Kritik zu Nerve

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Die Watcher stacheln an: Henry Joost und Ariel Schulman haben Jeanne Ryans gleichnamigen Roman über die Gefahren von Reality-TV und Online-Gaming verfilmt

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Zunächst klingt alles noch nach einer ganz harmlosen Aufgabe. Die 18-jährige Vee, die sich erst vor ein paar Stunden beim Online-Game »Nerve« als Mitspielerin angemeldet hat, wird von den »Watchers«, den Zuschauern, die zugleich auch darüber entschieden, was die Spieler machen müssen, in eines der Luxusgeschäfte in Manhattan geschickt. Dort soll sie ein Tausende von Dollar teures Kleid anprobieren und sich dabei mit ihrem Mobiltelefon filmen. Zu ihrer Überraschung trifft sie in dem Nobelgeschäft auch Ian wieder. Sie hatte ihn kurz zuvor im Rahmen ihrer ersten Aufgabe, küsse einen Fremden bei einem Diner, kennengelernt. Wie Vee soll auch er nur etwas anprobieren. Nur sind ihre Sachen weg, als die beiden in ihre Umkleidekabinen zurückkehren. Und schon erhalten sie über ihre Telefone eine neue Aufgabe. Sie müssen das Geschäft innerhalb weniger Minuten verlassen und sich dabei wie immer selbst filmen.

Die Vorkommnisse an der Fifth Avenue gehören ohne Frage noch zu den harmloseren Eskapaden, in die Vee (Emma Roberts) und Ian (Dave Franco) während dieser »Nerve«-Nacht geraten. Aber zugleich offenbaren sie, wie dieses von »Wahrheit oder Pflicht« inspirierte Online-Game die Spieler immer tiefer in eine Schattenwelt hineinzieht. Das Geschäft und das Kleid sind Lockmittel, die die eher ängstliche Vee mit ihren Träumen und Sehnsüchten konfrontieren: Einmal nicht das arme Mädchen aus Staten Island sein, das sich das College ihrer Wahl nicht leisten kann. Doch wer sich im »Nerve«-Universum angestachelt von den Watchers seinen Wünschen hingibt, muss schon bald Grenzen überschreiten.

»Nerve« spielt zwar im New York des Jahres 2020. Aber letztlich könnte sich seine Geschichte um ein paar Jugendliche, die tiefer und tiefer in eine Echtzeit-Reality-Show abgleiten und von einer anonymen Masse von Zuschauern in immer extremere Situationen getrieben werden, genauso gut auch heute zutragen. Von »Pokémon Go« zu »Nerve« ist es letzten Endes nur ein kleiner Schritt. In beiden Fällen geben die Spieler große Teile ihrer Privatsphäre auf und werden so manipulierbar. Es ist ein schleichender und verführerischer Prozess, der in diesem Teen-Thriller in einem extrem emotionalen Appell endet, der vor allem die Watcher mit ihrer Verantwortung konfrontiert.

Aber der Film warnt nicht nur vor den Gefahren eines Lebens, das fortwährend im Netz beobachtet werden kann. Er inszeniert zugleich auch den Rausch, den ein Spiel wie »Nerve« auslösen kann. Schon lange wirkte New York nicht mehr so verführerisch wie in diesem Film, dessen Bilder nicht nur den fast schon irrealen Farbexplosionen von Neonlichtern frönen. Ständig wechselt die Perspektive. Mal blickt man auf einen Bildschirm und verfolgt so das Geschehen. Mal blickt der Bildschirm eines Telefons zurück, während die Kamera Vees Mutproben für die Netz-Community dokumentiert. So ziehen die Regisseure Henry Joost und Ariel Schulman einen in diese atemlose Reise durch die Nacht hinein, bis man selbst zum Komplizen der unsichtbaren Watcher wird.

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