Ein Volksschauspieler

Bob Hoskins in "Falsches Spiel mit Roger Rabbit " (1988)

Die Kamera ist ein Vergrößerungsglas: Sie überhöht die Geschehnisse und die physische Präsenz der Darsteller. Allerdings ist sie ein parteiisches, bestechliches Messinstrument. Bob Hoskins galt als ein kleinwüchsiger Schauspieler, dabei war er nicht einmal drei Zentimeter kleiner als Tom Cruise, James Cagney, Dustin Hoffman und Michael J.Fox (der wie er an Parkinson erkrankte) überragte er sogar ein wenig.

Ich mochte ihn sehr, seit er mir zum ersten Mal als Gangster von gedrungener Gestalt und voller großspuriger Pläne in The Long Good Friday auffiel. Er war ein Blickfang in jedem Film, in dem er auftrat.

Einen seiner schönsten Filmauftritte hatte er als Gangsterboss Owney Madden in Cotton Club (1984) an der Seite von Fred Gwynne, der geschlagene 30 Zentimeter größer war als er. Sie spielen ehemalige Rivalen, die zu Freunden geworden sind. Ihr verschmitzter Streit um eine Uhr gehört für mich zu den komödiantischen Kabinettstücken des Neuen Hollywood, denn hier begegneten sich zwei Vollblutschauspieler auf Augenhöhe.

Natürlich spielen viele seiner romantischen Rollen mit dem Augenschein der Asymmetrie. Es besitzt großes Pathos, wie er sich in Mona Lisa (1986) als Chauffeur in ein glamouröses Callgirls verliebt. Mit Helen Mirren hingegen bildet er in The Long Good Friday (Riffifi am Karfreitag,1980) eines der großartigsten Gangsterpärchen der Filmgeschichte: eine Doppelstudie unverbrüchlicher Loyalität. Auch sein Umwerben der hochgewachsenen Cher in Mermaids (Meejungfrauen küssen besser, 1990) ist keine Mesaillance, sondern Spielfeld seines robusten Charmes. Auch neben Jessica, der gezeichneten Femme fatale in seinem größten Kassenerfolg Who framed Roger Rabbit (Falsches Spiel mit Rober Rabbit, 1990) machte er eine ausnehmend gute Figur: Es war eine kluge Idee, einen so bodenständigen Schauspieler wie ihn in die Zeichentrickwelt zu schicken.

Auch wenn ihn seine Erscheinung und seine Cockney-Herkunft für proletarische und Gangsterrollen prädestinierten, war sein Spektrum breiter. Er verkörperte nicht nur glaubhaft underdogs, sondern auch Machthaber wie Winston Churchill, J. Edgar Hoover, Benito Mussollini, Papst Johnannes XXIII und Manuel Noriega. Es fehlte ihm nicht an viriler Entschlossenheit. Dass er 1999 in Felicias Journey (Felicia, mein Engel) einen Serienmörder spielte, hat mich verblüfft. Als trauernder Freund an der Seite von Michael Caine, David Hemmings und Helen Mirren in Last Orders (Letzte Runde, 2001) und als Theaterimpresario in Mrs. Henderson presents (Lady Henderson präsentiert, 2005) bewies er seine heroische Zuverlässigkeit. Ein repräsentativer Darsteller - also einer, der aussieht und agiert wie sein Publikum - war er nur beinahe, denn als Energiebündel suchte er seinesgleichen. Mitunter ging sein Temperament mit ihm durch, sein Minen- und Körperspiel hätte ich mir vor allem in Komödien bisweilen zurückhaltender gewünscht. War er ein Instinktschauspieler, für den Gefühl und Ausdruck identisch sind? Immerhin kam er mit einer soliden Bühnen- und Lebenserfahrung zum Kino: Wie aus der britischen Presse zu erfahren ist, arbeitete er als Fensterputzer, Klempner (wovon sein Auftritt in Brazil bestimmt profitierte), Lastwagenfahrer, Straßenarbeiter, Seemann und Buchmacher; offenbar verband sich seine Bodenständigkeit mit Fernweh, denn mit Anfang 20 ging er in einen Kibbuz und stieß kurz darauf in Syrien zu einem Beduinenstamm, dessen Kamele er hütete. Vor drei Jahren wurde bei ihm Parkinson diagnostiziert, Snow White and the Huntsmen war sein letzter Film. Am vergangenen Dienstag ist er in London 71jährig an einer Lungenentzündung gestorben. Seit ich ernsthaft anfing, mich mit dem Kino zu beschäftigen, war er eigentlich immer für mich präsent und wird mir deshalb fehlen.

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