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Nach einem realen Fall: Lars Eidinger spielt einen jungen Wissenschaftler in der DDR, der bei der Stasi anheuert und zu Erpressung und anderen dubiosen Methoden gezwungen wird. Einer der besten Filme beim Filmfest München
Vielleicht ist es ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann. Aus dem Flugzeug heraus holt man den jungen DDR-Wissenschaftler Franz Walter heraus, um ihm mitzuteilen, dass er die Nachfolge seiner Professorin in einem Jahr antreten kann. Vorausgesetzt, er arbeitet ein Jahr bei der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A), dem Auslandsgeheimdienst der Stasi. Walter war auf ein Jahr in Äthiopien eingestellt, doch er willigt ohne größeres Zögern ein.
Vielleicht will er damit seine Karriere befördern? Vielleicht ist er naiv? Vielleicht glaubt er auch, das muss man ja immer konzedieren, an die DDR und ihre Organe. »Nahschuss« liefert da keine eindeutige Erklärung – und das ist auch gut so. Auf alle Fälle ordnet sich das Leben neu, er heiratet seine Freundin (Luise Heyer), bekommt eine neue, nach DDR-Verhältnissen komfortable Wohnung, ein Einzelzimmer-Büro, und sein neuer Kollege Dirk Hartmann (Devid Striesow) scheint auch ganz nett. Aber es stellen sich Irritationen ein. Die Hochzeit findet nur in Stasi-Kreisen statt, sein regimekritischer Vater (Christian Redl) stellt Fragen.
Die Geschichte von Franz Walter ist lose angelehnt an den Fall von Werner Teske, einem Wirtschaftswissenschaftler, der letzte Angeklagte, der in der DDR hingerichtet wurde, 1981, durch einen sogenannten Nahschuss, bei dem der Henker sich von hinten anschleicht und in den Hinterkopf schießt. Kein ganz unbekannter Fall. Wir wissen also, wie die Geschichte ausgeht, wir wissen auch, dass das Todesurteil selbst nach den schwammigen Gesetzen der DDR Rechtsbeugung war und ein Exempel statuiert werden sollte.
Aber Aufklärung ist nur die eine Seite dieses auch perfekt ausgestatteten Films (gedreht wurde u. a. in der Stasizentrale in Hohenschönhausen). Es geht ihm um Walters persönliche Verstrickungen, um die Mechanik des Drucks, der sich um seine Person herum aufbaut, auch um seine eigene Schuld, der er sich mehr und mehr bewusst ist. Walter ist kein skrupelloser Typ wie sein Kollege Dirk (der manchmal allzu mephistophelisch daherkommt), er wirkt mitunter vielleicht labil. Es sind auch nicht die Verlockungen des Westens, die Walter geistig abtrünnig werden lassen – Hartmann und Walter werden auf einen nach Hamburg geflohenen Fußballspieler angesetzt –, sondern dass er merkt, was er anrichtet. Also, um es einmal altmodisch auszudrücken: seine Menschlichkeit.
Franziska Stünkel hat mit »Nahschuss« einen so eindringlichen wie eindrücklichen Film vorgelegt, der beim Filmfest München den Förderpreis Neues Deutsches Kino für das beste Drehbuch gewonnen hat. Sie hat ihre durchaus prominenten Schauspieler gut im Griff, selbst Lars Eidinger nötigt sie das nötige Understatement ab – übrigens eine Idealbesetzung für die Rolle. Die Tragik und Melancholie allerdings, die ein anderer Debütfilm über die Stasi, »Das Leben der Anderen«, in den Tätern suchte, ist »Nahschuss« völlig fremd. Hier sind die Figuren nur Rädchen in einem mit Menschenverachtung arbeitenden Einschüchterungsapparat.