Kritik zu Félicité

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Der afrofranzösische Regisseur Alain Gomis (»L'afrance«) erzählt in seinem neuen Film von einer kongolesischen Nachtclubsängerin in Geldnot. Ihre Suche nach Mitteln, um für die Unfalloperation ihres Sohnes aufzukommen, nutzt er zugleich als Porträt des Alltags und der Vergnügen in der Hauptstadt Kinshasa

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Geldnot ist zweifellos einer der häufigsten, wenn nicht der häufigste Plotantrieb des Sozialkinos überhaupt: Von »Fahrraddiebe«, dem Grundstein des italienischen Neorealismus, bis hin zu aktuellen Beispielen wie »Zwei ­Tage, eine Nacht«, schicken Filmemacher ­ihre Protagonisten und Protagonistinnen auf die verzweifelte Suche nach den wirtschaftlichen Mitteln, die sie vor dem Ausschluss aus der kapitalistischen Gesellschaft, vor der Obdachlosigkeit und letztendlich vor dem Tod bewahren sollen. Nicht selten scheitern sie dabei.

Auch der französisch-senegalesische Regisseur Alain Gomis stellt in seinem neuen Film »Félicité« eine solche Odyssee in den Vordergrund, auf die sich seine titelgebende Hauptfigur in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa begeben muss. Die Nachtclubsängerin aber benötigt das Geld nicht für sich selbst; es sind die horrenden Kosten für die Operation ihres jungen Sohnes, der nach einem Motorradunfall im Krankenhaus liegt, die Félicité auf die Straße zwingen. Vergeblich klappert sie zunächst die familiären Adressen ab – eine frühe Szene führt sie zu dem aggressiven Vater des Jungen, der sie rüde vor die Tür setzt – bis sie schließlich einen zwielichtigen lokalen Patriarchen aufsucht, der Politiker, Gangster oder beides sein könnte. Hier weicht Gomis nun deutlich von dem üblichen Erzählbogen der oben genannten Filme ab: Nach allerlei Geschrei und Gezerre gelingt es Felicité,
dem bedrohlichen Gönner das benötigte Geld zu entlocken; doch mit diesem Halbzeitpunkt des Films bricht ein neues Unglück über die Alleinerziehende herein.

Der relativ simple Plot steht jedoch ohnehin kaum im Fokus dieses Films, der vor allem in der zweiten Hälfte mehr einer assoziativen Struktur folgt. »Félicité« lebt von den Szenen des kongolesischen Alltagslebens, insbesondere von den zigarettenrauch­vernebelten Kneipensequenzen. Die werden untermalt vom Gesang der Hauptdarstellerin Véro Tshanda Beya, einer Theaterschauspielerin. Ihre stille, würdevolle Präsenz trägt den Film, ganz besonders in den musikalischen Szenen; hier legt ihre Figur all ihren Schmerz, all ihr Zweifeln in die mal melancholischen, mal treibenden Songs, bei denen sie von der Band Kasaï Allstars begleitet wird. Dazu setzt der Film gekonnt die schwatzenden, tanzenden, streitenden Gäste in Szene. Auch darüber hinaus spielt Musik eine große Rolle in Alain Gomis’ Film: Immer wieder unterbrechen Aufnahmen ­einer Interpretation von Arvo Pärts Orchesterstück »Fratres« die Erzählung und sorgen für eine unwirkliche Atmosphäre.

Trotz dieser teilweise verwirrenden Zerfaserung beweist der Regisseur, der für den Film auf der diesjährigen Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, weiterhin ein feines Gespür für die kleinen zwischenmenschlichen Momente. So kon­struiert er überzeugend die Figur des Nachbarn Tabu, der sich trotz seiner großspurigen Art treuherzig um Félicité und ihren Sohn kümmert. In einer fabelhaften Szene betrinkt sich der sympathische Schwerenöter mit dem traumatisierten Jugendlichen und bricht so dessen depressive Lethargie.

Ästhetisch vermag »Félicité« nicht derart zu überzeugen. Gerade in der ersten Hälfte verlässt sich Gomis auf wackelige Tracking Shots, die der Protagonistin durch die labyrinthische Metropole Kinshasa folgen. ­Dieser verwaschene, rohe Look sorgt als Stilmittel eher für Ermüdung. Erst später gelingen dem Regisseur einige treffend komponierte Bilder, die teilweise traumartige Qualitäten annehmen. So erwartet die Zuschauer mit »Félicité« ein Einblick in eine hierzulande eher selten im Kino zu sehende Welt. Dass sich der Regisseur dabei nicht ausschließlich auf die gängigen Tropen des sozial engagierten Erzählkinos stützt, verleiht seinem vierten Spielfilm eine erhabene Stimmung – es sind aber vor allem die Blicke der Hauptdarstellerin Beya, die auch nach den zwei Stunden Laufzeit noch im Ge­dächtnis verweilen.

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