MagentaTV: »Oh Hell«

»Oh Hell« (Serie, 2022). © MagentaTV/Conny Klein/goodfriends Filmproduktions GmbH

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Die Chaosqueen

Die Hölle, sagte Jean-Paul Sartre, das sind die Anderen. Da ist sicherlich etwas dran. Doch der 24-jährigen Helene machen nicht nur böse Mitmenschen das Leben schwer. Sie selbst hat ihren Anteil. Nicht umsonst hört Helene auf den Rufnamen Hell. Ihr innerer Autopilot lotst sie von einer Katastrophe in die nächste. Statt Juravorlesungen an der Uni zu hören, wie ihr Vater glaubt, schlägt Hell sich mit Gelegenheitsjobs durch. Dabei geht immer etwas schief. Ihre Stelle als Kindergärtnerin verliert sie, weil sie den Spielplatz mit einem militärischen Truppenübungsgelände verwechselt. Selbst wenn sie nur eine Zigarettenkippe wegschnippt, entsteht prompt ein Waldbrand.

Ersonnen hat diese Figur Johannes Boss. Wie schon in der Krimi-Comedy »KBV – Keine besonderen Vorkommnisse« und in der ZDFneo-Serie »Deadlines« zeigt der preisgekrönte Drehbuchautor in »Oh Hell« sein Talent für flotte Dialoge. Versucht Hell sich aus einem Schlamassel herauszureden, dann ergießen sich aus ihrem Mund sturzbachartige Satzkaskaden. Surreal anmutende Assoziationsketten, geschmiedet im Stahlbad von Social Media, verschmelzen dabei mit einem schrägen Blick auf neueste Trends: »Wenn man regionales Wurzelgemüse isst, ist man angekommen«.

Hells leuchtendes Gegenbild ist ihre Jugendfreundin Maike (Salka Weber). Sie ist schön, hat 224 000 Follower auf Instagram und programmiert erfolgreich Apps. Um gegen diese politisch korrekte Überfliegerin zu bestehen, hat Hell ihr einige Geschichten vorgeflunkert. Damit nicht auffliegt, dass sie gar keinen Freund hat, muss der Cellolehrer Oskar (Edin Hasanović) bei einem Abendessen in die Rolle von Hells Freund schlüpfen.

Gewiss, das klingt nach einer konventionellen Komödie. Doch dank der flotten Inszenierung hat diese Comedy ein beachtliches Timing. Zugute kommt dies der spielfreudigen Mala Emde in der Titelrolle. Vergnügt schaut man zu, während diese markante Darstellerin als kreative Chaosfee vor ihrem geistigen Auge immer neue Parallelwelten entstehen lässt, die im Zeitraffer durchdekliniert werden.

Warum aber wurde Hell überhaupt zur labilen Traumtänzerin? Rückblenden in ihre Kindheit geben einen Fingerzeig. Da sitzt sie als altkluges Mädchen mit Papa und Mama beim Familientherapeuten: »Das Kind ist an der Liebe seiner Eltern interessiert«, diagnostiziert der Psychologe. Doch Hell nimmt diesen Seelendoktor auf eigenwillige Weise wortwörtlich: Papa und Mama, so ihre Forderung, mögen doch bitte schön Geschlechtsverkehr haben!

Sex zwischen den eigenen Eltern? Daran denkt man so gern wie an den Besuch beim Zahnarzt. Die junge Hell fordert diesen Verkehr jedoch ein, weil sie gefühlt nie gezeugt und folglich nie geboren wurde. Die Comedy erzählt von einer Frau, die im Kopf komplette Welten ersinnt – an denen sie nie wirklich teilnimmt. Nicht zufällig ist Hells Alter Ego ein 10-jähriges Mädchen aus dem Kindergarten, mit dem sie viel Zeit verbringt. Eine solch liebenswürdig schräge Figur hat man lange nicht mehr gesehen.

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