51. Filmfestival Rotterdam

Glanzpunkte
»Eami«

»Eami«

Von der Pandemie schwer gebeutelt, aber mit sehr klarem künstlerischem Konzept: das 51. Filmfestival Rotterdam

Wenige Festivals traf die Corona-Pandemie so hart wie das International Film Festival Rotterdam. Für die Ende Januar stattfindende 51. Auflage war man noch bis in den Dezember hinein optimistisch, das Programm endlich wieder vor Ort in den Kinos zeigen zu können, doch kurz vor knapp machte die Omikronwelle allen Präsenzplänen noch einen Strich durch die Rechnung. Und so war das IFFR letztlich das neben Sundance einzige der großen Festivals, das gleich zweimal nacheinander ausschließlich virtuell stattfinden konnte.

In diesem Jahr entschied man sich dabei für eine andere Taktik als 2021. Statt, wie es bei den meisten vergleichbaren Online-Veranstaltungen üblich ist, die Filme gestaffelt und in begrenzten Zeitfenstern zu zeigen, war das komplette Programm auf einmal verfügbar – und das sogar noch eine Weile über das offizielle Festivalende hinaus. Nicht unpraktisch fürs Publikum daheim am Laptop, weil so gar nicht erst Zeitdruck und Stress aufkamen. Aber eben auch noch ein bisschen weniger Festival-Feeling als sonst.

Bei der Auswahl der Filme, vor allem in der Tiger Competition, zeigte sich wie schon im Vorjahr, dass die künstlerische Leiterin des Festivals eine recht klare Vision verfolgt. Im vergangenen Jahr hatte Vanja Kaludjercic überhaupt erst ihren Einstand gegeben und dabei gleich den Wettbewerb gestärkt, in dem Erst- und Zweitlingswerke gezeigt werden. In diesem Jahr umfasste er 14 Filme – und erwies sich erneut als eine spannende Plattform für wagemutiges, aufregendes junges Kino und frische Perspektiven, die sich hinter der Berlinale Encounters-Reihe oder Locarno nicht verstecken muss.

»Eami« von der paraguayanischen Regisseurin Paz Encina, die 2006 für ihren ersten Spielfilm »Hamaca paraguaya« in Cannes den Fipresci-Preis der Un Certain Regard-Reihe gewann und seither Kurz- und Dokumentarfilme inszenierte, war dafür ein exzellentes Beispiel. Encia taucht ein in die Welt des indigenen Volkes der Ayoreo-Totobiegosode in der Region Chaco. Sie begleitet das aus dem Off sprechende Mädchen Eami (Anel Picanerai), das als Vogelgöttin in Menschengestalt nach der Zerstörung ihres Dorfes in Begleitung einer sprechenden Echse in den Regenwald flieht, und zeichnet dabei ein Bild des seit Jahren anhaltenden Untergangs einer einzigartigen Lebenswelt. Von einem Plot herkömmlicher Art kann keine Rede sein, glücklicherweise aber auch nicht von Ethnokitsch. Mit magischem Realismus oder Floskeln wie filmischer Poesie ist »Eami« nur unzureichend beschrieben, aber so oder so kann man sich dem faszinierenden Sog, den Encina und ihr kleines Team aus erstaunlichen Naturaufnahmen, bemerkenswertem Sounddesign und überzeugenden Schnittentscheidungen entwickeln, nicht entziehen. Den Tiger Award gab es dafür am Ende zu Recht.

Auch die beiden Filme, die am Ende mit Special Jury Awards bedacht wurden, gehörten zu den Höhepunkten im Wettbewerb. Die in Schweden tätige französische Regisseurin Morgane Dziurla-Petit kehrt mit »Excess Will Save Us«, einer fiktionalisierten Erweiterung ihres gleichnamigen Kurzfilms, in das Dorf ihrer Familie zurück, wo sie rund um eine Terrordrohung eine sehr witzige, berührende und vor allem einfallsreiche Geschichte entfaltet, die sich nicht nur erzählerisch vieles traut. Konventioneller, aber wundervoll sensibel und unsentimental ist Gao Linyangs Regiedebüt To Love Again, das von einem älteren chinesischen Ehepaar erzählt. 

Andere, sehr unterschiedliche Glanzlichter in der höchst vielfältigen Tiger Competition setzten Sam de Jongs »Met mes«, eine bizarre Geschichte über eine Fernsehmoderatorin mit Regieambitionen, die visuell, erzählerisch und darstellerisch bewusst over the top gehalten ist, der kanadische, auf Godard und Experimentalkino verweisende Film »Le rêve et la radio« von Ana Tapia Rousiok und Renaud Després-Larose oder »A criança«, eine lose, nach Portugal verlegte Adaption von Kleists »Der Findling« von Marguerite de Hillerin und Félix Dutilloy-Liégeois. Nicht zuletzt diesen Film hätte man der Bilder wegen gern auf einer großen Leinwand gesehen. Bleibt zu hoffen, dass dem kommenden Jahrgang in dieser Hinsicht endlich wieder mehr Glück beschieden sein wird.
 

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