Kritik zu Fliegende Liebende

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Scherz, Satire, Ironie – ohne tiefere Bedeutung? Pedro Almodóvar überrascht seine Fans mit einer schrillen Episodenkomödie über rosa Wolken

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Seit fast vierzig Jahren macht Pedro Almodóvar Kino. Vom einstigen Enfant terrible der Movida wandelte er sich zum Arthouse Geheimtipp, um sich nach zwei Oscars als erfolgreichster europäischer Autorenfilmer zu etablieren. Mit der steten Entfaltung seines ästhetischen Universums schaffte der Regisseur des Undergroundfilms »Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande« das Kunststück, sich treu zu bleiben und dennoch immer wieder neu zu erfinden. Im Rückblick wird aber deutlich, dass diese Weiterentwicklung seines Spektrums – das von Fäkalprovokationen (»Labyrinth der Leidenschaften«) bis hin zu kunstvoll verschachtelten Erzählungen reicht (»Sprich mit ihr«) – nicht ohne Irritationen funktioniert.

Im Rahmen einer Veranstaltung über Gewalt im Kino führte zu Beginn der 1990er Jahre ein ernsthaft besorgter Jugendschützer eine Szene aus »Matador« vor, die er als besonders krasses Beispiel für entsittlichende Verrohung wertete. Auch die mehr als 10-minütige Vergewaltigungsszene in »Kika« stieß bei der Kritik auf wenig Gegenliebe. Die wohl größte Distanz zu seinem Publikum baute Almodóvar mit »Fessle mich!« auf. Seine schwarze Komödie, die auf den Welterfolg »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs« folgte, wurde damals als »zynische Lovestory« missverstanden, »die unreflektiert Gewalt als Quelle sexueller Lust propagiert«. Eine linke Zeitung bedauerte gar: »Pedro Almodóvar entpuppt sich leider doch als Macho.« Diese Wertung stellte sich, nachdem er begeisterten Zuschauern »Mein blühendes Geheimnis« anvertraut und »Alles über meine Mutter« erzählt hatte, vielleicht doch als Fehleinschätzung heraus.

Die quietschbunte Komödie »Fliegende Liebende«, mit der Almodóvar sich nun auf den Rückflug in die 80er Jahre begibt, erweist sich erneut als Herausforderung, denn nach Publikumserfolgen wie »Volver« kommt der Spanier beinahe hinterhältig seicht daher. Das Flugzeug, in dem fast die gesamte Handlung spielt, hat ein Fahrwerkproblem und kreist auf der Suche nach einer Notlandebahn über der Mancha – Almodóvars Heimat. Passagiere der Touristenklasse wurden vorsorglich narkotisiert, und um die Reisenden der Business Class zu zerstreuen, führen die Flugbegleiter ein Tuntenballett auf, gewürzt mit liebevoll gemixten Drogencocktails.

Von den ersten Szenen an gibt der Film zu verstehen: Ich bin schwul, und das ist gut so. Nun hat Almodóvar Homosexualität schon öfters thematisiert, doch »Fliegende Liebende« ist das erste Werk, in dem der Spanier dabei auf jenen meist so artifiziell gewobenen Handlungsfaden verzichtet. Stattdessen erzählt er Shortcuts in der Warteschleife über ein dreckiges Dutzend typischer Almodóvar Charaktere: Dazu zählen eine Jungfrau, die den Tod riechen kann, ein betrügerischer Geschäftsmann, ein feiger Liebhaber, ein Killer, zwei bisexuelle Piloten und eine Domina mit dem unwiderstehlichen Namen Miss Take. Angesichts der drohenden Bruchlandung wollen sie wichtige Dinge mit ihren Angehörigen am

Dabei entstehen herrlich schrille Situationen. Einmal scheint ein Handy vom Himmel zu fallen, genau in den Einkaufskorb einer jungen Frau, die dadurch in die Wohnung ihrer Nebenbuhlerin geführt wird. Diese ist eine suizidgefährdete Malerin, deren Atelier aussieht, als wäre hier gerade Jackson Pollock ermordet worden. Visualität und Ausstattung – insbesondere der Innenraum des Flugzeugs – sind wie üblich ein Augenschmaus. Doch die fehlende Dramaturgie kommt einem irgend wann spanisch vor. Das gut gelaunte Dahinplätschern ist gewöhnungsbedürftig. Wer die Tragik in »Live Flesh« und in »La mala educación« schätzt, wird sich fragen, was dieses Kammerspiel über rosa Wolken soll? Es gibt Scherz, Satire, Ironie – aber keine tiefere Bedeutung. Auch der drohende Tod erscheint auf dieser turbulenzfreien Luftfahrt unwirklich. Fliegende Liebende könnte man im Bordkino eines Urlaubsfliegers zeigen: Pauschalreisende wüssten dann zwar nicht mehr, ob sie Männlein oder Weiblein sind, aber Crashangst bekämen sie nicht. Almodóvar light? Vielleicht.

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