Cannes 2016: Zwei Frauen mit Chancen auf die Goldene Palme

Der Hauptpreis: Die »Goldene Palme« von Cannes

Bei den Buchmachern steht sie auf Platz 1: Die deutsche Regisseurin Maren Ade mit ihrem Film »Toni Erdmann« gilt als Topfavoritin, wenn am Sonntagabend in Cannes die Goldene Palme verliehen wird. Die Begeisterung über die ungewöhnliche Vater-Tochter-Komödie hat sich bis zum Schluss gehalten, obwohl der Film bereits in den ersten Tagen dieses 69. Festivals von Cannes gezeigt wurde. Und obwohl auf ihn die mit Spannung erwarteten neuen Werke folgten von so angesehenen und mehrfach ausgezeichneten Regisseuren wie Pedro Almodóvar, Ken Loach, Jim Jarmusch oder den belgischen Regiebrüdern Luc und Jean-Pierre Dardenne. Geht man den Stimmen der an der Croisette versammelten internationalen Filmkritik nach, gibt es nur eine vorstellbare Konkurrentin, die Maren Ade noch die begehrte Goldene Palme wegschnappen könnte: die Britin Andrea Arnold und ihr Roadmovie über eine Drückerkolonne in den Südstaaten der USA, »American Honey«.

»Toni Erdmann« (2016) Trailer OmeU © Cannes Filmfestival/NFP

Die Tatsache, dass der Wettbewerb von Cannes 2016 ausgerechnet von zwei Frauen dominiert wird, ist nicht ohne Ironie. Schließlich geriet Cannes in den vergangenen Jahren wieder und wieder in die Kritik, weil es unter den ausgewählten Werken so wenig weibliche Filmemacher berücksichtige. In diesem Jahr stand mit drei von 21 der Schnitt nicht gar so ungünstig wie etwa noch 2015 und 2014, als nur zwei Regisseurinnen im Wettbewerb mitmischten, oder 2012 und 2010, als es gar keine weiblichen Filmemacher im Rennen um die Goldene Palme gab. Am Sonntag könnte also tatsächlich wahr werden, worauf nicht nur Feministinnen hoffen: dass nach Jane Campion, die 1993 als erste Frau in der traditionsreichen Festivalgeschichte den Hauptpreis für »Das Piano« erhielt, endlich eine zweite Frau mit der höchsten Auszeichnung beehrt wird.

Weil das Ereignis so rar ist, muss man gleich einem Gerücht vorbeugen: Die Stärke der Frauen ist nicht etwa das Resultat einer Schwäche der Männer. Tatsächlich geht Cannes 2016 als ein außergewöhnlich starker Wettbewerbsjahrgang in die Geschichte ein. Auf den Buchmacherlisten stehen denn auch noch zwei männliche Regisseure zwischen Maren Ade und Andrea Arnold. Da ist zum einen der 79-jährige britische Altmeister des Sozialdramas Ken Loach. Er hat hier mit seinem »I, Daniel Blake« gezeigt, dass er es immer noch kann: sein Publikum mit unprätentiösen Geschichten fesseln, die von den Armen und Unterdrückten unserer Welt handeln. Ähnliches gelang dem 67-jährigen Spanier Pedro Almodóvar, der mit seinem »Julieta« zurückkehrte in sein »Heimatuniversum«, den Frauenfilm der etwas anderen, spanischen Art. Freundlich und mit Wärme an der Croisette aufgenommen, fehlt es beiden Filmen aber an der für einen »Hype« nötigen Intensität der Begeisterung. Während Loach erst 2006 mit »The Wind That Shakes The Barley« die Goldene Palme gewann, musste Almodóvar bislang mit dem Preis für die beste Regie (»Alles über meine Mutter«) oder dem besten Drehbuch (»Volver«) Vorlieb nehmen. Der Kultregisseur wäre also »dran«, wie es unter Festivalbeobachtern heißt.

»I, Daniel Blake« (2016). © Cannes Filmfestival/Joss Barratt

Im übrigen zeigt der Blick in die Vergangenheit auch, dass die Wettquoten nicht unbedingt ein zuverlässiges Indiz für den Palmengewinn abgeben: der letztjährige Gewinner, das Migrantendrama »Dheepan« vom Franzosen Jacques Audiard, stand bei den Wettchancen abgeschlagen im Mittelfeld. Und der Preis für die beste Schauspielerin ging gar an die Hauptdarstellerin des Film mit den schlechtesten Quoten, Maiwenns »Mein ein, mein Alles«.

Schließlich entscheidet hier auf dem wohl prestigeträchtigsten Festivals der Welt weder Publikum noch Kritik über die Palmen, sondern eine neunköpfige Jury, die in diesem Jahr aus den Schauspielern Kirsten Dunst, Valeria Golino, Mads Mikkelsen, Vanessa Paradis, Donald Sutherland, den Regisseuren Arnaud Desplechin und László Nemes sowie der iranischen Filmproduzentin Katayoon Shahabi besteht. Als Jurypräsident fungiert der australische Regisseur George Miller.

Unter einer solch illustren und eigenwilligen Gruppe kann man sich manche Debatte vorstellen, die ganz anderen Filmen den Vorzug gibt. Etwa Jeff Nichols Rassismus-Drama »Loving«, das bereits als als heißer Oscar-Kandidat gehandelt wird, nicht zuletzt dank Hauptdarstellerin Ruth Negga, mit der sich 2017 dann der »#Oscarssowhite«-Fluch brechen ließe. Vielleicht teilt die Jury aber auch eher den Geschmack der Kritik, die Jim Jarmuschs poetischen »Paterson« mit Adam Driver als dichtenden Busfahrer in der Hauptrolle auf dem zweiten Platz hinter Ades »Toni Erdmann« setzt. Oder sie gehen mit dem Publikum und deren Favorit »Ma Loute«, der grotesken Klassenkampf- und Kannibalismusgeschichte vom Belgier Bruno Dumont. Vorstellbar wäre auch, dass »Mad Max«-Regisseur Miller sich etwa für die tollen Regieleistungen der Rumänen Cristi Puiu oder Cristian Mungiu begeistern könnte, die mit »Sieranevada« bzw. »Graduation« ein weiteres Mal bewiesen, wie hervorragend sich aus simplen Anlässen (eine Familienfeier, das Abitur der Tochter) präzise und erhellende Gesellschaftsbilder entwickeln lassen. 

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