Festival »Il Cinema Ritrovato« im italienischen Bologna

Von Marokko bis Hollywood
»Easy Rider« (1969) auf der Piazza Maggiore

»Easy Rider« (1969) auf der Piazza Maggiore

Viele Zugänge zur Geschichte des Films

In Bologna ging es zum 33. Mal um die Wiederentdeckung und Sichtbarmachung der Vergangenheit des Mediums Film. »Il Cinema Ritrovato« schafft dabei auch Platz für Werke abseits eines westlich geprägten Kanons. So nahm man in diesem Jahr das 50-jährige Bestehen des panafrikanischen Filmfestivals FESPACO in Ouagadougou zum Anlass, die »Cinemalibero«-Sektion dem afrikanischen Film und der Geschichte des Festivals in Burkina Faso zu widmen. Der Dokumentarfilm »Ouaga, Capitale du Cinema« von 1999 vermittelt neben einem kritischen Blick auf das FESPACO auch ein Gefühl für afrikanische Filmkultur.

Zu den Spielfilm-Highlights gehörte der kamerunische Film »Muna Moto« (1975), in dem die Liebesheirat zwischen N'gando und N'domé an der Tradition der Mitgift scheitert. Stattdessen ehelicht N'gandos Onkel N'domé gegen deren Willen, weil seine anderen drei Frauen ihm keine Kinder gebären. Regisseur Jean-Pierre Dikongué-Pipa strukturiert seine Erzählung geschickt und bannt sie in ästhetisches Schwarz-Weiß. Der sichtlich gerührte Filmemacher war ebenso zu Gast wie sein malischer Kollege Souleymane Cissé, dessen Film »Baara« als einer der wenigen Beiträge nicht in einer frischen Neurestaurierung gezeigt werden konnte. Von der fehlenden Qualität der braunstichigen Vorführkopie – auch das macht Bologna gelegentlich aus – zeigte sich Cissé tief getroffen. Die Wucht seiner Geschichte um einen Ingenieur, der seine Arbeiter gewerkschaftlich organisieren will und die Härte des Establishments spürt, litt allerdings kaum darunter.

Auch dem südkoreanischen Kino widmete das Festival erstmals eine eigene Sektion, zum Goldenen Zeitalter der 60er Jahre. Stargast Kim Soo-yong präsentierte mit seinen stolzen 90 Jahren zwei recht unterschiedliche Filme seines Oeuvres: Die Milieustudie »Bloodline« (1963) illustriert in klamaukigen wie tragischen Tönen die Schicksale einiger Vertriebener des Koreakrieges, »Mist« (1967) glänzt als nachdenklicher Selbstfindungstrip eines verheirateten Mannes auf Heimatbesuch mit einer offeneren Form. Soo-yong erzählte, dass der Film seinerzeit häufig mit dem ihm damals unbekannten Antonioni verglichen wurde – nachvollziehbarerweise. Weitere Beiträge reichten vom knallbunten Kostüm-Melodrama mit ausgedehnter Leidensgeschichte »Seong Chun-Hyang« (1961)bis zum mythischen und überraschend harten »Goryeojang« (1963), dessen lückenhafte Restaurierung auf zwei irreparabel beschädigte Filmrollen zurückzuführen ist.

Freilich ließ das Festivalprogramm auch gänzlich andere Schwerpunktsetzungen zu. Eine Sektion zur Farbe zeigte etwa populäre Werke wie »The Wild Bunch« (1969) und »Dr. No« (1962) als Technicolor-Prints auf Film. Auch die Filmjahre 1919 und 1899 wurden gesondert betrachtet, daneben wurde dem 16-mm-Film gehuldigt. Außerdem widmete sich ein Programm dem westdeutschen Kino 1945–1949. Mit dabei war »Lang ist der Weg« (1949), der erste Film, bei dem ein Holocaust-Überlebender (Marek Goldstein) eine Erzählung zum Holocaust ­­koinszenierte. Er liefert ein Plädoyer für das Entstehen eines israelischen Staates. Andere Reihen befassten sich mit einzelnen Filmschaffenden wie dem Noir-Spezialisten Felix E. Feist, dessen »Tomorrow Is Another Day« (1951) gekonnt mit Genreversatzstücken hantiert, oder dem Werk des Cinémathèque-Française-Gründers Georges Franju. Sein fast hypnotisch wirkender Kurzfilm »Notre Dame, Cathédrale de Paris« (1957) wurde in der Cantiere Modernissimo gezeigt, einem vor über 100 Jahren eröffneten Kinosaal tief unter der Erde des Stadtzentrums.

Fast unmittelbar darüber liegt die ­Piazza Maggiore, die mit Open-Air-Screenings die Festivaltage beschloss. Hier schaffte es »Il Cinema Ritrovato«, neben dem ­cinephilen Stammpublikum regelmäßig Tausende Anwohner anzulocken – mit Stummfilmkonzerten wie Chaplins »The Circus«, einer neuen Restaurierung von »Easy Rider« oder dem Final Cut von »Apocalypse Now«. Francis Ford Coppola war persönlich zu Gast und präsentierte den Film. In einem ausverkauften Theater fand tags zuvor ein Gespräch mit Coppola statt, dessen Ablauf er mit seinem Insistieren darauf, Fragen von möglichst vielen Studierenden zu beantworten, recht charmant torpedierte. Geregelter, aber nicht weniger unterhaltsam verlief eine deckungsgleiche Veranstaltung mit Jane Campion, die bodenständig, reflektiert und enorm offen von ihren Anfängen und ihrer Arbeit erzählte. Eine frische Restaurierung ihres »Das Piano« beschloss das Festival.

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