Cool Berlin

Filmen in Babelsberg
Set "Berliner Straße"

© Babelsberg Studios

Vor nicht langer Zeit war es bankrott, das Filmstudio Babelsberg mit seiner hundertjährigen, zweifelhaften Geschichte. Jetzt blüht Leben in den umgebauten und aufgerüsteten Ateliers. Immer mehr internationale Produktionen zieht es nach Potsdam, Stars wie Cate Blanchett, Brad Pitt und Tom Cruise werfen sich hier in Plisseeröcke und Uniformen. Mit George Clooneys Monuments Men und Wes Andersons The Grand Budapest Hotel starten im Februar gleich zwei Filme »made in Babelsberg

Die Berliner Straße, ein wuchtiges Stahl- und Holzgerüst in Potsdam-Babelsberg, war lange ein beliebtes Motiv. Von hinten eine grau verwitterte Rummelplatzkonstruktion, entpuppte sich die gewaltige Kulisse von vorn als kurvige Straßenschlucht mit gezimmerten Hausfassaden. 1998 für Leander Haußmanns Mauerzeit-Komödie Sonnenallee gebaut, mauserte sich der Blickfang zu einem vielseitig verwendbaren Filmset. 350 Kino-, Fernseh-, Werbe- und Musikfilme entstanden bis Ende 2013 rund um Potsdams berühmteste Straße. In Roman Polanskis Der Pianist (2002) simulierte sie Warschau, in Frank Coracis In 80 Tagen um die Welt (2004) London, Kevin Spacey inszenierte hier in Beyond the Sea (2004) eine New Yorker Straße, und Ole Christian Madsens Tage des Zorns (2008) ein Stück Kopenhagen. Historische Fernsehmehrteiler wurden hier gedreht und Detlev Buck zeigte in der Film-im-Film-Komödie Rubbeldiekatz auch die nackte Kehrseite des Sets.

Ende 2013 wurde alles demontiert. Größer, schöner, technisch up to date mit Greenscreen-Prospekten für 3D-Filme soll die Straße nicht weit entfernt im ehemaligen Lokomotivwerk VEB Karl Marx neu gebaut werden. Hundert Jahre nach Gründung des Ateliergeländes sind die legendären Stummfilmzeiten, die zwiespältige UFA-Glorie unter Goebbels’ Diktat und das sozialistische Biotop des DEFA-Studios nur noch Stoff für Filmhistoriker und Werbestrategen. Auch die Geschichte der Berliner Straße wird im Herbst 2014 in einem Buch zur Memorabilie werden. Seit die mit Hollywood-Wasser gewaschenen Produzenten und Manager Carl L. Woebcken und Christoph Fisser das bankrotte Filmstudio Babelsberg vor knapp zehn Jahren für einen symbolischen Euro von seinem französischen Vorbesitzer übernahmen, ist die komplexe 100-jährige Geschichte des Ateliergeländes nurmehr glänzendes Puzzleteil bei der Bildung einer neuen Corporate Identity. Leander Haußmann drückt es so aus: »Früher sagte man: Bitte! Heute sagt man: Action!«

Mit George Clooneys Monuments Men, einer Story über die cleveren amerikanischen Offiziere, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Jagd machten auf die von Nazis geraubten Kunstschätze, und Wes Andersons Exzentrikerfabel The Grand Budapest Hotel feiern gleich zwei ambitionierte internationale Produktionen aus Potsdam-Babelsberg bei der Berlinale 2014 ihre Premiere. Daneben wird Brian Percivals Romanadaption Die Bücherdiebin, eine britisch-europäische, ebenfalls unter dem Dach des Filmstudios realisierte Produktion aus der Periode des Zweiten Weltkriegs, gestartet; auch Marjane Satrapis Thriller Voices, der vierte 2013 in Babelsberg gedrehte Film, wird in diesem Jahr in die Kinos kommen.

