Sky: »Der Tätowierer von Auschwitz«

»Der Tätowierer von Auschwitz« (Miniserie, 2024). © Sky UK Limited

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Liebe als Waffe des Überlebens

Wie kann man von Auschwitz filmisch erzählen? Diese Frage muss unbeantwortet bleiben. Zu gewaltig ist allein schon das Ausmaß des Grauens dieser fabrikmäßigen Menschenvernichtung, als dass man es in wenigen Stunden fassbar machen könnte. In dieser sechsteiligen Serie wird gleich zu Beginn durch die Hauptfigur Lali Sokolov (geboren als Ludwig Eisenberg) klargestellt, dass es um seine Liebesgeschichte mit Gita gehe, die er im Lager kennenlernte. Als alter Mann engagiert Lali, seit langem ins australische Melbourne emigriert, 2003 eine angehende Autorin dazu, seine Geschichte aufzuschreiben. Aus diesen Interviews entstand ein Buch, für das die Verfasserin Heather Morris erst 2018 einen Verleger fand und das zum internationalen Bestseller aufstieg. Nach der Veröffentlichung wurden Zweifel hinsichtlich mancher Details des Lagerlebens, an das sich der 2006 verstorbene Sokolov erinnerte, laut. In der Serie werden diese Unstimmigkeiten sehr geschickt eingebaut: als Zeichen der lückenhaften, auch geschönten, verdrängten Erinnerung des alten Mannes. So teilt sich die Handlung in zwei Zeitebenen, die 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und die komfortablen 2000er Jahre der Jetztzeit. Lalis durchsonnte Wohnung und seine Ausflüge mit Heather ans Meer bieten Atempausen zu den kaum aushaltbaren KZ-Gräueln. Doch auf der Couch sitzen auch die Geister der Vergangenheit, kommentieren und korrigieren Lalis Erinnerungen.

Im Comicroman »Maus«, in dem Art Spiegelman sich selbst beim Befragen seines Vaters, eines Auschwitzüberlebenden, einbrachte, wurde die Figur des unzuverlässigen Zeitzeugen erstmals entwickelt. Hier dient Lalis Liebe zu Gita als roter Faden und Handlungsmotor: Lali rettet sich, um Gita zu retten. Und so entwickelt sich der Bericht des alten Lali zur Beichte, in der er es unter Schmerzen zulässt, dass die Scheußlichkeiten, die auch er in diesem Überlebenskampf beging, wieder in sein Bewusstsein drängen.

Bald nach der Ankunft im Lager 1942 lässt sich Lali, ein slowakischer Jude, vom Tätowierer, der Neuankömmlingen die Identifikationsnummern in den Arm sticht, als Helfer rekrutieren. Diese Arbeit verschafft ihm gewisse Erleichterungen, zumal ihn der junge SS-Offizier Stefan Baretzki zu seinem Handlanger macht. Baretzki ist ein Psychopath, der wahllos Menschen erschießt und verprügelt. Und doch hilft er Lali, Gita zu treffen, ermöglicht ihm, als die junge Frau an einem Wundinfekt erkrankt gar die Beschaffung von Medizin. Der Preis für die Medikamente besteht jedoch darin, andere Patientinnen, Opfer der Experimente eines Arztes, jämmerlich erfrieren zu lassen. Baretzki beteiligt sich auch an dem Schwarzhandel, den Lali mit Gita, die die Koffer der Neuankömmlinge nach Wertvollem durchsuchen muss, aufzieht. Das Lager, Pandämonium des Schreckens, ist zugleich ein Ort, in dem Menschen sich helfen, Wärter sich bestechen lassen, kleine Wunder geschehen. Die Romantik dieser Liebe inmitten der Hölle wird zur Waffe im Überlebenskampf, die Hoffnung zum Antidot gegen die Verzweiflung. Und doch werden im Räderwerk der Vernichtungsmaschinerie fast alle zermalmt. Lalis Erinnerung an die Toten wird durch Einschübe von reglos in die Kamera blickenden Menschen verdeutlicht.

Sein Bericht endet nicht mit der Befreiung, sondern schildert auch die Schreckensherrschaft der sowjetischen Soldaten. Selbst in Australien wird Lali von der Vergangenheit heimgesucht, als er Post vom Anwalt des Kriegsverbrechers Baretzki bekommt und eine entlastende Aussage machen soll. Ein Killer, der zugleich »wie ein Bruder« war: Wie kommt man mit diesem Zwiespalt klar? Harvey Keitel fesselt als ein von Schuldgefühlen und Trauer zerrissener Greis mühelos die Aufmerksamkeit – während sein junges Alter Ego, Jonah Hauer-King, fast naturgemäß von Jonas Nay als gleichzeitig sadistischem und zugewandten Schurken an die Wand gespielt wird. Und so bleibt diese eindrucksvolle Serie weniger durch die Veranschaulichung der physischen Grausamkeit im Gedächtnis als durch das zwischenmenschliche Drama, das in diesen Streiflichtern auf den KZ-Alltag aufscheint. 

OV-Trailer

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