Kritik zu 17 Mädchen

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Schwangerschaft als Selbstermächtigung: In einer französischen Kleinstadt entscheiden sich 17 Mädchen dafür und träumen von einem gemeinsamen Leben in Unabhängigkeit von den Eltern

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Camille ist schwanger. Ungewollt aber nicht unglücklich. Der Vater des Kindes spielt für sie keine Rolle, einzig der Gedanke an einen schutzbedürftigen Menschen, der sie bedingungslos liebt, zählt für sie und der feste Vorsatz, alles besser zu machen als ihre eigene Mutter. Sie ist sicher, selbstbewusst und in ihrem Freundeskreis eine Art Führerfigur. Die Hoffnung mit dem Kind, das ihr niemand nehmen kann, ein neues, selbstbestimmtes Leben beginnen zu können, ohne die belehrenden Einwürfe der Eltern, den ständigen Ermahnungen, Ordnung zu halten und abends zu einer bestimmten Zeit zu Hause zu sein, ist so ansprechend, dass, eins nach dem anderen, schließlich 17 Mädchen dazu bereit sind, schwanger zu werden. Alle an einer Schule, Gesetz besagt, dass niemand unter 18 zu einer Abtreibung gezwungen werden kann.

Was aus diesem Traum nun wird, das zeigen die Geschwister Delphine und Muriel Coulin in ihrem tragikomischen Film auf bestechende Weise. Der Fall beruht auf einer wahren Geschichte. In Gloucester in Oregon wurden 17 Mädchen fast gleichzeitig schwanger. Sie besuchten dieselbe Schule und gabenzu, einen Schwangerschaftspakt geschlossen zu haben. Diese Wahrheit ist hier ausnahmsweise einmal wirklich bedeutend, denn sonst hätte man über die Absurdität der Konstruktion reden müssen, über die Idee, dass eine Schwangerschaft jungen Mädchen als Mittel der Selbstermächtigung taugte.

Delphine und Muriel Coulin gehen in ihrem Film ungeheuer feinfühlig vor. Anstatt zu erklären, beobachten sie die Mädchen, die sich hemmungslos betrinken, kiffen und rauchen, als wäre die Schwangerschaft ein Freibrief und keine Verpflichtung. Aber sie zeigen sie auch mit einem ängstlichen, fast waidwunden Blick beim Ultraschall, in dem Moment, wo das neue Leben sich regt und klar wird, dass es hier um mehr geht als persönlichen Spaß. Sie halten sich mit individuellen Charakterisierungen zurück, betrachten die Mädchen als Gruppe, so dass man kaum weiß, wer neben Camille die zweitwichtigste ist.

»17 Mädchen« war einer der großen Überraschungserfolge bei den Filmfestspielen in Cannes. Das Erstlingswerk der beiden Coulin-Schwestern ist so provozierend wie feinfühlig, und trotz des kontroversen Themas sind sie immer wieder auch komisch. Vor allem aber blicken sie sensibel auf die Gefühlsregungen der Mädchen, die nach dem Träumen allmählich zu zweifeln beginnen. In dem Moment der Grenzüberschreitung vom Mädchen zur Frau wird Freiheit zu Hilflosigkeit und damit zu einer Art Bedrohung. Am Schluss wird alles so, wie es die Eltern immer schon vorhergesagt haben. Das ist keine bittere Erkenntnis, sondern eine einfache Feststellung. »17 Mädchen« ist neben der Dokumentation eines merkwürdigen Falles eine feine Parabel auf den Wunsch, schneller erwachsen zu werden, als es Körper und Geist vorsehen. Und er ist eher von Verständnis getragen als von Empörung oder Ablehnung.

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