Ausgelassene Melancholie

Krzysztof Komeda

Ein berühmter Mann, meinte Albert Camus einmal, braucht keinen Vornamen. Camus wusste, wovon er sprach. Der Nachname bürgt für eine Familiarität, die unverwechselbarer ist. Als in »Die unschuldigen Zauberer« eine der Nebenfiguren mit »Komeda« angesprochen wird, wusste das polnische Publikum 1960 sofort, wer gemeint ist.

Der Jazzpianist und Bandleader, dessen Vornahme wahlweise Krzysztof oder später im Westen Christophe bzw. Christopher geschrieben wird, muss seinerzeit ein echtes Jugendidol gewesen sein. In Andrzej Wajdas Film spielt sich, ein wenig ungelenk und ziemlich cool, selbst. Vier Jahre zuvor wurden er und sein Sextett schlagartig durch ihren Auftritt beim Jazzfestival von Sopot/Zoppot berühmt. Der gelernte Arzt trug maßgeblich dazu bei, dass der polnische Jazz Weltruhm erlangte. Der junge Filmstudent Roman Polanski muss von dessen Fama ziemlich beeindruckt und vielleicht auch eingeschüchtert gewesen sein, als er ihn fragte, ob er seinen Kurzfilm »Zwei Männer und ein Schrank« vertonen wolle. Komedas Zusage war dann wie ein Art Ritterschlag. Sie signalisierte dem Publikum, dass das, was auf der Leinwand geschieht, der musikalischen Begleitung würdig ist. Komedas Partitur ist fast durchkomponiert, es gibt kaum einen Moment der Stille in dieser eigensinnigen Verbindung von Jazz und Slapstick. Die Musik hat ein Flair des Urbanen, das von den sacht folkloristischen Anklängen nicht dementiert wird. Polanskis Kurzfilme sind fast noch Stummfilme, aber sehr empfänglich für Geräusche.

Das Berliner Arsenal stellt den Komponisten und Musiker nun mit einer repräsentativen Auswahl von 14 aus insgesamt rund 60 Filmen vor, die er in wenig mehr als einem Jahrzehnt vertonte. Eigentlich fehlt nur ein wichtiger Strang in diesem Werk, der Animationsfilm, dem Komeda 1966 mit »Rondo« einen Glanzpunkt aufsetzte. Hans-Joachim Fetzers Text führt im Programmheft kundig in Komedas Filmschaffen ein. Eine der schönsten Entdeckungen ist tatsächlich »Die unschuldigen Zauberer«, eine verblüffend leichtfüßige Komödie, in der die Liebe triumphiert, weil die Liebenden entdecken, dass sie sich nicht gegenseitig, sondern selbst überlisten müssen. Hier wird der Jazz ganz klassisch als Ausdruck des Lebensgefühls einer Generation eingesetzt: Ihm eignet eine wunderbar ausgelassene Melancholie.

Jazz ist ihm Kino und im Leben ja stets Beides: Rebellion und Rückzug in die Intimität. Bei Komeda fungiert er nicht allein als komfortable stimmungsvolle Begleitung. verzichtet er gern auf Musik. Selbstverständlich schafft er eine Atmosphäre. Aber er ist zu frei und selbstbewusst, um nur Hintergrund zu bleiben. Komedas Musik illustriert nicht, was auf der Leinwand zu sehen ist. Manchmal hingegen erzählt sie von dem, was nicht zu sehen ist.

»Das Messer im Wasser« (1962)

Es ist bemerkenswert, wie sehr sich Komeda als Pianist in den Filmen zurücknimmt. In Polanskis Langfilmdebüt »Das Messer im Wasser« bleibt sein Instrument dezent unverzichtbar. Stimmung und Dramatik gehen auf das Konto des Saxophons, das sich an der Dynamik der klaustrophobischen Bildausschnitte inspiriert. Generell haben bei ihm meist die Bläser Vorrang. Ein berühmter Mann ist also auch einer, der seinen Partnern den Vortritt lassen kann. Eine stärkere Präsenz gewinnt sein eigenes Instrument in Polanskis »Wenn Katelbach kommt«, in dem sich erstaunlich sonnige Klavierpassagen finden, die eigentlich Lounge-Klassiker sein müssten.

Tatsächlich komponiert er Filmmusik wie ein Bandleader, der seine Mitspieler zu Soli ermutigt. Man denke nur einmal daran, wie in »Das Messer im Wasser« nach einer langen musikalischen Pause durch das Ertönen einer Bassfigur Spannung entsteht. Gern verstrickt er die Solisten aber auch in einen Dialog. Gewitzt ist die Zwiesprache von Bass und Posaune, als Polanski in »Tanz der Vampire« dem Buckligen folgt. In Jerzy Skolimowskis »Barriere« verstrickt Komedas Pianot den Bass und später das Vibraphon in ein Duett.

»Der Start«, den Skolimowski 1967 in Belgien dreht, ist die Apotheose seiner Jazz-Soundtracks. Anfangs legt ein Chanson, das Michel Legrands Schwester Christiane singt, noch eine hübsche, falsche Spur aus. Doch dann begibt sich die Musik ganz in den Bewegungsrausch des Films, dessen Protagonist von Autorennen besessen ist. Seine burleske Streitsucht findet ihren Widerhall. Die Bläser sind nicht nur schmissig, sondern können schroff klingen. Komeda kann über international bekannte Solisten verfügen, Don Cherry und Gato Barbieri. Er selbst steuert eine funkelnde Piano-Partie bei, als Jean-Pierre Léaud und das Mädchen auf dem Motorroller fahren. Als die Zwei später einen Spiegel durch die Stadt transportieren, trifft die Musik den angemessen verspielten Ton genau. Einmal, ich glaube, nach der Bikini-Modenschau, entsteht ein rhythmischer Suspense, als Komeda lasziv eine Pause setzt.

Mit der Zeit verändert sich seine Musik, hört insgeheim aber nie ganz auf, Jazz zu sein. Komeda wandelt sich mit seinen Regisseuren; nicht nur in deren Schlepptau, sondern auch auf eigene Rechnung. Schon früh, in »Wenn Engel fallen« von 1959, eignet er sich neue Farben an, wenn er einige Kapitel polnischer Zeitgeschichte lyrisch (mal mit einer Flöte, mal mit einer tragischen Trompete) rekapituliert. Ab Mitte der 60er bekommt die menschliche Stimme mehr Raum, der Chorgesang wird wichtiger; etwa als vergnügter Auftakt zum »Tanz der Vampire«. Sein berühmtestes Stück wird das Wiegenlied aus »Rosemary's Baby«. Seine Partituren gewinnen neue Zuständigkeiten. In Skolimowskis »Barriere« zitiert er ironisch andere, fremde Idiome. Zu Beginn der Knut-Hamsun-Verfilmung »Hunger« erklingt 1966 ein Leierkasten, später ein verstimmtes Klavier, welches das brüchige Verhältnis der Hauptfigur zur Wirklichkeit akzentuiert. Hier leistet seine Musik dem regen Innenleben eines Verlorenen Gesellschaft.

Mit dem Dänen Henning Carlsen machte er noch einige interessante Filme. Wer weiß, wohin Komeda sein Weg noch geführt hätte? Aber er nahm kein gutes Ende. 1969, da war er fast schon in Hollywood angekommen, stürzte er nach einer durchzechten Nacht und erlag einer Hirnblutung. Das Schicksal kann manchmal ziemlich idiotisch sein.

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