Kritik zu Bad Tales – Es war einmal ein Traum

© Filmperlen

Gleißendes Sommerlicht, finstere Abgründe: In den Vorstadt­geschichten des Brüderpaars Damiano und Fabio D'Innocenzo, auf der Berlinale 2020 für das beste Drehbuch ausgezeichnet, brodeln die Aggressionen und unerfüllte Sehnsüchte

Bewertung: 3
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

An einem Abend in diesem Sommer sitzen die Nachbarsfamilien beim gemeinsamen Essen im Garten. Nachdem Vater Pietro Rosa zunächst ausgiebig über seine beruflichen Erfolge in der Seifenherstellung geprahlt hat, weist er Sohn und Tochter an, den Gästen ihre Schulnoten vorzulesen. Sie rattern ihre Punktzahlen herunter: in jedem Fach eine volle 10, was im Deutschen einer 1+ entspricht. Nur in »Betragen« hat es bei der kleinen Alessia lediglich zu 9 Punkten gereicht. Daran muss sie echt noch arbeiten. 

Der Druck, der auf den Menschen in der römischen Vorortsiedlung lastet, ist enorm, egal ob er von außen oder von innen kommt. Auf der Jagd nach dem präsentablen bürgerlichen Leben müssen die Männer permanent ihre Erfolge und ihre Männlichkeit herausstellen, die Frauen scheinen von geheimen Sehnsüchten zerfressen, und die Kinder werden schon früh darauf gedrillt, genauso unglücklich zu werden wie ihre Eltern. Es ist ein bitteres, auswegloses Panoptikum der Verunsicherung und Depression, das die Zwillingsbrüder Damiano und Fabio D'Innocenzo hier in den Porträts einer Handvoll Menschen der unteren Mittelschicht ihres Landes zeichnen. 

Die sonnendurchfluteten, manchmal verträumt wirkenden Bilder, mit viel Gegenlicht und auch mal von unter der Wasseroberfläche gen Himmel gefilmt, kon­trastieren hart mit den unerfreulichen, teils grotesk überzeichneten Begebenheiten und Gefühlen. Und während das Licht und die Farben dem Film eine so sinnliche Qualität verleihen und man die Sommerhitze fast selbst spüren kann, wirken die Figuren wie stumpfsinnige Gefangene ihrer Körper und Existenzen. Doch ein Erzähler warnt ja schon am Anfang: Was er uns erzählen wird, inspiriert von den zufällig gefundenen Tagebucheintragungen eines kleinen Mädchens, sei »eine wahre Geschichte, die auf einer unwahren Geschichte beruht«.

Dieser postmodern verwinkelten Aufforderung zur Skepsis, die, wenn man den Film als Ganzes betrachtet, eher manieriert denn schlüssig wirkt, folgen in episodischer Reihung Szenen zwischen Katastrophen, Komik und alltäglicher Seltsamkeit: Ein aufblasbarer Swimmingpool wird da im Zorn aufgeschlitzt; ein Vater dreht vor Begeisterung fast durch, als er seinen blassen Sohn auf einem Feld ein paar Runden mit dem Auto drehen lässt; ein Junge und ein Mädchen ­scrollen sich heimlich durch die Browserchronik von Vaters Handy – lauter Pornoseiten – und beschließen, möglichst bald auch mal Sex auszuprobieren; zwei ­Väter steigern sich auf einer Party in Vergewaltigungsfantasien über eine Bekannte hinein; ein Vater verprügelt seinen Sohn, weil der ihn gefragt hat, ob die Beziehung der Eltern in Ordnung sei. Irgendwann allerdings nehmen die Ereignisse in dieser Nachbarschaft eine gefährliche Wendung, denn die Kinder haben einen Plan . . .

Reich an irritierenden, teils sexuell provokanten, bisweilen aber auch bewusst albernen Details – etwa dem merkwürdigen Entengang, den ein Vater und sein Sohn gemeinsam haben –, mutet dieses kaputte »Märchen« fast wie ein italienisches Pendant zu Frauke Finsterwalders und Christian Krachts Expedition in die deutsche »Finsterworld« an, in der sich auch das Banale und das Grauen begegneten. 

Allerdings sind die Figuren in »Bad Tales« bei all ihren ausgestellten Extremen zu wenig ausgestaltet und meist auch zu unsympathisch, um den Betrachter an ihren Geschicken Anteil nehmen zu lassen, obwohl die Darsteller teilweise sehr sehenswert aufspielen, etwa Elio Germano (»Mein Bruder ist ein Einzelkind«), der vor lauter Aggression beständig zu vibrieren scheint. Zu lose, zu spannungsarm reihen sich auch die Ereignisse aneinander. So besitzt »Bad ­Tales« zwar eine beeindruckende atmosphärische Gestaltung mit exzentrischen Akzenten durch Musik und Tongestaltung sowie kurzen poetischen Momenten, in denen sich die Inszenierung Zeit nimmt, um etwa Blicke zu studieren – doch überlagert werden diese subtileren und ambivalenteren Ansätze von einer Abgeklärtheit, die so bitter wie satt ist, also kaum noch Neugier zulässt. So kann am Ende auch die schlimmste Eskalation eintreten, ohne dass man wüsste, warum der Film überhaupt davon erzählt.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt