Kritik zu Tu nichts Böses

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Nur sieben Filme hat Claudio Caligari in 40 Jahren gedreht. Sein letztes, 2015 postum in Venedig aufgeführtes Werk, weckt große Neugier auf dessen Vorgänger

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Filmen über Drogenkarrieren und solchen über Freundschaften ist gemeinsam, dass der Zuschauer jeweils mit banger Neugierde den Wendepunkt erwartet, der den Ausgang der Geschichten besiegelt. Im ersten Fall erhofft ihn der Zuschauer meist, wünscht sich für die Protagonisten Ausstieg, Heilung und Rehabilitation. Im zweiten Fall fürchtet er ihn, da er Streit und Entzweiung bringt.

»Tu nichts Böses« gehört beiden Gattungen an und strebt einfühlsam nach deren Einklang. Claudio Caligari lässt seinen Film 1995 in Ostia beginnen, was dazu einlädt, ihn als Wiederbesichtigung von Pier Paolo Pasolinis »Accatone« ein halbes Jahrhundert später zu betrachten. Caligaris Filmtitel besitzt wehmütige Ironie; seinen Helden gibt er Namen, in denen der Abglanz mythischer Größe anklingt.

Cesare (Luca Marinelli) und Vittorio (Alessandro Borghi) verdienen ihren Lebensunterhalt als Dealer. Sie selbst sind ihre besten Kunden, würden aber den Verdacht, Junkies zu sein, empört von sich weisen. Ihre Tage bringen sie mit dem Verkauf von Drogen und vor allem mit Müßiggang zu. Ihre Geschäfte betreiben sie in aller Öffentlichkeit, die Wachsamkeit der Carabinieri haben sie nicht wirklich zu fürchten.

Tatsächlich eignet ihrer Existenz eine gewisse Beschaulichkeit. Caligari filmt die Rauschzustände mit erstaunlicher Gelassenheit. Eingangs, der Film ist gerade einmal ein paar Minuten alt, fährt die Kamera in einer Kranfahrt von der Bar empor, in der sich die beiden mit anderen Dealern treffen. Früher am Abend gab es Raufereien zwischen ihnen, nun signalisiert die ruhige Kamerabewegung, dass nichts Aufregendes mehr passieren und der Tag seinen üblichen Ausgang nehmen wird.

Dieser Mangel an erzählerischer Hysterie geht einher mit moralischer Unvoreingenommenheit. Vittorio ist seiner Mutter und der schwerkranken Nichte (seine Schwester starb an AIDS) eine nicht immer zuverlässige, aber aufrichtig bemühte Stütze. Eine Alternative zu diesem Leben zeigt Caligari vorerst nicht auf; er entwirft das Bild einer Gesellschaft, die nur aus Randständigen besteht.

Eines Abends jedoch erreicht der Film seinen Umschlagspunkt, als Vittorio nach einem schlimmen Delirium sein eigenes Spiegelbild anspuckt und aussteigt. Er verdingt sich als ungelernter Maurer und will zusammen mit der patenten Linda (Roberta Mattei) eine legale Existenz begründen. Zunächst gelingt es ihm, Cesare auf Spur zu bringen, dessen kriminelle Energie aber doch stärker ist. Bis hierhin verliefen ihre Leben im Gleichtakt. Nun führt der Film sie parallel und macht eine Differenz kenntlich. Caligari verfolgt die Verbürgerlichung Vittorios mit Wohlwollen, ohne sie zum Prüfstein für Cesares weiteren Weg zu erheben. Auch der schickt sich an, eine Familie zu gründen und eine besetzte Ruine in ein Heim zu verwandeln. Dass dies steinige Hoffnungen sind, mag der Regisseur nicht verhehlen. Er ist ein zugeneigter, bekümmerter Erzähler, der Anstand, Loyalität und Hingabe in Randzonen sucht, in denen das Kino üblicherweise nicht fündig wird.

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