Nachruf: Hans Schifferle

18.12.1957 – 30.3.2021
Hans Schifferle. Foto: Robin Thomas/SigiGötz-Entertainment

Hans Schifferle. Foto: Robin Thomas/SigiGötz-Entertainment

Texte aus der Zwischenwelt

Einer der ersten Texte, die Hans Schifferle für epd Film schieb, war eine Filmkritik zu Neil Jordans »Interview mit einem Vampir«, erschienen im Dezemberheft 1994. Ein Film nach Schifferles Geschmack, eine Geschichte aus einer Zwischenwelt, voller Verlangen und Liebe und voller Ekstase. Schifferle beschreibt die Bilder als eine »Pop-Version von Rembrandt«. Man kann den Ton dieser Kritik wie späterer auch durchaus schwärmerisch nennen, aber er erdete sie immer wieder durch seine Verweise auf die Filmgeschichte, auf die vielen Filme, die er gesehen hatte. 

Alle seine Texte zeigen diese profunde Kenntnis des Gesehenen, einen riesigen Schatz, erworben seit den 80er Jahren im Münchner Filmmuseum (wo er Kartenabreißer war) und später im Werkstattkino. Und Schifferle war als Cinephiler auch ein Sammler – von Büchern, Zeitschriften und DVDs. Heute wirkt ja das Studieren von gedruckten Büchern nachgerade anachronistisch, und bis zuletzt hat er seine Texte an die Redaktionen als Faxe geschickt, versehen mit Ergänzungen und Korrekturen in seiner kleinen Handschrift, ein »Lob der verkehrten Lebensweise« (Karl Kraus). Leider hat Schifferle selbst nur wenige Bücher geschrieben, aber sein bei Heyne erschienenes Taschenbuch »Die 100 besten Horrorfilme« bleibt immer noch eine schöne Mixtur aus Trouvaillen und Standards. 

Als Autor war er ein Neugieriger. Er konnte Bekanntem ebenso etwas abgewinnen wie Abseitigem, Experimentellem ebenso wie den Perlen einer vergessenen Trivialkultur. Seit 1991 schrieb er für die »Süddeutsche Zeitung«, später auch für das Fanzine »Sigi Götz Entertainment« – eine wirkliche Grenze zwischen Hochkunst und Trash gab es für ihn genauso wenig wie zwischen Blockbuster und Indiekino. Für epd Film hat er etwa über ein Treffen von Cine-Clubs im Werkstattkino geschrieben, aber auch alte und vergessene Meister des deutschen Kinos wie Uli Lommel oder Eckart Schmidt wiederentdeckt. 

Eine Erbschaft gab ihm die Freiheit zum Publizieren. Vom Schreiben über Film zu leben, ist ein wenig ertragreiches Unterfangen. Und die Erbschaft gab ihm auch die Möglichkeit, einer anderen Sammelleidenschaft zu frönen: alten Motorrädern, zuerst Harleys, dann Indians. Wenn man ihn auf Festivals wie Oberhausen und Saarbrücken traf, trug er meistens seine Indian-Jacke. Über die Harley-Davidson-Motorräder schrieb er 2003 in epd Film: »Mehr noch als die großen alten V8-Automotoren aus Detroit klingt die Harley-Engine wie der Herzschlag Amerikas. Das rhythmische Auspuff-Tuckern, das so beruhigend sein kann, aber beim kleinsten Zug am Gasseil zu einem Donnern anschwillt, scheint amerikanische Geschichte und Geschichten zu erzählen.« Hans Schifferle starb nach einer langen, schweren Krankheit. Wir vermissen ihn.     

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