Interview: Barbara Eder über »Der Schwarm«

»Der Schwarm« First Look Event Berlin (v.l.n.r.): Barbara Eder, Frank Doelger, Leonie Benesch, Rosabell Laurenti Sellers, Alexander Karim, Klaas Heufer-Umlauf. © ZDF, Jens Gyarmaty

»Der Schwarm« First Look Event Berlin (v.l.n.r.): Barbara Eder, Frank Doelger, Leonie Benesch, Rosabell Laurenti Sellers, Alexander Karim, Klaas Heufer-Umlauf. © ZDF, Jens Gyarmaty

Frau Eder, kannten Sie den Roman von Frank Schätzing bereits, als die Verfilmung an Sie herangetragen wurde?

Nein. Ich bekam einen Anruf von meinem Agenten, der ganz überrascht war, dass ich ihn nicht kannte. Das sei eine Art »Naturthriller«, sagte er. Das hat mich zuerst nicht beeindruckt, aber dann habe ich die Drehbücher gelesen, war fasziniert und wusste sofort: das will ich unbedingt machen. Ich habe auch gleich mit Frank Doelger gesprochen und so kam es schließlich zu einer Zusammenarbeit, noch bevor ich den Roman lesen konnte. Das Buch wurde mir per Post geschickt, es kam und kam nicht. Mittlerweile gab es bereits Drehbuchbesprechungen, bei denen mir bewusst wurde, dass es ganz gut war, den Roman nicht gelesen zu haben. Auf diese Weise konnte ich besser überprüfen, ob sich Inhalte und Charaktere sowie Emotionen in den Drehbüchern richtig vermitteln oder ob ich nur glaube, dass es so ist, weil ich den Roman gelesen habe. Frank Doelger, der ja als Showrunner den Überblick über die Adaptierung vom Roman zum Film hat und auch das Autorenteam lenkte, war es natürlich essenziell, den Roman zu kennen. Aber um zu kontrollieren und zu überprüfen, ist denn auch wirklich alles da, wird alles so übermittelt, dass selbst ein Mensch, der das nie gelesen hat, alles versteht und die Figur klar ist – dafür es besser den Roman nicht gelesen habe. Ich hatte ihn allerdings immer dabei und war zeitweise sehr verführt ihn zu lesen, vor allem weil mir viele sagten, »im Buch ist es aber so und so«. Am Ende habe ich es mir verkniffen. Ich habe ihn immer noch nicht gelesen.

Gab es einen Aspekt oder eine bestimmte Figur, die Ihnen besonders am Herzen lag?

Zu jeder Figur hast Du irgendwann einen Zugang, doch ganz stark lag mir Charlie Wagner am Herzen, wahrscheinlich aus zweierlei Gründen. Ich konnte mich mit ihr gut identifizieren, eine junge Studentin in der Wissenschaft unter autoritären Verhältnissen, während sie selber nicht alles nach Norm macht, sondern einen rebellischen Zugang hat im Denken und Tun und dafür auch gleich bestraft wird, indem man sie auf die Shetland-Inseln aufs Abstellgleis schiebt. Mit so etwas kann ich mich sehr gut identifizieren, auch als Frau im Filmgeschäft, einfach dieses Andersdenken und Anderssein. Das fand ich auch ganz wichtig in der Serie: weil Charlie anders denkt, verändert sie die Geschichte. Zu ihr hatte ich einen ganz starken Zugang, finde sie auch ganz wichtig in der Geschichte.

Wie kam es zu der Aufteilung der acht Episoden auf die drei Regisseure? Kann man da auch Wünsche äußern? Oder hängt das alles von der Logistik ab?

