Berlinale Wettbewerb: Unterschiedliche Sichtweisen

»Dahomey« (2024). © Les Films Dubal Fantasy

»Dahomey« (2024). © Les Films Dubal Fantasy

Die Berlinale-Ära von Carlo Chatrian war eine der Krisen, Kriege und Konflikte. Manche Probleme waren hausgemacht. Jannek Suhr über einen lauwarmen Wettbewerb und eine Preisverleihung, die Publikum und Kritik Rätsel aufgegeben haben dürfte

Viel wurde vor und während der Berlinale über Politik gesprochen. Die Ein- und Ausladung von AfD-Abgeordneten und die folgenden Statements gegen Rechtsextremismus standen bei der Eröffnungsfeier im Fokus. Bei der Abschlussgala blickten die scheidenden Berlinale-Leiter Carlo Chatrian und Mariëtte Rissenbeek dann zurück auf eine von Krisen und Konflikten geprägte fünfjährige Amtszeit und erinnerten an den russischen Angriff auf die Ukraine, der sich am Tag der Preisverleihung zum zweiten Mal jährte. Thema war auch der Krieg im Nahen Osten. Der Dokumentarfilm »No Other Land«, der sich kritisch mit der Siedlungspolitik im Westjordanland beschäftigt, wurde mit dem Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet. Wie auch einige andere Preisträger nutzten die Filmemacher ihre Dankesrede, um sich für einen Stopp der Kämpfe in Gaza auszusprechen. Die teils deutliche Kritik an Israel führte im Nachgang zu heftigen Diskussionen.

Die Filme des Wettbewerbs gingen da fast ein wenig unter. Wobei auch »Dahomey«, der Gewinner des Goldenen Bären, zum allgemeinen politischen Fokus der Berlinale passte. Nach Nicolas Philiberts »Sur l'Adamant« im letzten Jahr wurde damit zum zweiten Mal in Folge ein dokumentarischer Film ausgezeichnet. Mati Diop, Französin mit senegalesischen Wurzeln, thematisiert in »Dahomey« die Rückführung geraubter Kunstschätze des einstigen Königreichs Dahomey von Paris ins heutige Benin und beschäftigt sich mit der Bedeutung, die diese Werke für die afrikanische Kultur haben. In ihrer Dankesrede betonte Diop, dass solche Rückgaben Gerechtigkeit bedeuten, und rief dazu auf, die afrikanische Kultur nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Hatte man »Dahomey« noch Außenseiterchancen zugerechnet, so waren die weiteren Bären-Gewinner eher Überraschungen. Im Fall des Großen Preises der Jury für »A Traveler's Needs« formulierte Regisseur Hong Sang-soo selbst Erstaunen: Er nahm den Preis mit den Worten in Empfang, er wisse nicht, was die Jury in seinem Film gesehen habe, sei aber gespannt, es zu erfahren. »A Traveler's Needs« ist in der Tat eine sehr skurrile Komödie, in der ­Isabelle Huppert eine rätselhafte Frau spielt, die sich in Südkorea als Französischlehrerin ausgibt, urplötzlich im Leben verschiedener Menschen auftaucht und sie in absurde Gesprächssituationen verwickelt.

Was die Jury in Bruno Dumonts Science-Fiction-Klamauk »L'Empire«, der mit dem Silbernen Bären der Jury ausgezeichnet wurde, gesehen hat, dürfte wohl auch einige interessieren. Unter Kritikern jedenfalls war der Film gemischt aufgenommen worden. Im Mittelpunkt stehen zwei Gruppen von Außerirdischen, die sich als Menschen getarnt in einem französischen Küstenort bekriegen und versuchen, den zweijährigen Sohn eines Fischers zu entführen, der als künftiger dunkler Herrscher prophezeit wurde. Streckenweise ist das eine launige Genreparodie auf die Space Opera im Allgemeinen und »Star Wars« im Besonderen, aber im weiteren Verlauf führt das Ganze eher ins Nichts.

Verdient, aber ebenfalls eine Überraschung war die Vergabe der Auszeichnung für die beste darstellerische Leistung an Sebastian Stan. Er spielt in »A Different Man« einen Mann mit Gesichtsdeformation, der nach einer Operation plötzlich attraktiv und erfolgreich ist. Als Favoriten für die Auszeichnung hatten auch die deutschen Schauspielerinnen Corinna Harfouch in »Sterben« von Matthias Glasner und Liv Lisa Fries in Andreas Dresens »In Liebe, Eure Hilde« gegolten. Vor allem Fries brilliert in ihrer Rolle als Hilde Coppi, die während des Nationalsozialismus in der Widerstandsgruppe »Rote Kapelle« aktiv war, inhaftiert wurde und im Gefängnis ihren Sohn zur Welt brachte.

Den beiden deutschen Beiträgen wurden sogar Chancen auf einen Goldenen Bären zugerechnet. Am Ende blieb es bei der Auszeichnung von Matthias Glasner für das Drehbuch zu »Sterben«. Überraschend ging der bei Kritik und Publikum beliebte iranische Film »My Favourite Cake« leer aus. Er erzählt auf liebevolle Weise von einer älteren Witwe, die sich selbstbewusst gegen ihre Einsamkeit stemmt und einen Taxifahrer kennenlernt, mit dem sie einen unvergesslichen Abend verbringt. Auch dieser Film hatte eine politische Dimension: Dem Regieduo Maryam Moghadam und Behtash Sanaeeha war im Iran die Ausreise verweigert worden – inzwischen eine traurige Tradition auf der Berlinale, die schon die Hauptpreise an Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof in Abwesenheit vergeben musste. Anstelle von Bären gab es für »My Favourite Cake« den ­FIPRESCI-Preis und den Preis der Ökumenischen Jury.

Insgesamt bot der Wettbewerb der Berlinale mit 20 Filmen in diesem Jahr eine große Vielfalt, die ganz besonderen Höhepunkte aber blieben aus. Hervorzuheben sind vor allem die unterschiedlichen Herkunftsländer – das Line-up erlaubte einen weiten Blick auf das globale Filmschaffen. Unterstrichen wurde dies mit dem Silbernen Bären für die beste Regie an den noch unbekannten dominikanischen Regisseur Nelson Carlo de los Santos Arias, der in seinem experimentell angelegten Dokudrama »Pepe« auf philosophische Weise vom gleichnamigen Nilpferd erzählt, das aus dem Zoo des Drogenbarons Pablo Escobar in Kolumbien ausbrach. Für die nächste Berlinale darf man nun gespannt sein, was die neue Leiterin Tricia Tuttle präsentiert.

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