Permanenter Link Gespeichert von Carla Prassel am 11. Juni 2025 - 15:43
Auf den ersten Blick wirkt es paradox: Ein aufwendig produzierter russischer Film, der Unterdrückung, Zensur und staatliche Willkür im stalinistischen Moskau zeigt – und trotzdem vom russischen Staat mit Millionen gefördert wurde. Noch erstaunlicher: Er läuft erfolgreich in russischen Kinos, während derselbe Staat in den besetzten Gebieten der Ukraine Stalin-Banner hisst und Sowjetflaggen schwenkt. Doch dieser Widerspruch ist keiner. Der Film Der Meister und Margarita fügt sich nahtlos in die ideologische Strategie des heutigen russischen Regimes ein – und wirkt nur auf den ersten Blick kritisch.
Die im Film dargestellte Repression bezieht sich eindeutig auf die Stalin-Zeit. Das ist in Putins Russland nicht verboten – im Gegenteil: Eine gewisse historische Aufarbeitung wird zugelassen, solange sie nicht ins Heute reicht. Die Botschaft lautet: „Damals war es schlimm. Heute sind wir zivilisiert.“ Die Kritik wird ins Museum verbannt, wo sie keine Gefahr darstellt.
Der Meister und Margarita ist klassische Hochkultur – keine Aktivistenkunst, keine Anklage in Echtzeit. Solche Werke erfüllen in autoritären Staaten oft eine gezielte Funktion: Sie schaffen ein Bild intellektueller Toleranz, geben dem bildungsbürgerlichen Publikum ein Feigenblatt der Reflexion, ohne das Fundament des Systems zu erschüttern. Sie bieten Katharsis ohne Konsequenz.
Trotz aller Kritik bleibt die Symbolik eindeutig: Der Teufel kommt nach Moskau, nicht nach Kyiv. Moskau ist Zentrum des Bösen, aber auch Zentrum des Bedeutenden. Die Stadt bleibt geistiger Mittelpunkt, genau wie im Weltbild der russischen Staatsideologie. Das “imperiale Selbstverständnis” Russlands wird nicht dekonstruiert, sondern gestärkt.
Michail Bulgakow wurde 1891 in Kyiv geboren, also im Herzen der heutigen Ukraine. Doch er war kein Freund ukrainischer Selbstständigkeit. Geschweige denn Unabhängigkeit. Ganz im Gegenteil: Seine Werke und Haltungen spiegeln eine imperiale russische Sicht auf das ukrainische Volk.
In seinem Theaterstück Die Tage der Turbinen (1926), das auf seinem Roman Die weiße Garde basiert, beschreibt er die chaotischen Wirren der Revolution 1918–19 in Kyiv. Ukrainische Nationalisten wie die Petljuristen oder Sympathisanten der Ukrainischen Volksrepublik stellt er als primitiv, hysterisch, ungebildet oder barbarisch dar. Die Turbinen-Familie, russischsprachige, kaiserlich gesinnte Intellektuelle, ist das Gegenbild: gebildet, zivilisiert, „kultiviert russisch“. Die implizite Botschaft ist klar: Die Ukraine ist unfähig, sich selbst zu regieren. Ordnung kann nur aus Moskau kommen.
Diese Haltung ist nicht bloß konservativ, sondern klar antiukrainisch, tief elitär und loyal gegenüber der Idee eines unteilbaren russischen Reiches. In Bulgakows satirischen Texten wird die ukrainische Sprache als tölpelhaft, bäuerlich, lächerlich dargestellt und das nicht nur aus Spott, sondern aus Überzeugung und Verachtung.
Dass der heutige russische Staat ihn als „russischen Klassiker“ vereinnahmt, ist kein Missverständnis, sondern bewusste ideologische Nutzung eines Autors, der die ukrainische Nation als solche verneint. Seine Werke liefern kulturelle Legitimität für ein Imperium, das gerade versucht, die Ukraine physisch und geistig zu unterwerfen. Bulgakows Bild der Ukraine korrespondiert mit Putins Narrativ, wonach die ukrainische Nation künstlich und historisch unbegründet sei.
In den besetzten ukrainischen Gebieten hängen heute Stalin-Plakate und Sowjetflaggen, was dem Film zu widersprechen scheint. Doch diese Gleichzeitigkeit ist Teil der Strategie: Der Staat kann Stalin als Sieger des „Großen Vaterländischen Krieges“ verherrlichen und ihn gleichzeitig als Symbol vergangener Repression im Kino zeigen. Er betreibt eine selektive Geschichtspolitik, die je nach Zielgruppe unterschiedliche Lesarten zulässt und damit alle Strömungen unter Kontrolle hält.
In Russland bedeutet Widerspruch keine Systemkrise, sondern Stabilität. Intellektuelle dürfen Bulgakow interpretieren, Nationalisten dürfen Stalin feiern. Beides widerspricht sich und passt doch in dasselbe Machtsystem. Diese kontrollierte Ambivalenz entzieht der Gesellschaft die klare Haltung, spaltet mögliche Opposition und stabilisiert den Status quo.
Der Meister und Margarita ist kein subversiver Film, sondern ein ästhetisch geschliffenes Staatsprojekt. Er übt Vergangenheitsschelte, um Gegenwartstreue zu ermöglichen. Er spricht von Unterdrückung – aber nicht von Protest. Er zeigt Moskau als Bühne des Absurden, aber auch als Mittelpunkt der Welt. Er zitiert einen Autor, der die ukrainische Identität „legitim“ verachtete, da er sie selbst hatte und passt damit perfekt in die imperiale Logik des modernen Russlands. Er zitiert einen Autor, der die ukrainische Identität verachtete und dessen Herkunft dies besonders „legitimiert“. Die Ukraine habe kein eigenes historisches Recht auf Existenz, sondern sei immer schon Teil eines größeren russischen Ganzen gewesen.
„Kritik“ wird hier nicht unterdrückt. Sie wird ästhetisiert, historisiert und neutralisiert, bis nur noch eines bleibt: ein kulturelles Bekenntnis zum Staat.
Warum Der Meister und Margarita nicht systemkritisch ist, sonder
Auf den ersten Blick wirkt es paradox: Ein aufwendig produzierter russischer Film, der Unterdrückung, Zensur und staatliche Willkür im stalinistischen Moskau zeigt – und trotzdem vom russischen Staat mit Millionen gefördert wurde. Noch erstaunlicher: Er läuft erfolgreich in russischen Kinos, während derselbe Staat in den besetzten Gebieten der Ukraine Stalin-Banner hisst und Sowjetflaggen schwenkt. Doch dieser Widerspruch ist keiner. Der Film Der Meister und Margarita fügt sich nahtlos in die ideologische Strategie des heutigen russischen Regimes ein – und wirkt nur auf den ersten Blick kritisch.
Die im Film dargestellte Repression bezieht sich eindeutig auf die Stalin-Zeit. Das ist in Putins Russland nicht verboten – im Gegenteil: Eine gewisse historische Aufarbeitung wird zugelassen, solange sie nicht ins Heute reicht. Die Botschaft lautet: „Damals war es schlimm. Heute sind wir zivilisiert.“ Die Kritik wird ins Museum verbannt, wo sie keine Gefahr darstellt.
Der Meister und Margarita ist klassische Hochkultur – keine Aktivistenkunst, keine Anklage in Echtzeit. Solche Werke erfüllen in autoritären Staaten oft eine gezielte Funktion: Sie schaffen ein Bild intellektueller Toleranz, geben dem bildungsbürgerlichen Publikum ein Feigenblatt der Reflexion, ohne das Fundament des Systems zu erschüttern. Sie bieten Katharsis ohne Konsequenz.
Trotz aller Kritik bleibt die Symbolik eindeutig: Der Teufel kommt nach Moskau, nicht nach Kyiv. Moskau ist Zentrum des Bösen, aber auch Zentrum des Bedeutenden. Die Stadt bleibt geistiger Mittelpunkt, genau wie im Weltbild der russischen Staatsideologie. Das “imperiale Selbstverständnis” Russlands wird nicht dekonstruiert, sondern gestärkt.