Da kann man Wünsche äußern, aber die Entscheidung liegt ganz klar bei Frank Doelger. Ich erinnere mich, dass ich nicht die Pilotfolge drehen wollte. Ich hatte vorher die Serie »Barbaren« für Netflix gedreht, eine sehr harte Produktion, und wollte nicht gleich wieder mit der Pilotfolge einer neuen Serie starten. Die Pilotfolge wird hundertmal angeschaut, da reden die meisten Menschen mit, das kann mitunter sehr kräfteraubend sein. Ich wollte auch gern einmal wieder mit anderen Regisseuren aus anderen Nationen arbeiten, ihnen zusehen und mich ein wenig zurücklehnen. So kam es aber gar nicht – ich wurde von Anfang an hineingeworfen, zusammen mit Luke Watson (Philip Stölzl kam erst später hinzu), und hatte viele kreative Freiheiten – ich wollte gern den Tsunami machen, manchmal habe ich auch gesagt, »Luke, das magst Du doch sowieso nicht – lass mich das machen!«, wir waren da sehr offen. Auch die Zusammenarbeit mit Frank Doelger war sehr angenehm, weil der einem viele Lasten abnahm, also hinsichtlich der Kommunikation mit den Auftraggebern. Er sammelt dabei Deine kreativen Wünsche und lässt Dich Regisseurin sein, er sagt Dir nicht, was Du zu tun hast. Luke und ich waren ein gutes Team, jeder von uns hat unterschiedliche Talente, mich zum Beispiel interessiert extrem die visuelle Umsetzung, die Kameralinsen, welche Kamera ich nehme, mit welchem Sensor, welches Licht setze ich, welche Bilder kreiere ich? Das ist Luke auch wichtig, aber er hat zudem einen starken Fokus auf das Buch, ein Interesse, die Bücher noch mal zu überarbeiten. Ich habe ihm gesagt, ich schaue mir das an für Dich, schaust Du in meine Bücher kurz mal rein, ob Du Ideen hast? Das war ein richtig schönes Arbeiten, Frank Doelger hat gemeint, das habe er noch nicht erlebt, dass die Regisseure nicht streiten. Dass man eher im Team arbeitet als nebeneinander, das ist schon cool, passiert nicht immer.  

Wie war die Logistik? Haben Sie an einem Ort eine Szene mit einer Figur für Folge drei gedreht und Luke im Anschluss eine andere Szene mit dieser Figur für eine andere Folge?   

Nein, jeder hatte seine Folgen, so dass wir schon als Regisseure den Eindruck hatten, wir haben hier ein Werk von vorn bis hinten erstellt. Manchmal war es so, dass ich ein Motiv am Vormittag gedreht habe und er hatte den Nachmittag, um im selben Motiv seine Szene zu drehen. Wir waren auch teilweise auf Standby, weil Covid während des Drehzeitraums ganz stark war. Wir waren komplett immer da – wenn ein Regisseur ausgefallen wäre, hätte der andere für ihn einspringen können. Ich war insgesamt neun Monate in Italien, unserem zentralen Drehort, einschließlich der Vorbereitung. Auch die Szenen in Norwegen und Japan wurden dort gedreht, es gab einen kleinen Außendreh in Kanada.

Philip Stölzl kam erst später hinzu?

Ja, ursprünglich sollte Luke auch den Schluss drehen, aber das war produktionstechnisch nicht möglich, weil sich Dinge verzögerten. Ich drehte gerade den Angriff der Krabben, der in Südafrika stattfindet, und wunderte mich über den Mann, der im Hintergrund saß und sich gar nicht vorgestellt hatte. Irgendwann ging ich zu ihm hin und es klärte sich. Wir haben in einem wahnsinnigen Tempo gedreht, für ihn war es ja die erste Serienerfahrung. Einmal drehte ich eine Antarktisszene und er nebenan eine, die an einem ganz anderen Schauplatz spielt. Du gehst über den Platz, da trinken Leute Espresso und sprechen Italienisch, Du gehst rüber und bist in Japan.

Das war ein Studiokomplex?

Wir drehten in einem kleineren Studiokomplex in Rom, den wir voll belegt haben. Dort wurde das Schiff hineingebaut, das in die Antarktis fährt, die Innenräume, die Rehling und weitere Teile außen, wir haben das Büro in Japan hineingebaut, kleinere Wassertanks, das U-Boot. Einige Sachen mit den Booten wurden entweder am Meer gedreht oder aber in Brüssel in einem Unterwasserstudio. Das ist ein riesiges Hallenbad mit einem zehn Meter tiefen Becken.

Gab es für diese Szenen ein Extra-Unterwasserteam?

Ja, Du hast schon Deinen Kameramann dabei, der kommuniziert mit seinen Operatoren unter Wasser – da sind -zig Leute unter Wasser und Du sitzt in kurzen Hosen und Sandalen am Beckenrand vor dem Monitor. Das ist körperlich sehr anstrengend, nicht nur für die Schauspieler, die Hitze ist beträchtlich und macht müde – gut für die Haut (lächelt), aber körperlich anstrengend.  

