Ausstellung: »Hautnah«

»Hautnah«, Deutsche Kinemathek, Berlin. Foto: Marian Stefanowski

»Hautnah«, Deutsche Kinemathek, Berlin. Foto: Marian Stefanowski

Deutsche Kinemathek, Berlin

Ein Nachleben führen Filmkostüme als Abbild auf Leinwand oder Bildschirm. Ihre physische Existenz wird zweitrangig. Sie landen in einem Fundus, wo sie eines neuen Engagements harren, oder verstauben bei einem Kostümverleih. Nur selten kehren sie aus der Kinogeschichte zurück ins Jetzt. 

Als Barbara Baum für »­Lili Marleen« in den Archiven der UFA nach zeitgenössischen Kostümen forschte, stieß sie auf einen Originalstoff aus den 1920ern, aus dem sie Hanna Schygullas Silberlamé-Abendkleid schneidern ließ. Eine Sternstunde im Leben der Kostümbildnerin wird der Moment gewesen sein, als sie bei den Recherchen zu »Buddenbrooks« in Rom Anzüge fand, die ihr großes Vorbild Piero Tosi einst für »Der Leopard« entworfen hatte. Unversehens erschien der Altmeister selbst und korrigierte den Schnitt der Frackweste, die Mark Waschke im Film trägt. 

Diese Kostümbildnerin ist eine Archäologin der Moden, Linienführungen und verschollenen Stoffe. Ihr Name verbindet sich vor allem mit historisch akkuraten Ausstattungsfilmen wie »Die Ehe der Maria Braun«, »Berlin Alexanderplatz«, »Väter und Söhne« und »Aimée und Jaguar«. In der Arbeit mit Fassbinder überhöht sich die Zeitgeschichte ins Melodram. Baum ist eine Erzählerin: nicht nur von Historie, sondern von Geschichten. 

Sie ist auch ein Glücksfall für Ausstellungsmacher, denn sie hat wahrscheinlich mehr Arbeitsmaterialien aufbewahrt als all ihre Kolleg:innen. So gewährt der erste Saal der Ausstellung, die ihr die Deutsche Kinemathek in Berlin ausrichtet, einen Blick in ihre Werkstatt. Sie hat ihr Metier nicht an der Kunsthochschule gelernt, sondern mit Nadel und Faden. Am Anfang stand ihre glühende Leidenschaft für Stoffe, für deren Haptik, Textur und Fall. In Vitrinen geben Stoffproben, Zeichnungen und Notizen Auskunft über ihre vielfältige Arbeitspraxis. Sie erfordert nicht nur vollendetes Schneiderhandwerk, sondern auch die Fähigkeit, Drehbücher zu analysieren, sowie einen logistischen und buchhalterischen Weitblick. Bei ihr wird es immer teuer, klagten Produzenten, worauf sie erwiderte: Nein, richtig! 

Berlin ist die zweite Station dieser Schau, die von Isabelle Louise Bastian und Hans-Peter Reichmann für das Deutsche Filminstitut und Filmmuseum konzipiert wurde. Mit nur zwei Sälen ist sie überschaubar. Im zweiten Raum sind prachtvolle Kostüme aus verschiedenen Phasen ihres Schaffens drapiert. Hier merkt man freilich auch, wie sehr sie von Lichtes Gnaden existieren: Das blaue Abendkleid der Maria Braun, das in Fassbinders Film so hell leuchtet, wirkt im (aus konservatorischen Gründen) gedämpften Ausstellungslicht blass.

Der Titel »Hautnah« verweist zunächst einmal auf ihre Arbeit mit Schauspielern. Die sollen sich in ihren Kostümen wohlfühlen wie in einer zweiten Haut. Aber dieser Prozess ist komplex. Baums Kostüme verraten zweifache Einfühlung. Sie schmiegen sich den Tragenden an – man achte einmal darauf, wie ihre Hüte die Kopfform Hanna Schygullas betonen – und werden ihnen zugleich auferlegt. Oft geben sie eine Haltung vor, heben ihren sozialen Status hervor und akzentuieren ihre Entwicklung. Sie helfen, die Figuren zu finden.

Der Fokus liegt auf ihren Historienfilmen. Es gäbe noch andere Facetten zu entdecken – immerhin hat sie in den Anfängen des Neuen Deutschen Films debütiert und weiß, dass ein Gegenwartsstoff nicht weniger Sorgfalt und Glaubwürdigkeit verlangt. Aber im Ausstattungskino kommt Baums Kostümdramaturgie vollends zur Geltung. Sie etabliert augenblicklich Epochen und Orte und ist fasziniert von Umbrüchen: Familienepen gestatten es ihr, den Wandel männlicher und weiblicher Silhouetten im Wechsel der Moden und Sitten nachzuvollziehen; besonders genau ist ihr Blick auf die Verwerfungen der Nachkriegszeit, von der improvisierten Garderobe der Trümmerfrauen bis zum restaurativen Flair des Wirtschaftswunders. Baums Kostümsprache ist schillernd und temperamentvoll. Sie lässt sich dank des inklusiven Ausstellungskonzepts (mit Audiodeskription und Brailleschrift) im Wortsinne begreifen; ausgewählte Stoffproben dürfen berührt werden. Das ist ganz im Sinne der Künstlerin; vielleicht stand der Titel ihres bislang letzten Films Beobachtungen eines Blinden dafür Pate.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 3.5.2021

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