RTL+: »Euphorie«
© RTL / Zeitsprung
Beinahe wäre Mila vom Auto erfasst worden. Ob die 16-Jährige sich tatsächlich das Leben nehmen wollte oder nur etwas durch den Wind war, weiß sie selbst nicht so genau. Nachdem Basti, der von allen Mädchen umschwärmte Junge ihrer Schule, eine intime Situation brutal ausnutzte und ein entwürdigendes Protz-Sex-Handyvideo mit ihr ins Netz stellte, möchte die sensible junge Frau nur noch im Erdboden versinken. Mila muss in die Jugendpsychiatrie, wo man sie auch noch auf den Geschmack von Drogen (Psychopharmaka) bringt.
Die RTL-Serie basiert auf einem israelischen Originalformat, dessen US-amerikanisches Remake Schauspielerinnen wie Zendaya, Sydney Sweeney und Hunter Schafer berühmt machte und heftige Diskussionen über die Darstellung von Sex, Drogen, Gewalt und psychischen Problemen auslöste. In der deutschsprachigen Version versucht der Privatsender, eigene Akzente zu setzen, und lenkt den Blick vermehrt auf das Umfeld der Jugendlichen. In ihrer Krise wird Mila weder von unfähigen Lehrern noch von ihrer dysfunktionalen Familie aufgefangen. Ihre Mutter nervt mit Kalendersprüchen: »Denk nicht an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast.« Und ihr depressiver Vater schaut zu tief ins Glas. Auftrieb könnte die zärtliche Beziehung zu Ali geben. Doch die junge Frau mit afrikanischen Wurzeln steckt in ihrer eigenen Horrorshow.
Diese Verwicklungen visualisiert die Serie zuweilen originell. Ein Cartoon erklärt die Borderline-Störung. Und einmal agiert Mila als Boulevardjournalistin, die trauernde Menschen in ihrer Privatsphäre traktiert. Leider sind dies nur inszenatorische Fußnoten. Meist wird der Plot allein durch Milas durchgehenden Off-Kommentar vorangetrieben, in dem es über eine Mitschülerin heißt: »Sie ist so weit von Sex entfernt wie Deutschland von der CO2-Neutralität.«
Die plakative Politisierung, die sogar Donald Trump ins Bild rückt, spiegelt sich auch in der Charakterisierung des jungen Schauspielers Jannis, der Mila mit Drogen versorgt und so deren Abwärtsspirale beschleunigt. Dessen Vater schaltet immer das Radio ab, sobald das 1,5-Grad-Ziel erwähnt wird – der Junge ist verzweifelt: Ihm bleibt nur eine düstere Zukunft, die selbstsüchtige Erwachsene ihm versaut haben. Doch diese Motive, eingebettet in einen Stakkato-Rhythmus der Jugendsprache, gehen meist unter in Milas prätentiösen Off-Statements, die wie Labels auf die Bilder von feuchtfröhlichen Partys geklebt werden: »Wir romantisieren ihn weiter, den Absturz, den unsere Gesellschaft liebt.«
Mit diesem Achtteiler über den Weltschmerz der Generation Z adressiert RTL+ die junge Zielgruppe ab 14 Jahren. Die Serie, ein Prestigeprojekt, liebäugelt mit einer Hochglanzproduktion, kann aber die Verwurzelung in Kolportage nicht verbergen. Dieses Defizit zeigt sich vor allem in der Musikschleife, die »Euphorie« wie einen bonbonfarbenen Dauervideoclip erscheinen lässt. In zwei bis drei Szenen kommen Mila und Ali sich tatsächlich ohne Musikverstärkung nahe. Ansonsten wird fast jede Gefühlsregung in einem Popsong ertränkt.
Nicht überzeugend ist zudem der regionale Fokus der Serie auf die multikulturell geprägte Szene in der Region um Gelsenkirchen. Die Deutschtürkin Derya Akyol agiert in der Hauptrolle der leidgeprüften Mila zwar durchaus glaubhaft, doch ihr migrantisch geprägter Hintergrund wird ebenso wie bei den anderen Figuren nur am Rande thematisiert. Dass sich das Thema Diversity eher auf eine zeitgeistige Anmutung reduziert, zeigt sich auch in Milas Umgang mit Drogen und Homosexualität. Die Serie will den Exzess aus Rauschgift und Emotionen mit audiovisueller Untermalung als Daueremphase vermitteln, doch dabei verblassen die Figuren.
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