Kritik zu Ich und du

© Kool Film

Nach gut einem Jahrzehnt meldet sich Bernardo Bertolucci zurück. Wie in ­»Die Träumer« erzählt er von der Konfrontation zweier Geschwister auf engstem Raum, diesmal jedoch in unerwarteter Tonart

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 2)
Von einem altgedienten Unruhestifter wie Bernardo Bertolucci hätte man Brisanteres erwarten dürfen. Sein Comeback nach zehn Jahren des Schweigens erfindet die Filmsprache nicht neu und lässt sich schwerlich hochrechnen zu einer Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Italiens. Der erzählerische Radius von »Ich und du« ist begrenzt, erfüllt sich in einer fast heiteren Bescheidenheit. Der Film wird getragen von der zugeneigten Betrachtung zweier Heranwachsender, die man gemeinhin als Problemkinder bezeichnet. An seinem Ende steht eine Katharsis, deren Konsequenz offenbleibt, die den Zuschauer aber nicht ernstlich in Sorge entlässt.
 
 
Die Leichtfüßigkeit jedoch, zu der Bertolucci findet, ist eine helle Freude. Bekanntermaßen ist sie einer schweren Krankheit abgetrotzt, die ihn seit Jahren an den Rollstuhl fesselt. Ein Alterswerk muss man den Film nicht schimpfen; allzu unbändig mutet die Freude des Regisseurs an, endlich wieder drehen zu können, allzu groß die Lust, sich mit einer zeitgenössischen Vorlage, zwei jungen Schauspielern und einem Schauplatz auseinanderzusetzen. Der Schauplatz ist der Keller eines stattlichen römischen Mietshauses, die Romanvorlage stammt von Niccolò Ammaniti, und die jungen Schauspieltemperamente verkörpern zwei Halbgeschwister, die sich unverhofft begegnen. Der 14-jährige Lorenzo (Jacopo Olmo Antinori) ist menschenscheu auf eine Weise, die sein Psychiater als narzisstische Störung diagnostiziert. Der Vater ist abwesend, die Mutter manisch fürsorglich.
 
 
Als seine Klasse zu einer Skifreizeit fährt, versteckt er sich stattdessen im Keller seines Wohnhauses. Er schwänzt nicht den Unterricht, sondern die verordnete Gemeinschaft mit den Kameraden. Unversehens taucht eine Fremde auf, die sich als seine Halbschwester Olivia (Tea Falco) entpuppt. Sie ist drogensüchtig und versucht einen Entzug; in der Hoffnung, sie könne ein neues Leben beginnen. Lorenzo betrachtet sie zunächst als Störenfried, der sich nicht abschütteln lässt. Eigentlich ist das alles zu viel für ihn: ihr bei den Qualen des kalten Entzugs zuschauen und ihre bedrängende körperliche Nähe aushalten zu müssen. Ihre Anwesenheit stellt Forderungen, denen er nicht ausweichen kann.
 
 
Lorenzos Versteck ist keine Gefängniszelle, sondern eine Wunderkammer. Allmählich tritt ihre Seelenverwandtschaft zutage. Beide sind Verweigerer. Einmal, fast schon zum Abschied, tanzen sie miteinander zu "Space Oddity", das David Bowie auf Italienisch singt. Dem Verdacht einer inzestuösen Verstrickung, die man diesem intimen Moment reflexhaft unterstellen möchte, spottet der Regisseur souverän.
 
Sein Blick ist unverfänglicher, auch freier. Er lässt gewähren. Lorenzos und Olivias Aufruhr filmt Bertolucci nicht als klinischen Befund, sondern als Vorzug. Ihre Neugierde aufs Leben darf eigenen Regeln folgen. Aber der Film besteht darauf, dass die Geschwister ihre Begegnung als Lebenslektion nehmen. Lorenzo nimmt ihr das Versprechen ab, nie wieder Drogen zu nehmen. Olivia gibt ihm auf, sich nicht mehr zu verstecken. Das klare Licht des Morgens, in dem sich ihre Wege trennen, räumt die Zweifel nicht aus. Die Zuversicht auch nicht.

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