Kritik zu Teaches of Peaches

© Farbfilm Verleih

Nie gezeigtes Archivmaterial, geschickte Montage und Peaches' Präsenz auf der Bühne und vor der Kamera tragen das Porträt der queeren Ikone

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Peaches alias Merrill Beth Nisker ist ein Vorbild aus einer Zeit, als es noch keine Social Media für die Nischen jenseits der Heteronormativität gab. Ende der 1990er schmiss sie sich noch ganz analog in die Bresche: Mit sichtbarem Schamhaar, Umschnalldildos und Lyrics über weibliche Sexualität strapazierte sie stereotype Vorstellungen von Gender. Peaches war schon queer, als das Wort im deutschen Sprachgebrauch noch gar nicht angekommen war, und hat die Türen für die LGBTQI*-Bewegung weit aufgestoßen. Wie nah der Mainstream heute an ihre künstlerische Persona von einst herangerückt ist, hätte sie selbst damals nicht erwartet. 

Philipp Fussenegger und Co-Regisseurin Judy Landkammer konzentrieren sich für ihren Dokumentarfilm auf die Genese ihres legendären zweiten Albums »Teaches of Peaches«,  mit dem sie 2001 berühmt wurde, und die Jubiläumstour gut 20 Jahre später. Andere Alben oder Karrierestationen blenden sie aus. Der filmische Zugang ist trotz dieses klar gewählten Fokus der eines biografisch-chronologischen Porträts, das backstage geht und mit ehemaligen Weggefährt*innen, der aktuellen Band und Peaches und ihrem Lebensgefährten spricht. Erstmals gewährt Peaches außerdem Zugang zu ihrem Privatarchiv. Unveröffentlichte Aufnahmen zeigen, wie sie mit Leslie Feist eine ziemlich wilde WG in Toronto teilte oder mit der Band The Shit und Chilly Gonzales verschwitzt durch schummrige Clubs berserkerte. Eine nonkonforme Punk-Community, nur ohne den Defätismus, mit mehr Humor, deutlich verspielter und ohne die ganz harten Drogen.  

Rund um die Tour 2022 zeigt der Film Peaches heute als reflektierten Menschen mit klaren künstlerischen und politischen Haltungen. Akribisch experimentiert sie mit ihrer Groovebox oder plant flamboyante Performances, ohne dabei prätentiös zu wirken. Ihre markante Stimme rollt noch immer glasklar bis rotzig über ihr Publikum hinweg, so wie sie selbst beim Stagediven in der Menge. Im Umgang mit ihrem Team auf Tour offenbart sich ein sanftes Mitei­nander, wie es im Musikbusiness nicht selbstverständlich ist. Peaches gibt ihren jungen Bandmitgliedern Tipps, diskutiert respektvoll auf Augenhöhe und lässt auch anderen Raum, um zu glänzen. Die Metamorphose von Gitarristin Bláthin Eckhart sticht dabei besonders krass heraus. 

Judy Landkammers geschickte Montage, die die Gigs um die Jahrtausendwende mit den Jubiläumskonzerten 2022 verbindet, macht zudem im direkten Vergleich sichtbar, was noch immer ein Tabu ist. Frauen und mit ihnen ihre Körper – von Madonna abgesehen, die dafür anders als Mick Jagger extrem harsch kritisiert wird – verschwinden ab einem bestimmten Alter von den Bildflächen und Bühnen. Wenn Peaches mit Ende 50 sichtlich mehr ackernd, aber noch immer so freizügig wie damals über die Bühne fegt, ist sie natürlich gealtert. Sie strahlt aber noch immer so schön, kraftvoll und selbstbewusst wie früher. Peaches selbst setzt sich im Film das Ziel, Altern cool zu machen. Die Grenzen des Mainstreams immer weiter zu verschieben, ist nun mal eine Lebensaufgabe.

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