RTL+: »Line of Duty«

»Line of Duty« (Staffel 6, 2021). Foto: RTL / © WPLOD6 Ltd. MMXX

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Ständig dieser Druck

Die sechste Folge der Serie ist zu Ende. Eine steht noch aus. Das große Finale. »Sind Sie ebenfalls besessen von »Line of Duty«?«, fragt der BBC-Sprecher, während der Abspann läuft. »Ich bin es.« Ob Werbespruch oder nicht, einen Sonntag später schalteten 12,8 Millionen (56,2 Prozent Marktanteil) das Serienfinale von »Line of Duty« ein. In der BBC die höchste Zuschauerzahl einer Dramaserie seit 2002. Zum Vergleich: Der meistgeschaute »Tatort« 2021 kam auf 14,37 Millionen Zuschauer (39,6 Prozent Marktanteil).

Dabei leistet sich der alleinige Autor Jed Mercurio Dinge, die deutsche Redaktionen wohl monieren würden. Dem Publikum fliegen Kürzel wie MIT, OCG, CPD, SIO, ETA und kriminalistisches Kauderwelsch nur so um die Ohren. Die Ermittler sagen die Paragrafen auf, gegen die die Verdächtigen verstoßen haben sollen oder die ihnen gewisse Rechte sichern. Vernehmungen sind langwierig und mühsam.

Aus deutscher Warte vielleicht ebenfalls erstaunlich: Bei einer Festnahme bleiben die Ermittler brav im Auto. Das Erstürmen von Wohnungen oder Büros übernehmen die einschlägig geschulten Sondereinheiten. Der Erkennungsdienst folgt auf dem Fuße und steckt Verdächtige zwecks Beweissicherung gleich in Schutzanzüge. Forensische Informatiker, forensische Ballistiker, selbst forensische Linguisten leisten Beiträge zur Aufklärung der Fälle.

Trotz dieser Umstandskrämerei ist »Line of Duty« unglaublich spannend. Jed Mercurio beherrscht die Techniken – Thrill, Suspense, Binnen-Cliffhanger. Ein Lehrbeispiel. 2019 kürte man ihn beim Banff Television Festival für »Line of Duty« und »Bodyguard« zum »Showrunner of the Year«.

Mercurios fiktive Dienststelle AC-12 – angelehnt an die real existierende Antikorruptionseinheit der britischen Polizei namens A10 –, befasst sich mit Fehlverhalten innerhalb der polizeilichen Behörden. Korruption – abgeleitet vom lateinischen Verb »corrumpere« – bedeutet Bestechlichkeit, aber auch Fahrlässigkeit, Fehlverhalten, Führungsmängel.

Die erste Staffel begann damit, dass bei einem Anti-Terror-Einsatz ein Unschuldiger zu Tode kam und der beteiligte Ermittler Steve Arnott (Martin Compston) nicht an der Vertuschung des Vorfalls mitwirken mochte. Er stieß zur Antikorruptionseinheit des knorrigen Abteilungsleiters Ted Hastings (Adrian Dunbar). Ihr gehört auch die verdeckte Ermittlerin Kate Fleming (Vicky McClure) an, die später in den regulären Dienst wechseln wird. Ein weiterer Kollege ist Matthew »Dot« Cottan (Craig Parkinson). Kleine Abschweifung: Martin Compston und Craig Parkinson standen sich schon 2010 im Kinofilm »Soulboy« als Widersacher gegenüber.

Die Tätigkeit in der AC-12 ist um einiges aufreibender als der gewöhnliche Polizeidienst. Mit ihren Ermittlungen im Kollegium machen sich die Fahnder keine Freunde. Selbst in der eigenen Abteilung kommt es zu Verdächtigungen, nicht zuletzt, weil jemand mit Einfluss die Arbeit der AC-12 immer wieder sabotiert. Ein Handlungsbogen, der sich durch sämtliche Staffeln zieht.

Kate Fleming wollte diesem Klima entkommen. Zu Beginn der sechsten Staffel arbeitet sie im Kriminaldienst der Hillside-Dienststelle. Auch dort herrscht Druck: Es gibt noch immer keine Ergebnisse im Fall der ermordeten Fernsehjournalistin Gail Vella, die über Polizeikorruption und das organisierte Verbrechen recherchierte. Als ein Hinweis auf einen Verdächtigen eingeht, rückt eine Kolonne aus Kriminalisten und Einsatzkommandos aus. Dabei kommt es zu einem unerwarteten Zwischenfall. Im Vorbeifahren beobachtet Detective Chief Inspector Joanne Davidson (Kelly Macdonald) einen Lieferwagen, der offenbar als Fluchtauto für einen Raubüberfall dient. Sie weist die Teams an, vom eigentlichen Ziel abweichend dort einzugreifen. Sie behält vermeintlich recht. Wenig später stürmen Bewaffnete ins Freie und werden dingfest gemacht. Anschließend geht es weiter zum eigentlichen Einsatz. Der Verdächtige kann festgenommen werden, erweist sich aber als geistig behindert. Man hatte ihm eingeredet, er solle sich für den Gesuchten ausgeben. Dann meldet Police Sergeant Farida Jatri (Anneika Rose) Davidsons Verhalten der AC-12 als irritierend. Arnett und seine neue Kollegin Chloe Bishop (Shalom Brune-Franklin) nehmen Vorermittlungen auf, stoßen tatsächlich auf Ungereimtheiten, finden aber auch heraus, dass Jatri gerade von Davidson verlassen wurde. Waren die Anschuldigungen nur die Rache einer enttäuschten Geliebten?

AC-12 ermittelt nun selbst im Fall der ermordeten Journalistin und gelangt zu einem Skandal um groß angelegten Kindesmissbrauch, in den Prominente wie der TV-Moderator Jimmy Savile – hier verarbeitet Jed Mercurio einen realen Kriminalfall, andere Zusammenhänge deutet er an – und hochstehende Polizeibeamte verwickelt waren.

Es gibt Rückschläge, Behinderungen von übergeordneten Stellen, auch mal ein zünftiges Feuergefecht. Aber es sind nicht derlei Action-Elemente, die für Hochspannung sorgen, sondern die trotz einiger Drehbuchschwächen fesselnd gewebte Handlung und – im ersten Beruf war Jed Mercurio Mediziner – die überzeugende Figurenpsychologie.

Staffel 6 – OV-Trailer

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