Nimmt man zwei weitere aktuelle Beispiele, die französische Neuverfilmung von »La Belle et la Bête« (2012) und den auf Sequels angelegten 3D-Blockbuster Hänsel und Gretel – Hexenjäger (2013) hinzu, sieht man, wohin die Reise weiter führen könnte: ­Weitere Period Pictures über die Zeit des National­sozialismus könnten entstehen, Independentfilme und technisch aufwendiges Kommerzkino. Ob Filmkunst oder pure Unterhaltung ist Sache der Produktionsfirmen, Regisseure und Stars, die anreisen, Kapazitäten nutzen und die Attraktionen des nahegelegenen Hotspots Berlin mitnehmen. Kirsten Niehuus, die Geschäftsführerin der regionalen Filmförderinstitution Medienboard Berlin-Brandenburg, sieht gleich mehrere Faktoren, die den Boom begünstigen: Deutschland gewährt seit 2007 durch den Film- und Fernsehfonds DFFF finanzielle Anreize, in deren Schlagschatten Carl L. Woebckens und Christoph Fissers Firmen die technischen Kapazitäten aufrüsten konnten, zugleich aber immer noch relativ abgeschottete ruhige Arbeitsbedingungen vor den Toren Berlins bieten. »Für Stars wie Cate Blanchett ist es einfach angenehm, mit ihren Kindern im Tiergarten spazieren zu gehen. Die Filmleute fühlen sich wohl in den Berliner Hotels und auch die Chance, mit der inter­nationalen  Künstlercommunity der Stadt

in Kontakt zu kommen, ist nicht zu unter­schätzen.«

Solche »soften« Nebeneffekte der städtischen Markenwerbung stellt auch Eike Wolf, der Pressesprecher von Carl L. Woebcken und Christoph Fissers Babelsberger Firmenkonstruktion heraus, wenn er das ökonomische Erfolgsmodell lobt. Das Studio, zählt er auf, biete pure Dienstleistung, wenn internationale Produktionen die Studios und ihre technischen Kapazitäten mieten, es übernehme aber auch nach Wunsch als Herstellungsleitung die Abwicklung sämtlicher finanzieller und logistischer Aufgaben, so als Teile von Stephen Daldrys Der Vorleser (2008) und Wes Andersons The Grand Budapest Hotel an historischen Schauplätzen in Görlitz gedreht wurden. Für jeden dieser mit deutschen Gel­dern unterstützten Filme wird unter dem Dach des Filmstudios Babelsberg eine GmbH gegründet. Dreißig und mehr Filme sind im abgelaufenen Jahrzehnt zusammengekommen, zählt man Koproduktionen hinzu, an denen sich die Manager Woebcken und Fisser auch als Produzenten beteiligen.

Seit 2007 förderte der von Exkulturstaatsminister Bernd Neumann auf den Weg gebrachte DFFF 640 deutsche und internationale Filmproduktionen mit etwas mehr als 350 Millionen Euro. Bedingung: 75 Prozent des Etats müssen bereits abgesichert sein, die Fördersumme muss an deutschen Standorten ausgegeben werden, steht jedoch nach EU-Recht grundsätzlich auch europäischen und internationalen Produzenten offen. Der Filmproduzent Martin Hagemann, Professor an der HFF Potsdam und Beiratsmitglied des administrativ im Kulturstaatsministerium angesiedelten Fonds, lobt die Effekte: »Der Fonds zieht Geld nach Deutschland.« Dies, indem er Produktionen um bis zu einem Fünftel ihres Euro-Budgets durch Rabatte entlastet. Tom Cruises und Paula Wagners Produktion des Stauffenberg-Dramas Operation Walküre, 2007 ein erstes Vorzeigeobjekt des Fonds, kostete beispielsweise 75 Millionen Dollar. Seither, freuen sich Befürworter wie Kirsten Niehuus, das Filmstudio Babelsberg und Martin Hagemann, löse jeder vom DFFF gezahlte Euro etwa sechs wirtschaftlich wohltuende Euro als Investition der Produzenten in Deutschland aus, sei es für die Miete der Studios, für die Filmcrew, die Auto-Leasingfirmen oder Hotel- und Cateringkosten. »Der DFFF ist handfeste erfolgreiche Strukturförderung, keine Mogelpackung«, betont Martin Hagemann mit Seitenblick auf die deutsche Subventionskultur im Allgemeinen und die zerstreute, an Kriterien- und Entscheiderinflation erstickende Länder- und Fernsehförderung im Besonderen.

Als das staatliche DEFA-Filmstudio der DDR 1990 aufgelöst wurde, war die überfällige Modernisierung unbezahlbar. Das angestammte Personal verlor seine Arbeitsplätze, eine umstrittene Kultur, ihr Kinoverständnis und ihre Filmsprachen wurden gnadenlos abgewickelt. Die komplizierte Kultur- und Wirtschaftsgeschichte dieses Endes muss noch geschrieben werden.

