TV-Tipp: »Das Programm«

© ARD/Bavaria Fernsehproduktion/ConradFilm

Eine Familie taucht ab

Zu Beginn legt der Film nur Fährten aus. Einem Gefängnisinsassen, einem älteren Herrn, werden für den Hofgang seine Hand- und Fußfesseln abgenommen, ein Polizeiteam holt den Zeugen Viktor Mirko (Heiner Lauterbach) ab, während ein anderes den Abtransport sichert, und eine junge Frau besucht ihren Freund, der gerade mit seiner Geige vorspielt. Und gerade als er ihr einen Heiratsantrag macht, fliegt das Auto mit dem Zeugen in die Luft, um Punkt 11, wie die Uhr in der JVA anzeigt. Eine Exposition wie ein Sog. Und eine herbe Niederlage für die Ermittlerin Ursula Thern (Nina Kunzendorf ), verliert sie doch ihren wichtigsten Zeugen in den Ermittlungen gegen den in Untersuchungshaft sitzenden Gangsterboss Darankow. Ihr nächster Hebel ist der Hamburger Banker und Anlageberater Simon Dreher (Benjamin Sadler): schickes Büro, schickes Zuhause, eine Tochter, die bald heiraten wird. Zuerst streitet er alles ab, doch als er selbst Opfer eines Attentats wird, willigt er ein, mit seiner Aussage gegen Darankow zusammen mit seiner Familie in das Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamts aufgenommen zu werden. 

Zeugenschutzprogramm: das klingt einfach und fernsehgerecht – siehe »Lilyhammer« oder auch der TV-Film »Die Kronzeugin« mit Iris Berben. Und doch verwenden Regisseur Till Endemann und sein Autor Holger Karsten Schmidt einen großen Teil der drei Stunden dieses ARD-Zweiteilers darauf, zu schildern, was das für eine Familie, noch dazu eine brüchige, bedeutet. Eine neue Identität zu bekommen, heißt auch, die alte zu verlieren. Das Haus, die Umgebung, die Lebensweise, die Verwandten, die Freunde. Die neue Identität wird nur mit der kompletten Familie gelingen, jemand zurückzulassen bedeutet, eine Spur zu legen. Simon Drehers Frau Rieke (Stephanie Japp) hat einen Geliebten, für den sie eigentlich ihren Mann verlassen will, die Tochter Lona (Paula Kalenberg) muss ihre Hochzeit in den Wind schreiben.

Und Fragen tauchen auf. Warum hat der Familienvater das gemacht? Kann man ihm noch vertrauen? Das fragt sich auch Ermittlerin Thern, die bei ihren Befragungen mit dem Banker nicht wesentlich weiter kommt. Nina Kunzendorf spielt sie kühl, überlegt, unnahbar, professionell, während Sadler als Simon Dreher oftmals zu alert scheint, um aufrichtig zu sein. 

Das Team um Thern (dazu gehören noch Alwara Hövels und Carlo Ljubek) verfrachtet die Familie zunächst in ein sicheres Haus an der Küste, dann, nach einem grotesken Abschiedszeremoniell mit Verwandten und Freunden, nach Österreich, in ein abgelegenes Haus in Tirol. Verwandte und Freunde sind übrigens »Marker« in der polizeilichen Strategie, Wachtposten gewissermaßen, die melden, wenn jemand mit verdächtigen Fragen auftaucht. 

Zum »Programm« gehört auch die Dauerbewachung durch die Ermittler, ohne die sich die Familie erst einmal nicht bewegen darf, auch nicht beim ersten Schultag des Sohnes. Wie Schemen folgen die Ermittler (von denen man kaum etwas Privates erfährt) ihren Schutzbefohlenen, und es gelingt den Bildern dieses Films immer wieder, das Gefühl der Fremdheit zu evozieren, das die Hamburger Familie in der neuen Umgebung beschleichen muss. 

Aber »Das Programm« ist auch ein hochspannender Thriller, in dem immer wieder das Unvorhergesehene in die Handlung einbrechen kann. Ein Auto wirkt wie eine Bedrohung, wenn Lona joggt. Schutz ist eben nur bedingt möglich, auch das macht der Film unmissverständlich klar – und keinem ist zu trauen. Hinweise gibt es genug, und am Ende wird »Das Programm« vor lauter Plotpoints seine Figuren etwas aus dem Blick verlieren. Ein Zugeständnis an die Fernsehkonvention.

Meinung zum Thema

Kommentare

Eine gelungene Fernsehproduktion.
Spannend und eine hervorragende Hauptdarstellerin. Die Rollen erstklassig besetzt.Mich hat der Krimi sehr gut unterhalten.

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