Sehr schön fand ich die Szene, mit der Folge drei, Ihre erste Folge, beginnt: auf einer Brücke in Venedig steht ein Paar, rezitiert ein Gedicht und dann tauchen im Kanal darunter mehr und mehr Quallen auf, während die Kamera sich langsam in die Höhe über die Dächer der Stadt erhebt. War diese imposante Kamerabewegung schon im Drehbuch oder haben Sie das selber aufgelöst?

Das habe ich selber aufgelöst. Geschrieben war das Gedicht und natürlich was die Charaktere tun und sprechen.

Man weiß ja, dass die bestimmenden Personen bei Serien die Showrunner sind. Wie verläuft die Arbeitsteilung zwischen dem Showrunner und den verschiedenen Regisseuren? Was, würden Sie sagen, ist für einen Regisseur das Wichtigste bei einer Serie? Die Arbeit mit den Schauspielern?

Showrunner ist für Europa ja eine neue Tätigkeit, viele wissen damit noch nicht umzugehen, Wenn es richtig gemacht wird, ist es eine coole Funktion, die eines Vermittlers, und Stütze für jede Regie. Dazu gehört der Respekt vor der Regieleistung. Es hat damit zu tun, uns Raum zu geben um kreativ sein zu können. Es gibt Leute, die glauben, sie sind jetzt Showrunner und bestimmen was die Regisseure zu tun haben. Das verbittert und tötet jede Kreativität. Ein guter Showrunner wählt dich als Regisseurin, weil er deinen Stil will, weil er findet, Du bist die richtige Zutat für diese Geschichte. Und deshalb will er von Dir auch Dein kreatives Potenzial. Warum sollte er dich dann verbiegen wollen? Er hört zu und schaut zu, macht aufmerksam, vermittelt – in diesem Fall mit wahnsinnig vielen Investoren, die alle Wünsche haben. ZDF, France Television, die RAI, Hulu – das hätten wir als Regisseure zeitlich gar nicht geschafft. Da ist es wundervoll, wenn jemand da ist, der sagt, »ich sehe Dein Konzept und ich sehe Deine Vision – ich bespreche das mit denen«. Und dann die andere Seite auch anhört und versteht. Das heißt, er nimmt Dir wahnsinnig viel Arbeit ab und ist respektvoll. Und er hat den Überblick, weil wir ja doch drei Regisseure sind. Wenn etwas verändert wird in Folge drei, dann sollst Du darüber Bescheid wissen, wenn Du Folge sechs drehst. Das war wunderbar, zudem ist er auch kreativ und gibt Dir Input. Um Showrunner dieser Klasse zu sein, braucht man viel Erfahrung. So eine unglaublich schöne Arbeit habe ich zuvor nie erlebt, oft sind das so Grabenkämpfe. Hier war jemand, der nimmt Dir endlich mal das ab und Du kannst in Ruhe vorbereiten. Es ist auch okay, wenn er dann kommt und sagt, »Das geht nicht«. Denn ich weiß, er hat Stunden mit Diskussionen verbracht – und ich kann ihm vertrauen.

Also er hält Ihnen den Rücken frei?

Absolut. Und er schaut natürlich, dass hier ein Ganzes entsteht. Wenn mehrere Regisseure an einer Serie drehen, muss am Ende auch alles zusammenpassen. Hier muss er auch darauf schauen. Wir haben z.B. ganz früh schon einen Probedreh gehabt, einen Vordreh, auch für Absprachen. Ich wollte ein paar schräge Dinge ausprobieren und hab ihm gesagt, ich möchte ein bisschen gewagter herangehen und Du schaust, ob das die Leute aushalten. Ich wollte mehr Handkamera und viel näher ran. Das sieht man dann auch, je krasser die Geschichte wird. Aber so etwas spreche ich mit ihm auch ab. Beim Vordreh hat er gesagt, »Geh zu weit – ich sag Dir dann 'mehr oder weniger'«. Denn ich kann schon sehr krasse Sachen machen. Das war für mich wunderschön, denn ich habe das gemacht, woran ich glaube, was richtig war – und war mir sicher, es ist ihm zu viel und zu schräg – aber er hat es geliebt. Es ist auch im Film drin.

