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Besinnungsaufsatz eines Filmfreaks.
Nachlese Berlinale 2018

Die Berliner Filmfestspiele waren immer schon mehr als die Summe der Filme die an den zehn Tagen der ‘Berlinale’ gezeigt wurden. Am Anfang (1951) war das Festival eindeutig nicht mehr als ein Zeichen, den Lebenswillen der bedrohten ‘Frontstadt' West-Berlin zu dokumentieren, finanziert mit knapp 12 000.- Mark aus der Portokasse der amerikanischen Militärregierung. Die Stars zeigten sich auf dem Ku-Damm den vergnügt kreischenden Autogrammjägern, ein ganzer Festival-Tag wurde nur zu Ringelpietz und Dampferfahrten auf der Havel genutzt - das Festival fand noch im Sommer statt, anfangs gab es Publikumsabstimmungen, auch Großveranstaltungen in der Waldbühne. Die große Welt zu Besuch in der Stadt hinter dem Eisernen Vorhang. Die Qualität der Filme war weniger wichtig.

Zum eigentlichen Filmfestival von Rang wurde die Berlinale in den Sechzigern, 'La Notte' von Antonioni gewann 1960, zweiter Preis für 'Außer Atem' von Godard, der sogleich auf Cannes schimpfte, das Ihn und andere ‘übersehen’ habe. Filmkunst rückte ins Blickfeld, es gab ja genug davon, die Cinematographie überwand gerade endgültig die Nachkriegszeit (und ‘Opas Kino’), formte ein neues filmisches Vokabular, ‘Neue Wellen’ überall, in Frankreich, Polen, Ungarn, CSR, u.a. Fettlebe für die noch nicht so zahlreichen Filmfestivals, die damals anders als heute seltener waren als gute, interessante Filme. Die drei A-Festivals (Berlin, Venedig und Cannes) waren Nutznießer. Kutschierte Anfang der Sechziger Friedrich Luft seine Interviewpartnerin Agnes Varda noch für ein Interview in einem offenen Corvette-Cabriolet die Havelchaussee entlang, wich der fröhliche Zirkus bald einem fast heiligen Ernst. Polanski, Skolimowski, Antonioni, alle kamen und der Dauergast Godard schimpfte öffentlich darüber, dass die Teilung der Stadt das Ergebnis der politischen Verwirrungen ‘dreier alter Männer’ war, die in Potsdam nach dem Kriege die Welt aufgeteilt hatten, ohne an die Menschen zu denken. Die Sechziger, die beste Zeit der Berlinale für Cineasten. Friedrich Luft warf das Handtuch.

Anfang der Siebziger folgte der öffentliche Krach um die Juryentscheidungen und den Film ‘O.K.', es folgte das Internationale Forum des Jungen Films, das Festival wuchs und wuchs. Aber noch gab es genug Stoff, genug gute Filme für das ständig anwachsende Programm, auch genug Alternativen zum ‘Großen Kino’, nicht selten lief das Forum dem Wettbewerb des Rang ab. Dann die Verlegung des Festivals auf den Winter-Termin (auch weil das langsam schwindende Angebot im Sommer bereits von Cannes (Mai) und Venedig (September) abgegriffen wurde). Dass es an Stars zu fehlen schien versuchte man mit dem Begriff ‘Arbeitsfestival’ zu kaschieren. Den Cineasten hätte das recht sein können aber die Suche nach guten Filmen wurde schwieriger. Öffnung nach Osten, der sogenannte Ostblock beteiligte sich, das konnte ein paar Jahre lang das Interesse am Festival wieder stärken, dann Entdeckung neuer Filmländer, China vor allem, Iran, auch das ging ein paar Jahre gut und unterschied die Berlinale von Cannes und Venedig. Schließlich aber zogen die nach, machten alle A-Festivals Jagd auf dieselben Filme, der Stoff wurde knapp, bemerkenswerte Filme wurden immer seltener. Gab es anfangs zwanzig Festivalfilme bei der Berlinale, dann hundert, dann hundertfünfzig, sind es heute fast 400, nur wirklich Sehenswertes gibt es kaum noch. Die weniger angesehenen B-Festivals wie Hamburg und San Francisco, Toronto und Melbourne, you name it, waren plötzlich im Vorteil, konnten sie doch - anders als die sog. A-Festivals - Filme nachspielen, die auf anderen Festivals oder in den Kinos ihrer Entstehungsländer schon Erfolg gehabt hatten. Das A-Festival Berlinale, schließlich unter Dieter Kosslick (ab 2002) zu einem immensen und unübersichtlichen Gemischtwarenladen herangewachsen, konnte aber inhaltlich unmöglich mithalten. Die unaufhaltsame Kommerzialisierung des Internationalen Kinos auch in den ehemals sozialistischen Ländern nach den Wendejahren der frühen Neunziger ließ Filmkunst im klassischen Sinne immer weniger zu. So ist das heute, wenn das gesamte Filmjahr zehn gute Filme in die Kinos bringt, hat man Glück gehabt.

