Kritik zu Die Frau mit der Kamera – Porträt der Fotografin Abisag Tüllmann

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2015
Original-Titel: 
Die Frau mit der Kamera – Porträt der Fotografin Abisag Tüllmann
Filmstart in Deutschland: 
23.06.2016
L: 
92 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Claudia von Alemann porträtiert die jüdische Fotografin Abisag Tüllmann mit einer Mischung aus Hommage an eine Freundin und filmischem Essay

Bewertung: 4
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Als die jüdische Fotografin Abisag Tüllmann 1996 verstarb, hinterließ sie der Nachwelt mit ihrem umfassenden Bildarchiv eine kulturelle und gesellschaftliche Chronik der Bundesrepublik von den 60ern bis in die 90er Jahre. Die Filmemacherin Claudia von Alemann, die Tüllmann während des Studiums kennenlernte, hat mit »Die Frau mit der Kamera – Porträt der Fotografin Abisag Tüllmann« einen Dokumentarfilm über ihre Freundin gemacht, der zugleich mit den Formen eines filmischen Essays spielt. Herzstück ihres Films sind Gespräche mit Wegbegleitern, Kolleginnen und Freundinnen – wobei Beruf und Freundschaften bei Tüllmann oftmals nicht voneinander zu trennen waren, was viel über die Solidarität zwischen den Frauen verrät, die in den 60er und 70er Jahren in einem stark von Männern dominierten Feld arbeiteten. Viele dieser Freundschaften – wie etwa mit der Filmemacherin – hielten ein Leben lang, so dass »Die Frau mit der Kamera« sehr persönliche Einblicke in das Schaffen Tüllmanns gewährt, die in Frankfurt arbeitete, wo sie u. a. die Auschwitz-Prozesse und später die Häuserkämpfe dokumentierte.

Mathis Bromberger, ein gemeinsamer Freund von Alemanns und Tüllmanns aus 68er-Zeiten, beschreibt sie als »kleine Frau mit einem wachen Blick«, die damals auf jeder wichtigen Versammlung mit ihrer Kamera im Hintergrund anzutreffen war. Alle Interviewten im Film erinnern sich an die bedachte Wortwahl Tüllmanns als ihr hervorstechendes Merkmal. Wie viel Geduld ihr langsames Sprechen vom Zuhörer einforderte, kann man spät im Film selbst feststellen, als von Alemann kurze Interviewpassagen aus den 90er Jahren benutzt. Sie zeigen aber auch, dass Tüllmann sich der Sprache mit derselben Gewissenhaftigkeit bediente, die ihr als Fotografin zu eigen war. Die Fotografin Barbara Klemm bemerkt, dass Tüllmann die seltene Gabe besaß, mit ihren Fotos den historischen Moment zu antizipieren.

Tüllmanns Gespür für den Augenblick und ihre Sympathien für die von ihr porträtierten Menschen (die Stars der deutschen Theaterszene und der Frankfurter Häuserkämpfe, Obdachlose, Mitglieder der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung) dokumentiert von Alemann mit Hilfe von fast 500 Fotografien, denen sie im Stil eines »Ciné-Romans« (frei nach Chris Markers »La Jetée«) in langen Sequenzen, unterlegt von den fragil-dissonanten Arrangements des Neue-Musik-Komponisten José Luis de Delás, zu ihrer vollen Wirkung verhilft. Zusammen mit den persönlichen Erinnerungen von Freunden bilden diese essayistischen Fotostrecken eine bewegende, stille Hommage an eine Künstlerin, die sich ihr ganzes Leben einen kritischen Blick für die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland, aber auch in anderen Regionen der Welt (Algerien, im damaligen Rhodesien, Israel) bewahrt hat. Und für die die Kadrage ein politisches Statement darstellte. Als ein Gallerist ihre Fotos für eine Ausstellung beschneiden wollte, damit sie in die Bilderrahmen passten, erinnert sich die Fotografin Ellen Bailly belustigt, habe die kleine ruhige Frau tatsächlich einmal die Fassung verloren.

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