Heute steht die an amerikanischen Studios geschulte Neuausrichtung für ein globales, auf kommerziellen Erfolg und große Stars zielendes, zudem in vielfachen Trägermedien verwertbares Kino. Kritisierte selbst die »New York Times«, dass Claus von Stauffenberg, die ambivalente Zentralfigur des Hitler-Attentats, nur noch die Oberfläche für »Gloss, Gleam and Glamour« von Tom Cruises energetischer Performance sei, mithin deutsche Geschichte unter filmkritischen Aspekten in Babelsberg 2.0 nicht unbedingt gewinne, zeigen sich die Insider enthusiastisch. Eike Wolf ist stolz, dass das Studio heute wieder rund hundert Mitarbeiter in den Art Departments und dem Production-Kernteam beschäftigt – »projektgetrieben« natürlich, das heißt, mit temporärem Anstellungsvertrag. Die Sorgen der zeitweilig beschäftigten, vom globalisierten permanenten wind of change erfassten Teams sind nicht seine, er sieht, dass »Fixkosten runterzufahren«, aber »auf Knopfdruck« wieder Leute aufzubieten sind. Bei Jean-Jacques Annauds Kriegsfilm Enemy at the Gates seien noch 80 Prozent der Filmcrew eingeflogen worden, weil man dem Know-how der Deutschen nicht traute, heute kämen weniger als zehn Prozent des Teams aus anderen Ländern nach Babelsberg.

Auch Martin Hagemann betont den ­enormen Anstieg an technisch-künstlerischen Qualifikationen in den deutschen Teams. Das learning by doing am Beispiel der besseren Teamstrukturen, der größeren technischen Qualifikation und des besseren Buchhaltungssystems à la Hollywood habe möglich gemacht, dass man heute in Deutschland pro Jahr drei Teams für High-Budget-Projekte finde anstelle von einem vor Gründung des DFFF.

Entspannt arbeite es sich in »cool Berlin«, weil, so Martin Hagemann, internationale Großproduktionen von vornherein zwei- bis dreimal so viele Drehtage kalkulieren würden wie eine durchschnittliche deutsche Produktion. Es war nicht so schlimm, dass das Münchener Kopierwerk die Negative eines Drehtages der Operation Walküre vermasselte – man drehte nach. Deutsche Produktionen müssen sechs bis sieben Filmminuten pro Drehtag drehen und ziehen zudem immer noch billigere Originalschauplätze der Arbeit im Studio vor.

Das Filmstudio Babelsberg, sagt Eike Wolf, profitiere mit einer Wertschöpfung unter 1o Prozent vom Umsatz in Babelsberg und inves­tiere nicht nur in eine neue Berliner Straße, sondern biete inzwischen im Exlokomotivenwerk Karl Marx weitere Studiokapazitäten an, insgesamt sechs hochgerüstete Ateliers. Die rund ums Jahr zu bespielen, sei ein risikoreiches Geschäft. Die Bücherdiebin wurde etwa in vier Studios parallel gedreht, so dass im einen winterliche Sets präpariert wurden, während nebenan noch Sommer war – ein Coup, der nicht oft gelingt.

Die Konkurrenz schläft indes nicht. Das DFFF-Modell hatten die deutsche Filmbranche und ihre Lobby britischen und kanadischen Strukturfördermodellen abgeguckt, während heute Tschechien und Ungarn ihrerseits Modelle mit Investionsanreizen von Deutschland übernehmen. Zieht die globale Filmcommunity weiter in die altehrwürdigen, darniederliegenden Studios nach Prag und Budapest oder nach Australien und Neuseeland? Die Große Koalition vereinbarte zu ihrem Start die Fortführung des DFFF. Unklar ist, ob die dreijährliche Überprüfung des ­Verfahrens abgeschafft wird, was dem Filmkonzern in Babelsberg gegenüber langfristig operierenden Produktionsgiganten Planungssicherheit verschaffen würde.

Kirsten Niehuus ist sicher, dass auch in Zukunft Filme zur deutschen Geschichte in Babelsberg gedreht würden, weil das ein »immerwährendes Thema« bleibe, für kleine und große, nationale und internationale Regisseure. Warum so selten Regisseurinnen große Budgets haben und folglich im Studiosystem Babelsberg kaum auftauchen (Ausnahmen sind Sherry Hormann und Marjane Satrapi), kann Kirsten Niehuus nicht erklären: »Wir wissen nicht, was mit den Regisseurinnen passiert«, meint sie zu der Frage. »Genre im Kino fällt vielen Frauen schwer, vielleicht müssen die Filmhochschulen während der Ausbildung hier noch mehr unterstützen.«

Die Monuments Men werden im Wettbewerb der Berlinale außer Konkurrenz gezeigt; Kinostart 20. 2., Kritik im nächsten Heft. Der Berlinale-Eröffnungsfilm The Grand Budapest Hotel und Die Bücherdiebin laufen im März an

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