Wenn man jetzt nach deutlicherem Profil der Berlinale verlangt, betrifft das vor allem die Auswahl für den Wettbewerb. Dass in der Vergangenheit manch interessanter Film abgelehnt worden war, z.B. ‘Das Leben der Anderen', geschenkt. Aber so was wiederholt sich, die Auswahl wirkt eher zufällig und von filmfremden Erwägungen geleitet, nach dem Motto, wenn schon nicht Qualität, dann wenigstens Aufsehen. Warum lief eines der unbestreitbaren Meisterwerke dieser Filmfestspiele 'An Elephant sitting still' nicht im Wettbewerb sondern im Forum (das übrigens ansonsten ähnliche Probleme hat, das überbordende Filmprogramm sinnvoll zu füllen) ? Dafür aber der nur halb durchdachte Therapie-Film ‘Touch me not’ ? Mann könnte feststellen: es mangelt an Filmverstand und/oder an Mut denselben programmprägend einzusetzen. Aber welche Rolle spielt das überhaupt ? Wäre es nicht klüger, cineastische Ansprüche an die Berlinale endgültig aufzugeben, besonders da sie beim besten Willen kaum erfüllbar sind ? Seit Jahren beklagen die Fachleute das bedingungslose Aufblähen des Festivalprogramms. Aber die Kinos sind voll. Selbst der gefürchtete malayische Vorstadtfilm mit französischen Untertiteln (Beispiel) ist gut besucht, auch das verquasselte Uni-Selbstfindungs-Projekt aus Kalifornien, auch die Abschlussarbeit an einer entlegenen Filmschule im fernen Asien. Alles läuft, wie besoffen trotten die Berliner und Ihre internationalen Gäste in fast jede Vorstellung. Filme, die schon zwei Wochen nach dem Festival im Kino keine Chance mehr hätten werden überrannt. Und Dieter Kosslick ? Schon im zweiten Jahr seiner Festivalführung beantwortete er Fragen nach der überbordenden und erschlagenden Vielfalt von Unerheblichem im Programm, dass die Berliner Taxi-Innung das aber ganz anders sehe. Also: Die Berlinale ist ein ‘Event' und als solches ein Pfund für die Leute, so wie etwa Paris Hilton berühmt ist dafür berühmt zu sein, für nichts sonst. Das genügt offenbar.

Schönes Schlamassel. Soll man den Berlinern Ihre Berlinale nehmen, weil nicht genug Filmkunst verfügbar ist ? Selbst ein leicht rückwärts gewandter Filmspezi kann das nicht wirklich verlangen. Der Wettbewerb muss ernster genommen werden, wer Promis bringt, wer Schlagzeilen bringt (und Verzweiflung der Kritiker) wie der Bären Gewinner 2018, das darf keine Rolle mehr spielen. Und es würde auch helfen, wenn die Jury ihre Arbeit ernst nimmt, filmische Qualität belohnt und sonst nichts. Die diesjährige Bären-Entscheidung für ’Touch me not', offenbar stark motiviert von MeToo-getriebener Auto-Sensibilisierungs-Disziplin, ist geeignet, der Berlinale nachhaltig zu schaden. Wer will da in Zukunft noch sein Meisterwerk ins Rennen schicken (wenn es nicht andernorts bereits abgelehnt wurde) ?

Denn das ist der Witz: Die Berlinale kann in keiner möglichen Form den Ansprüchen genügen, die Cineasten an sie stellen, vielleicht muss sie das auch gar nicht. Wenn aber dieser Anspruch verloren ginge, das 'Event Berlinale' ausschließlich zum beliebigen Kinozirkus sich bekennen würde ? Die Berliner sind sehr begeisterungsfähig, gern wird hier gejubelt (im Guten wie im Schlechten), gern wird mitgemacht, deshalb läuft die Berlinale, das darf ihnen niemand nehmen. Und sie brauchen den Anspruch offenbar nicht. Aber ganz ohne ihn, würden sie dann noch in Scharen herbeieilen, wäre es dann nicht vorbei mit den Warteschlagen, dem Gedränge, mit dem Beifall selbst nach zähesten zwei Stunden Studentenkino, mit der wohligen Trance nach drei, vier Filmen pro Tag, zehn Tage lang ? ‘Filmkunst’ !? Adelt nicht der kulturelle Anspruch die Chose auch für die, die gut ohne denselben leben können ? GOOD LUCK !

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