Tigersprung

»Mission: Impossible – Rogue Nation« (2015). © Paramount Pictures

Vor bald 15 Jahren unternahm ich eine Rundreise durch China. Das war eine strikt touristische Angelegenheit: Unsere Reisegruppe besuchte die Metropolen, die Mauer und die Terrakotta-Armee. Eines Tages verschlug es uns in ein Dorf, das offenbar berühmt war für seine Medizinmänner. Ein kurzer Fingerdruck auf den Puls genügte ihnen, um umfassend Auskunft geben zu können über den Gesundheitszustand ihres Gegenübers. 

Befestigte Straßen gab es kaum in dem Dorf, dafür aber ein Kino. Ich staunte nicht schlecht über das aktuelle Programm, denn es lief »Mission:Impossible 2« von John Woo. Es erschien mir als ein haarsträubender, aber womöglich auch bezeichnender Zufall, an diesem entlegenen Ort auf den Hollywood-Blockbuster eines Hongkong-Regisseurs zu stoßen. Seinerzeit, im Herbst 2000, herrschte noch eine strengere Quotenregelung als heute: Nur 20 ausländische Filme durften pro Jahr in Festlandchina in die Kinos kommen. (Diese Quote ist eines der großen Mysterien für mich - es wärte interessant herauszufinden, was darunter an westlichem und asiatischem Kino laufen und vor allem, wie erfolgreiuch laufen konnte. Ich erinnere mich allerdings noch lebhaft an eine Meldung aus den 1970er Jahren, der zu Folge mit Jahrzehnten Verspätung "Die Trapp Familie" von Wolfgang Liebeneiner anlief und angeblich alle Rekode brach).

Wir blieben nicht lange genug in dem Dorf, als dass ich hätte überprüfen können, wie viele Zuschauer sich für die nächste Vorstellung zusammenfanden. Ich vermute, es waren wenige. Aus den Großstädten war er schon verschwunden, da war mir kein Plakat ins Auge gefallen. Aber wer weiß, wie der Film sich im Ende seiner Verwertungskette schlug? Immerhin war nicht auszuschließen, dass auch dem chinesischen Provinzpublikum die Namen Paramount, Tom Cruise und John Woo etwas sagten, denn schon damals war das Reich der Mitte ein Riesenmarkt für Raubkopien. Und eigentlich besaß die Präsenz von »M:I 2« an diesem fernen Ort ja eine schöne Triftigkeit, denn als einer der ersten Spionagefilme machte er sich Gedanken darüber, wie man das Genre in einer globalisierten Welt neu verankern könnte. Wie präzis er diverse andere Verwerfungen vorwegnahm, war damals nicht abzusehen.  

Ich erinnere mich noch, dass ich damals all meine Postkarten keck mit dem Satz beendete »Schöne Grüße aus der sehr kapitalistischen Volksrepublik«. Das fand ich zutreffend angesichts des Geschäftssinnes, dessen wir arglosen Touristen allerorten inne werden konnten. Ins Kino ging ich erst auf der letzten Station der Reise, Hongkong. Dort sah ich mir »In the mood for love« an, den ich zwar auch schon kannte, der mir aber in diesem Ambiente noch umso mehr gefiel. Seinerzeit hatte ich noch den Eindruck, das Hongkong-Kino stünde nach wie vor in voller künstlerischer und ökonomischer Blüte.Zwei Jahre später belehrte mich ein Interview mit der Regisseurin Ann Hui eines Besseren. Sie erzählte mir während der Berlinale, wie niedergeschlagen ihre Kollegen waren - nun, fünf Jahre, nachdem Hongkong aufgehört hatte, eine britische Kronkolonie zu sein. Sie schilderte mir eine bedrückende Atmosphäre, sprach von einem lähmenden Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem prosperierenden, auftrumpfenden Festlandchina. Heute hat sich die Situation noch zugespitzt, wie ich einem höchst aufschlussreichen Artikel der Korrespondentin Vivienne Chow entnahm, der unlängst im Berliner »Tagesspiegel« erschien. 

Im Jahre 2002 konnten weder Ann Hui noch ich uns vorstellen, wie rasant sich der Filmmarkt in Festlandchina entwickeln würde. Einige Jahre später fingen die Hollywoodstudios an, die Importquote durch Co-Produktionen mit China zu umgehen. Filme wie »Die Kinder der Seidenstraße«, »Shanghai« oder das Remake von »Der bunte Schleier« waren zwar allesamt Misserfolge, aber man war zumindest schon einmal ins Geschäft gekommen miteinander. Vor ein paar Jahren fiel mir auf, dass die »Los Angeles Times« eine eigene Kolumne über den chinesischen Filmmarkt ins Leben gerufen hat (»Reel China«); die Branchenblätter »Variety« und »Hollywood Reporter« verfolgen ohnehin schon länger ganz genau, was dort passiert. Nirgendwo sonst entstehen so viele neue Kinosäle – die Investorengruppe »Wanda« eröffnet im Schnitt zwei neue Multiplexe pro Monat. Deren Expansionskurs ist nicht auf China beschränkt, sie hat mit AMC bereits die zweitgrößte Kinokette in den USA gekauft und schaut sich zur Zeit um, was sich in England und anderswo akquirieren ließe. 

China hat Russland längst als den am schnellsten wachsenden Markt überholt. Mittlerweile ist es der zweitgrößte nach den USA. Im letzten Februar war sein Umsatz sogar größer als dort. Analysten erklärten dies anfangs noch damit, dass Januar und Februar traditionell die schwächsten Monate im amerikanischen Filmgeschäft seien. Aber die Entwicklung konsolidiert sich. Filme wie »Monster Hunt« (eine Komödie über ein putzig rettichartiges Ungeheuer) generieren in ihren ersten Startwochen Einnahmen in Dimensionen, die man sonst nur von mittleren Hollywood-Blockbustern kennt. Im Juli verzeichnete China mit 159 Millionen verkaufter Kinokarten einen neuen Rekord - das sind etwa so viele wie in Deutschland in einem Jahr. Und dabei handelt es sich um die black out period .- ein Zeitfenster im Sommer, das frei von Importen gehalten wird, damit der eigene Marktanteil auf hohem Niveau gesichert bleibt.

Die großen US-Studios wissen China nicht mehr nur als Exportmarkt zu schätzen. Man hat auch begriffen, dass es dort Partner gibt, die tiefe Taschen haben. Im Vorspann von »Rogue Nation«, dem 5. Teil der »Mission:Impossible«-Saga, tauchen die Amazon-Konkurrenz »Alibaba« sowie der »China Movie Channel« als Co-Produzenten auf. Damit zeichnet sich ein neues Modell der Kooperation ab, denn in China wurde keine einzige Szene gedreht. Allerdings liefert eine Inszenierung von Puccinis blutrünstiger Chinoiserie »Turandot« den Hintergrund für eine der spektakulärsten Action-Sequenzen. Ob derlei Ironie den Partnern in der Volksrepublik genehm ist? Die chinesische Zensur hatte jedenfalls keine Einwände, der Film startet im September. Er wird bestimmt auch in manchem entlegenen Dorf laufen. Ein haarsträubender Zufall wird das nicht mehr sein, aber sicher bezeichnend.   

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