Kritik zu Ich war noch niemals in New York

© Universal Pictures

Es muss nicht immer Abba sein: Auch die Lieder von Udo Jürgens ­taugen zum lebensbejahenden ­Musical, wie das Bühnenstück und nun die Ver­filmung durch Philipp Stölzl zeigen

Bewertung: 4
Leserbewertung
5
5 (Stimmen: 1)

Am Anfang ist es schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig: All diese fröhlichen Menschen und bunten Räume. Diese Schlagerseligkeit und Traumschiffgeschäftigkeit. Doch irgendwann platzt der Knoten des intellektuellen Ressentiments, und es reißt einen einfach mit, im Schwung der Choreographien und im Überschwang der Gefühle, weil hier so schamlos ehrlich und voller Lust auf die Kacke gehauen wird, aus echter Liebe zum Hollywood-Musical einerseits, aber auch mit Respekt für die Schlagerkunst von Udo Jürgens. Man spürt, dass Philipp Stölzl in seinem Element ist, er hatte schon immer ein besonderes Gespür für Stoffe, die breitenwirksam funktionieren, ohne sich an den Massengeschmack anzubiedern, »Nordwand«, »Goethe!«, »Der Medicus«. Und nun eben ein Traumschiff mit Schlagerpersonal.

Fast sieben Millionen Menschen haben das Musical gesehen, und das, obwohl es ein originär deutscher Stoff ist. Regina Ziegler hatte mit Udo Jürgens zusammen seine Erinnerungen, »Der Mann mit dem Fagott«, verfilmt und sollte schon zu seinen Lebzeiten auch die Filmversion des Erfolgsmusicals produzieren. Man hätte es sich leichtmachen und die simple Nummernrevue im Neonbühnen-Look reproduzieren können, notdürftig zusammengekittet durch ein paar halbherzige Spielszenen. Stölzl hingegen hat viel Mühe investiert, um die Einzelnummern in den Fluss einer Geschichte zu bringen, und irgendwann zahlt sich das aus, weil es dazu führt, dass die Typen zu Menschen werden, deren Hoffnungen und Sehnsüchte, Ängste und Enttäuschungen berühren, und dass sich die Gassenhauer in intime Bekenntnisse verwandeln.

Nehmen wir Heike Makatsch als Lisa Wartberg. Am Anfang wirkt sie als Fernsehtalktussi, deren Wichtigtuer-Arroganz in krassem Widerspruch zu den sinkenden Quoten steht, vor allem überdreht und überschminkt, zappelnd und grimassierend. Sie ist so hyperaktiv geschäftig, dass sie weder Zeit für ihre alte Mutter noch für eine ernsthafte Beziehung hat. Doch dann rutscht die Mutter in der Küche aus und verliert ihr Gedächtnis. Das Einzige, woran sie sich noch erinnert, ist New York, obwohl sie noch niemals dort war. Also flugs aufs Schiff, das sich am Hafen gerade anschickt, in Richtung Freiheitsstatue in See zu stechen. Auch dort erinnert sich Mutti an nichts, ist aber ganz in ihrem Element, was Katharina Thalbach mit erdiger Arbeiterklassenchuzpe ausspielt. Und dann stürmt die Tochter als große Spielverderberin aufs Schiff, will die Mutter runterzerren, doch in dem Moment, in dem sie gezwungenermaßen aus dem Workaholic-Hamsterrad aussteigt, verliert sie mit dem Druck auch alle Zwänge und Dünkel, findet Zeit für den Flirt mit dem alleinerziehenden Vater Axel (Moritz Bleibtreu), der sich seinen eigenen Kokon aus Pflichten gesponnen hat, genauso wie die vier anderen Singles, die auf der Reise verknüpft werden: Das Lebensgeheimnis liefert Udo Jürgens: »Einmal verrückt sein und aus allen Zwängen fliehen!«

... Interview mit Regisseur Philipp Stölzl

Meinung zum Thema

Kommentare

In seinem Genre einer der besten Filme seit langer
Zeit.

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt