Interview mit Cornelia Klauß

Das waren Wildwest-Zeiten
Cornelia Klauß

Cornelia Klauß

Cornelia Klauß, geboren 1962 in Dresden, lebt in Berlin, war von 1990 bis 2005 Programmdirektorin des Filmkunsthauses Babylon und von 2010 bis 2016 medienpolitische Sprecherin des Bundesverbands kommunale Filmarbeit. Seit 2017 ist sie Sekretär der Film- und Medienkunst an der Akademie der Künste

Cornelia, du hast als Vertreterin einer zweiten Generation in verschiedenen Rollen die Geschichte der Kommunalen Kinos miterlebt und geprägt. Zuerst als Kinoleiterin des »Babylon«-Kinos in Berlin direkt nach der Öffnung der Mauer. 

Cornelia Klauß: Ich war nicht nur zweite Generation, sondern im Osten mit einer sehr speziellen Situation konfrontiert, weil es das Modell der Kommunalen Kinos in der DDR nicht gab. Da waren alle Kinos staatlich organisiert und hatten einen zentralen Verleih. Daneben gab es nur eine Handvoll »Studiokinos«, deren Programme aus dem staatlichen Filmarchiv und dem Studio für Dokumentarfilm kamen. Außerdem gab es dort Filme zu sehen, die man nur exklusiven Kreisen zugänglich machen wollte, um sich nicht die Blöße eines Verbots zu geben, so etwa Tarkowskis »Stalker«. 

Und da hatte das »Babylon« eine herausragende Position.

Die 1990er Jahre waren geprägt von der Treuhand, die versuchte, sich alles unter den Nagel zu reißen und zu privatisieren. Das Babylon mit seiner Größe, Lage und dem bauhistorischem Charme galt da als höchst attraktives Objekt. Dazu gab es Begehrlichkeiten der Bezirksfilmdirektion, die einen eigenen Plan der Privatisierung hatte. Es gab aber eine starke Bewegung, das Kino nicht in diese Klauen geraten zu lassen. Damals – das wünscht man sich für heute manchmal – wurde für den Erhalt des »Babylon« demonstriert. Der wirkliche Glücksfall war aber, als die PDS 1990 im Zuge ihrer Auflösung von SED-Vermögen großzügig an verschiedene Organisationen spendete. Da hat auch das »Babylon« einen höheren Betrag bekommen für die Sanierung des Gebäudes. Ich erinnere mich gut an das Schreiben, das waren ja Wildwest-Zeiten: »Bitte teilen Sie uns Ihre Kontonummer mit, wir möchten Ihnen 5 Millionen (Ost-)Mark überweisen und bitten darum, das Geld zweckgebunden einzusetzen.« Von den Zinsen konnten wir in der ersten Zeit ein quasi-kommunales, filmkünstlerisch interessantes Programm machen und so in kuratorische Vorleistung gehen. So konnten wir sagen: Wir können das und werden akzeptiert in der Stadt. Und wirklich wurde dann peu à peu eine Summe von 320.000 Euro im Jahr bewilligt, was ziemlich genau der Miete und den Betriebskosten entsprach. 

Wie kamst du an diesen Ort?

Es gab eine Kulturinitiative namens »Fünfter Sektor«, wo sich Kulturleute aus Ost und West trafen. Dabei war auch Joachim 
Roemer, der sich als Architekt im »Babylon« engagierte und mir den Tipp gab, dort vorstellig zu werden. Und dann passte alles, auch wenn ich mit Kino bis auf gelegent­liche Mitarbeit bei Filmclubs nur wenig Erfahrung hatte. Aber ich war heftig filminfiziert, und Quereinsteiger sind in dem Feld ja häufig. Die Arbeit musste gemacht werden, und ich habe sie gemacht. Aber ich habe viele Partner geholt, bald gab es auch einen Verein, wo sich Ex-DEFA-Dramaturginnen und Regisseure wie Erika Richter, Gerd Kroske oder Volker Koepp engagierten, die die Filmkultur, und auch das DEFA-Erbe, 
retten wollten. Es wurde ja seinerzeit viel in die Tonne getreten, und es wurden sogar Kopien vernichtet.

Wie sah damals Kino aus? 

Als ich anfing, war die alte Ost-Struktur in der Belegschaft noch weitgehend vorhanden. Das heißt, es gab keine Programmplaner, weil die Kinos vor der Wende durch die Bezirksfilmdirektion bespielt wurden. Es war also niemand richtig für das Programm verantwortlich, viele hofften auch noch, innerhalb der alten Strukturen weiterzuarbeiten, da war viel Widerstand. Aber ich war halbwegs akzeptiert, weil ich eine Ostbiografie hatte. Und ich war extrem motiviert, weil ich nach meinem Studium in Babelsberg so viele Filme im Kopf hatte, die ich nie hatte sehen können. So trat ich mit meinem eigenen Hunger auf Filme an, um Programm zu machen. So ging es auch vielen anderen: Im »Babylon« am Rosa-Luxemburg-Platz spielte damals die Musik.

Kannst du uns das mit den Filmclubs noch mal erklären?

Neben dem offiziellen Kinoprogramm und den Studiokinos gab es die Filmclubs, die an Universitäten oder in den Kulturhäusern angesiedelt waren – mit analogen 35mm-Projektoren. Die konnten sich aus dem Filmarchiv bedienen oder über die Kulturvertretungen der Länder; Ungarn und Polen waren für uns ab den 1980er Jahren sehr interessant. Dann war da noch der sogenannte filmische Underground, das waren sehr, sehr wenige Leute. Da spielte man meist im Wohn­zimmer, aber manchmal ließen sich Filme vorbei an unkundigen Kulturoffizieren in ein Kulturhaus mogeln. Das war immer ein Katz-und-Maus-Spiel. Nebenbei: Ich finde es bezeichnend für die Rezeption, dass bei der Ausstellung »No Master Territories« im Haus der Kulturen der Welt (Anm. d. A. : es geht um den »intersektionalen Blick auf das Aufeinandertreffen von Feminismus und Bewegtbild« von den 1970ern bis 1990ern) diese DDR-Subkultur mal wieder unterschlagen wird.

Wie hat sich das »Babylon« in den 1990ern von anderen ambitionierten Kinos in Berlin unterschieden?

Es gibt eine ganz klare Trennlinie zwischen Kommunalen Kinos und Programmkinos. Ein Kommunales Kino bekommt Subventionen und spielt deshalb keine regulären Filme in den Startwochen. Das ist auch eine Verpflichtung der Kommunalen Kinos, sich da zurückzuhalten. Das wird schon mal aufgeweicht bei ganz kleinen Filmen, die nicht genug Kapazität für einen normalen Filmstart finden. Manchmal brauchen die Verleiher zur Premiere auch ein großes Kino zum Aufschlag. Aber eigentlich war das zu meiner Zeit klar getrennt.

Das sah dann beim Ende des »Babylon« als Kommunalem Kino etwas anders aus.

Als das Filmkunsthaus »Babylon« mit seinem 400-Plätze-Saal und täglich wechselndem Programm irgendwann ins Schlingern kam, entschied sich der Senat für eine Neuausschreibung. Das ist völlig legitim, nichts ist in Stein gehauen. Doch als die Findungskommission sich dann für ein Konzept von Leuten aus dem Umfeld des »Babylon« entschied, stellte dieses Ergebnis den damaligen Kultursenator Thomas Flierl nicht zufrieden. Er änderte die Kriterien der Ausschreibung im laufenden Verfahren, die nun eine hälftige kommunale und kommerzielle Nutzung vorsahen. Diese ging dann an die Neue Babylon Berlin. Ich halte diese Teilung in kommunale und kommerzielle Filmarbeit bis heute für eine schwierige Konstruktion. Das Ergebnis ist nicht mehr das, was ich unter einem kuratierten Programm verstehe, aber das »Babylon« ist jetzt sicherlich ein Haus, das auf seine Weise funktioniert. 

2010 wurdest du medienpolitische Sprecherin des Bundesverbandes kommunale Filmarbeit und hast dort mit der Digitalisierung der Kinos wieder entscheidende Umbrüche mitbekommen. 