Michail Bulgakow wurde 1891 in Kyiv geboren, also im Herzen der heutigen Ukraine. Doch er war kein Freund ukrainischer Selbstständigkeit. Geschweige denn Unabhängigkeit. Ganz im Gegenteil: Seine Werke und Haltungen spiegeln eine imperiale russische Sicht auf das ukrainische Volk.
In seinem Theaterstück Die Tage der Turbinen (1926), das auf seinem Roman Die weiße Garde basiert, beschreibt er die chaotischen Wirren der Revolution 1918–19 in Kyiv. Ukrainische Nationalisten wie die Petljuristen oder Sympathisanten der Ukrainischen Volksrepublik stellt er als primitiv, hysterisch, ungebildet oder barbarisch dar. Die Turbinen-Familie, russischsprachige, kaiserlich gesinnte Intellektuelle, ist das Gegenbild: gebildet, zivilisiert, „kultiviert russisch“. Die implizite Botschaft ist klar: Die Ukraine ist unfähig, sich selbst zu regieren. Ordnung kann nur aus Moskau kommen.
Diese Haltung ist nicht bloß konservativ, sondern klar antiukrainisch, tief elitär und loyal gegenüber der Idee eines unteilbaren russischen Reiches. In Bulgakows satirischen Texten wird die ukrainische Sprache als tölpelhaft, bäuerlich, lächerlich dargestellt und das nicht nur aus Spott, sondern aus Überzeugung und Verachtung.
Dass der heutige russische Staat ihn als „russischen Klassiker“ vereinnahmt, ist kein Missverständnis, sondern bewusste ideologische Nutzung eines Autors, der die ukrainische Nation als solche verneint. Seine Werke liefern kulturelle Legitimität für ein Imperium, das gerade versucht, die Ukraine physisch und geistig zu unterwerfen. Bulgakows Bild der Ukraine korrespondiert mit Putins Narrativ, wonach die ukrainische Nation künstlich und historisch unbegründet sei.
In den besetzten ukrainischen Gebieten hängen heute Stalin-Plakate und Sowjetflaggen, was dem Film zu widersprechen scheint. Doch diese Gleichzeitigkeit ist Teil der Strategie: Der Staat kann Stalin als Sieger des „Großen Vaterländischen Krieges“ verherrlichen und ihn gleichzeitig als Symbol vergangener Repression im Kino zeigen. Er betreibt eine selektive Geschichtspolitik, die je nach Zielgruppe unterschiedliche Lesarten zulässt und damit alle Strömungen unter Kontrolle hält.
In Russland bedeutet Widerspruch keine Systemkrise, sondern Stabilität. Intellektuelle dürfen Bulgakow interpretieren, Nationalisten dürfen Stalin feiern. Beides widerspricht sich und passt doch in dasselbe Machtsystem. Diese kontrollierte Ambivalenz entzieht der Gesellschaft die klare Haltung, spaltet mögliche Opposition und stabilisiert den Status quo.
Der Meister und Margarita ist kein subversiver Film, sondern ein ästhetisch geschliffenes Staatsprojekt. Er übt Vergangenheitsschelte, um Gegenwartstreue zu ermöglichen. Er spricht von Unterdrückung – aber nicht von Protest. Er zeigt Moskau als Bühne des Absurden, aber auch als Mittelpunkt der Welt. Er zitiert einen Autor, der die ukrainische Identität „legitim“ verachtete, da er sie selbst hatte und passt damit perfekt in die imperiale Logik des modernen Russlands. Er zitiert einen Autor, der die ukrainische Identität verachtete und dessen Herkunft dies besonders „legitimiert“. Die Ukraine habe kein eigenes historisches Recht auf Existenz, sondern sei immer schon Teil eines größeren russischen Ganzen gewesen.
„Kritik“ wird hier nicht unterdrückt. Sie wird ästhetisiert, historisiert und neutralisiert, bis nur noch eines bleibt: ein kulturelles Bekenntnis zum Staat.