Eben noch ein Kind – und jetzt schon 90!

Jerry Lewis auf dem Cannes Film Festival 2013. © Georges Biard

Mir scheint, dass ich seine Filme bislang immer aus den falschen Gründen gemocht habe. Das ist insofern nicht weiter schlimm, dass es bei Jerry Lewis ohnehin stets um das Missverstehen der Welt geht. Andererseits ist es fatal. Denn wie kann man die Filme eines Komikers mögen, obwohl er die Hauptrolle spielt?

Seine Albernheit genierte mich. Merkwürdig, bei Louis de Funès störten mich die Grimassen und die Stromstoßgestik nicht. Vermutlich verdarben mir vor allem die falschen Zähne, die er oft trug, den Spaß. Vielleicht missfiel mir, dass ein so gut aussehender Mann wie er so unvorteilhafte Masken trug. Warum verbarg er sich dahinter? Insgeheim wäre es mir lieber gewesen, er hätte mehr Zeit damit verbracht, Buddy Love zu spielen, anstatt sie damit zu verplempern, Professor Kelp zu sein. Sie sehen schon, wie gründlich ich die Idee »Jerry Lewis« missverstand. Überdies stand ich tendenziell immer auf der Seite von Dean Martin, der ein so prächtig gelassener Partner für ihn war.

Das ist natürlich auch eine Altersfrage. Als Teenager verlief für mich da bereits eine unüberwindliche Peinlichkeitsgrenze: Seine Infantilität war ein Rückschritt, den ich nicht mehr machen wollte. Bei de Funès stellte sich dieses Problem nie, der schien ja immer schon erwachsen gewesen zu sein. Womöglich beging ich den gleichen Fehler wie unzähliger Amerikaner, die seiner irgendwann überdrüssig wurden, weil er ihnen die eigene Unreife rückhaltlos vor Augen führte. Ich war noch weit davon entfernt, ihn als hellsichtigen Soziologen zu entdecken, für mich war er vorerst noch der alberne, dynamische Unruhestifter.

Übermäßige Nachscham empfinde ich allerdings nicht. Denn Lewis' Buch »The Total Filmmaker« (Wie ich Filme mache) hatte ich damals schon verschlungen und sah mithin genau hin, wenn eine seiner Komödien lief. Was mir vor allem gefiel, war das Drumherum seiner Komik, die Art, wie Lewis (oder Frank Tashlin) das Ambiente drapierten. Ich war fasziniert von dem Amerikabild, das die Filme entwarfen, von den endlosen Straßen, durch die Jerry irrlichterte, und den Häusern, die sie säumten und deren Anmutung zwischen Moderne und erschlichenem Klassizismus schillerte. Besonders gefielen mir auch die vielen, nachsichtigen Frauen, mit denen er sich umgab: lauter hübsche Mädchen von nebenan, von denen sich in diesem Alter noch relativ unverfänglich träumen ließ. In der schönen Dokumentation, die Eckart Schmidt vor ein paar Jahren für den Bayerischen Rundfunk über ihn drehte (und in die ich Sonntag noch einmal hineingeriet – tatsächlich die einzige Sendung, mit der das deutsche Fernsehen ihn zu seinem 90. Geburtstag feiert; erstaunlich, wo er ihm doch jahrzehntelang so gute Quoten bescherte!) kann man in Augenschein nehmen, wie toll sie allesamt gealtert sind.

Einige seiner Filme habe ich tatsächlich noch zuerst im Kino entdeckt; nicht bei ihrer Erstauswertung, sondern später, in den 70ern, wo sie unter neuen Titeln immer wieder herauskamen. Sie gehörten auch in der ostwestfälischen Provinz noch zum Repertoire ganz normaler Kinos. Meist sah ich sie in Jugendvorstellungen, »Artists and Models« (Der Agentenschreck) hingegen an einem Sonntagabend, mit zwei Freunden meines älteren Bruders. Und »Der verrückte Professor« lief in einem Kino, in das man nicht pünktlich zu einer festgesetzten Vorstellung gehen musste, sondern einfach mittendrin einsteigen konnte. So habe ich ihn mir anderthalb mal angesehen und bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass der ansonsten quäkender Komiker auch ein guter Sänger war. Wenn ich mich nicht irre, gibt er als Buddy Love da eine sehr passable Version von »That old black magic« zum Besten. Damals fiel mir auch schon auf, wie raffiniert die erste Verwandlungsszene gedreht ist.

Weshalb sie so eindringlich wirkt, habe ich allerdings erst vor ein paar Jahren entdeckt, als ich für den »falter« in Wien ein längeres Porträt schrieb, da ihm die Viennale eine große Retro widmete. Das Wechselspiel aus Naher und Totaler ist in diesem Moment wirklich großartig: als hätte Lewis sein Leben lang nichts anderes getan, als Horrorfilme zu drehen. Mein Redakteur hatte die hübsche Idee, den Text ein »Bekehrungsprotokoll« zu nennen. Das war er in der Tat. Bei der neuerlichen Sichtung seiner Filme fiel mir auf, was für ein begnadeter Handwerker Lewis als Regisseur tatsächlich war. Sein Gespür für Rauminszenierung ist wunderbar. Das zeigen allein schon die Kranfahrten, mit denen er in »The Ladies Man« (Zu heiß gebadet) das grandiose Dekor der Frauenpension erkundet. Er stellt eine ungeheure Spannung her zwischen Leere und drangvoller Enge. Wie er in Windeseile den Ballsaal des Hotels in »The Bellboy« (Hallo Page!) mit Sitzen füllt, ist genial. Auch die Tonspur ist bei ihm brillant orchestriert. Er entlockt ihr das gesamte Spektrum zwischen Stille und Lärm, mit vielen, vielen Zwischentönen. Wunderbar, dass man das Quietschen der Gummisohlen auch noch hört, nachdem er sie in »Der verrückte Professor« ausgezogen hat! Also viele Gründe, dem Geburtstagskind dankbar zu sein.

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