Sky: »22. Juli – Die Schüsse von München«

»22. Juli – Die Schüsse von München« (Serie, 2022). © Sky/Constantin Documentation

© Sky/Constantin Documentation

Vollkommen zerrissen

Schulmassaker kennt man aus den USA. Im vergangenen Jahrzehnt wurden Amokläufe von Jugendlichen leider auch in Deutschland beobachtet. Zu diesen unfassbaren Vorfällen zählt das Attentat, bei dem ein Todesschütze am 22. Juli 2016 am Münchener Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschoss und anschließend Suizid verübte.

In seiner vierteiligen Skyserie beleuchtet Johannes Preuss die Hintergründe. Neben Reportern, Politikern und Polizisten kommen Angehörige der Opfer zu Wort. Die Schilderung eines Vaters, der zunächst seinen erschossenen Sohn am Boden liegen sieht, daraufhin in den Pistolenlauf des Mörders schaut – und nur dank einer Ladehemmung überlebt –, geht unter die Haut. Mit Handyvideos dokumentiert werden zudem massenartige Panikreaktionen, die wegen Falschinformationen in ganz München ausbrachen.

Thema des Vierteilers ist vor allem die Auseinandersetzung um Deutungshoheit. So stufte die Polizei die Morde des 18-jährigen Deutsch-Iraners zunächst als unpolitischen Amoklauf ein. Später interpretierte man die Bluttat um. Sie gilt heute als politisch motiviertes Hassverbrechen. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass der Killer eine bestimmte ethnische Gruppe verantwortlich machte für Schikanen, die er an seiner Schule erleiden musste.

Wurde der Mörder, so eine ehemalige Landtagsabgeordnete, von Mitschülern gemobbt, weil er rechts war? Dafür spricht, dass er wie Adolf Hitler am 20. April Geburtstag hatte und damit prahlte. Außerdem verübte er seine Bluttat am fünften Jahrestag jenes Massakers, bei dem der geistig verwirrte Norweger Anders Breivik in Oslo und Umgebung 77 Menschen getötet hatte. Diese Fakten sind eindeutig, so scheint es.

Man kann die Frage nach der Motivation aber auch andersherum stellen: Flüchtete der Mörder in rechtes Gedankengut, weil er von Mitschülern gehänselt wurde? Ausführlich schildert eine Schulkameradin, wie der spätere Attentäter an der Münchener Toni-Pfülf-Mittelschule über Jahre hinweg gemobbt wurde. Lehrer ließen ihn im Stich. Sie postierten seinen Tisch einfach vor der Klassentüre.

Mit diesen Schikanen hängt offenbar jene »schwere Persönlichkeitsstörung« zusammen, die eine Psychologin diagnostizierte, bei der er in stationärer Behandlung war. Johannes Preuss' Vierteiler verdeutlicht auch, dass der Attentäter von München sich in die virtuelle Welt von Gaming-Plattformen flüchtete. Als Sohn iranischer Flüchtlinge führte er zunächst den arabischen Namen Ali, um sich später den jüdischen Namen David Somboli zu geben.

Die Gemengelage zwischen manifesten psychischen Störungen und einer Radikalisierung durch Chatforen, in denen Wirrköpfe Schulmassaker in Hitparaden auflisten, führte offenbar zur Amoktat von München. Tenor dieses vielstimmigen Mosaiks an Fakten: Der Todesschütze war innerlich vollkommen zerrissen. Die vierteilige Dokureihe ist überaus sehenswert, auch wenn sie einige relevante Zusammenhänge nur unscharf darstellt.

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