Genau. Bund, Länder, Filmförderanstalt FFA und Verleiher waren damals aufgerufen, ein Finanzierungsmodell für die Förderung der Digitalisierung zu entwickeln. Für uns war dabei die wichtigste Frage, ob Kommunale Kinos überhaupt antragsberechtigt sind für die Förderung und wie man mit der geforderten Eigenbeteiligung von 20 Prozent umgeht. Bedingung des BKM waren auch mindestens 8000 Zuschauer im Jahr oder ein Spielbetrieb von mindestens drei Tagen die Woche. So mussten wir als Verband erst mal feststellen, wie sich die einzelnen Kinos finanzieren. Viele denken ja, die sitzen bequem in ihren hundertprozentig subventionierten Sesseln, egal ob fünf Zuschauer kommen oder 50. So ist es aber nicht. In Wirklichkeit besteht ein enorm breites Feld mit unterschiedlichen Förderhöhen und -formen. Doch weil es dazu keine Daten gab, ging es für uns zunächst darum, diese überhaupt zu dokumentieren und auszudifferenzieren. Eine grundlegende Arbeit, nach der wir dann erkannt haben, was für ein wirklich bunter Haufen wir sind. Dabei wurde auch klar, dass manches Programmkino mit den jährlichen Programmpreisen ungleich mehr Förderung bekommt als so einige Kommunale Kinos. Am Ende sind wir auf etwa hundert antragsberechtigte Kinos von etwa 120 gekommen.

Was war das nächste große Ding?

Das war dann die Rettung der Filmgeschichte, deren Präsentation eine bedeutende und legitimierende Aufgabe der KoKis ist. Dabei ging es auch hier bald um die Digitalisierung von historischen Kopien. Zur Finanzierung wurde nach dem Vorbild anderer Länder von der FFA das Zehn-Millionen-Förderprogramm Filmerbe ausgelegt. Ich bin immer noch in der Kommission, die entscheidet, welche Filme dafür würdig sind. Dabei ringen wir um Gerechtigkeit. Doch ein Problem ist, dass sich auch die großen Institutionen wie das Bundesarchiv oder die Stiftung Deutsche Kinemathek aus diesem Topf bedienen müssen, weil sie strukturell unter­finanziert sind. 

Seit 2017 bist du in der Sektion Film-und Medienkunst der Akademie der Künste für ein breites Themenfeld zuständig. Wie blickst du auf eine von Corona verheerte Kinowelt?  Was bedeutet das für die KoKis?

Es ist ja bekannt, dass sich seit Corona viele Aktivitäten ins Netz verlagert haben. Auf Mubi kann ich mir jeden Tag einen tollen Film aus der Filmgeschichte anschauen. Das trifft alle Kinos, die ambitionierten und die kommerziellen. Wie können wir den Kinos also wieder einen Mehrwert geben? Nur den sozialen Raum zu beschwören – also das gemeinsame Lachen und Weinen –, reicht meines Erachtens nicht. Doch was Kinos zu Recht immer schon gemacht haben und jetzt verstärkt machen, ist, einen Diskursraum zu eröffnen. Nicht Pädagogisierung wie bei den sogenannten Triggerwarnungen. Im Gegenteil sehe ich eher die kathartische Wirkung von Kino. Denn wenn Kino eine Aufgabe haben soll, dann muss es sich der Filme bedienen, die wehtun und verstören und die man sich vielleicht zu Hause im Pantoffelkino nicht anschauen würde. Eskapismus ist aber selbstverständlich auch erlaubt... 

Hat das auch etwas mit dem Auseinander­brechen der Gesellschaft zu tun?

Zurzeit besteht ja auch ein ungeheuer großer Hunger nach Diskussion und Konfrontation. Am Pariser Platz, wo ich arbeite, kannst du jeden Tag drei Demonstrationen sehen. Für die Suche nach und die Ausdifferenzierung von Positionen kann das Kino ein guter Ort sein, es geht um das Verhältnis zur Stadtgesellschaft, zu den politischen Gruppen. Ein anderer Aspekt ist das Erinnern. Ich finde es nach wie vor total lohnend, Filme zu kontextualisieren und auszuloten. Diese Art von Cineastentum darf man nicht aus den Augen verlieren. Alle Fragen, die es gab, spielen nach wie vor eine Rolle, haben sich aber zugespitzt. Sie sind nicht neu, müssen aber immer wieder neu besprochen werden. Damit knüpft das Kino auch an die Zeiten in den 1970ern an, als im Osten die Filmclubs und in Westdeutschland die ersten kommunalen Kinos gegründet wurden. Da gibt es viel zu tun, das wird nicht langweilig.

Meinung zum Thema

Kommentare

Kommunale Kinos also auch Programm Kinos sind von einem unschätzbaren Wert!
Das Interview mit Cornelia Klauß erzählt dazu interessante Geschichten, auch und
überhaupt aus DDR Zeit. Das ist wichtig. Hoffen wir, das diese Kinos überleben.

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