Ihren Kameramann haben Sie gleich für Ihre nächste Serie erneut angeheuert...

Ja, wir sollten bei »Der Schwarm« anfangs einen durchgehenden Kameramann haben. Aber mit nur einem zu drehen, fand ich problematisch. Er muss dann unter der Woche mit einem Regisseur drehen und am Abend und Wochenende mit dem anderen vorbereiten. Wenn du dann über Monate keinen einzigen Tag frei hast, ist das sehr hart. Bei dem Vordreh, wo ich etwas Krasseres ausprobieren wollte, hatte der eigentliche Kameramann keine Zeit, plötzlich kam Dominik Berg daher – ein junger Kameramann, den ich nicht kannte. 'Kenn' ich nicht, will ich nicht!' ist dann immer meine erste Reaktion. Ich habe nur einen Drehtag mit ihm gehabt, aber es war sofort eine Verbindung mit ihm da, wir waren auf einer Wellenlänge. Mir war klar: den brauch' ich für den Dreh! Das habe ich gleich der Produktion geschrieben und Frank mitgeteilt und dafür plädiert, zwei Kameraleute zu nehmen. Und Dominik Berg sei für mich der Richtige, ich weiß, er habe nicht das Resümé wie andere, aber das sei bei mir ein Bauchgefühl. Und das war auch richtig.

Bei Ihren früheren Serienerfahrungen war es nicht immer so, dass der Showrunner Ihnen den Rücken frei gehalten hat?

Nein – oder man fragt sich, warum man überhaupt genommen wurde. Du siehst ja unsere Handschrift, buche also denjenigen, dessen kreatives Potenzial Du wirklich willst, unterstütze sie und arbeite nicht dagegen. Das hat viel mit Respekt zu tun, denn der Regisseur muss ja Regisseur bleiben dürfen. Showrunner zu sein, heißt ja nicht, dass Du ein Zepter in die Hand bekommst und der Regie sagst was sie zu tun hat – das ist eine ganz schwierige Aufgabe, Mediator zu spielen, immer zwischen »Das hätten wir gern – da liegt Leidenschaft drin – können wir aber nicht finanzieren«. Da liegt so viel Arbeit darin, eine schöne Arbeit, wenn man es richtig macht. Da ist bei mir ein Knopf aufgegangen, weil ich früher immer gedacht habe: wozu brauche ich einen Showrunner? Aber mit Frank hab ich’s schätzen gelernt. Wenn man sich respektiert, kann man sogar miteinander streiten. Ich kann ja sehr emotional werden, Frank dagegen ist ein ganz feiner Mensch.

War »West of Liberty« 2018 für Sie der Anfang des seriellen Erzählens?

Ja, ich hatte zuvor viele Krimiserien für den ORF gedreht, aber das war der erste Ruf aus Deutschland, zugleich war es eine internationale Koproduktion, die dadurch auch im Ausland Beachtung fand.

Sie haben gleich im Anschluss nach »Der Schwarm« eine weitere Serie für das ZDF gedreht?

Ja, »Concordia« ist schon abgedreht, wir sind mit dem Schnitt fast fertig, ich habe dabei alle sechs Episoden selber inszeniert, das ging, weil es ein eingespieltes Team war, Frank war auch wieder Showrunner, er hat mich wieder gefragt, ob ich das machen wolle.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ich hatte nicht das Gefühl, von brennenden Aktualitäten angesprochen zu werden; zu sehr standen andere Bemühungen im Vordergrund. Ich konnte damit aber noch leben, weil ich den Film eher nebenher anschaute. Das Ende hingegen war ganz einfach esoterischer Schwachsinn, lächerlich.
Auf eine zweite Staffel müsste ich jedenfalls verzichten.

Endlich mal ein Europäischer Blockbuster ohne bekannte Hollywood-Künstler. Als Ehemaliger "Polarforscher" habe ich mich auf den Schiffen gleich wie Zuhause gefühlt. DANKE

Ich kann die Kritik am Schwarm nicht nachvollziehen, ich fand die mir unbekannten Schauspieler sehr überzeugend, die Story filmisch gut umgesetzt und sehr spannend. Respekt vor der Arbeit aller, die daran beteiligt waren. Vielleicht liegt es daran, dass ich als Vielleserin noch nicht völlig abgebrüht bin und nur sehr ausgewählt Filme sehe.

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt