständlich davon aus, dass ein Anderer als der Autor dieses Versprechen einlösen soll, nämlich der Regisseur. An Respekt vor der Leistung der Drehbuchautoren fehlt es ihm nicht. Die europäische Auffassung von Urheberschaft und -recht lässt eine solche Enteignung, wie Adaptive sie betreiben kann, nicht ohne weiteres zu. Dessen Selbstverständnis als einer Medienfirma, die »premium content« für bereits vertraute oder entstehende Vertriebsformen liefern will, verrät eine mulmige Spitzfingrigkeit. Warum muss man Geschichten oder Stoffe überhaupt zum »content« entschärfen? Die Firmenpolitik scheint mir einer Schrotthändlermentalität zu entspringen. Andererseits, einige Gründerväter Hollywoods entstammten vor gut Hundert Jahren eben diesem Metier. Und es hat der Industrie nicht unbedingt geschadet, dass sie ihre Erfahrung in ein neues Medium übertrugen.

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