Der ganz gewöhnliche Faschismus

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Er hätte die Welt verändert. Es fehlte eine Kleinigkeit von 13 Minuten, und vom 9. November 1939 an wäre nicht nur die deutsche Geschichte eine ganz andere. Die Bombe, die am Abend zuvor im Münchner Bürgerbräukeller hochging, hätte zusammen mit Adolf Hitler fast die gesamte Nazi-Führung in den Tod gerissen. Allein schon der Reiz, der von der Vorstellung dieses alternativen historischen Verlaufs ausgeht, hätte dem Bombenleger Georg Elser eigentlich Weltruhm sichern müssen. Statt dessen ist sein Name in Deutschland kaum geläufig; seine Motive galten die längste Zeit als dubios. International ist er ein Unbekannter.

Oliver Hirschbiegels »Elser«, der nun seine Weltpremiere auf der Berlinale feierte, trägt für den Weltmarkt denn auch den Titel »13 Minuten«. Für Deutschland aber bürgt der Originaltitel für das Anliegen sowohl des Regisseurs Hirschbiegel als auch der Drehbuchautoren Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer, nämlich Georg Elser endlich die Würdigung zu verschaffen, die ihm gebührt. Von den ergriffenen Publikumsreaktionen nach der Filmpremiere in Berlin aus zu urteilen, wird ihr Film dazu einen wertvollen und überfälligen Beitrag leisten.

Der Film beginnt mit den Schicksalsmomenten seiner Hauptfigur. Die ersten Bilder zeigen Elser, gespielt vom Magdeburger Schauspieler Christian Friedel, wie er nachts im Bürgerbrauhaus den Sprengstoff in Stellung bringt. Seine blutigen Finger und sein schwerer Atem belegen die Mühseligkeiten der Vorbereitung. Dann kommt die Festnahme, als er am nächsten Tag versucht, in die Schweiz zu gelangen. Parallel dazu zeigt der Film, warum das Attentat schief ging: Wegen schlechter Wetterbedingungen verließen Hitler und sein Stab die Versammlung früher als geplant, um statt zu fliegen mit der Bahn zu fahren. Als Elsers Bombe zu der von ihm gesetzten Zeit explodiert, hatten die Männer, auf die er es abgesehen hatte, den Saal verlassen – besagte 13 Minuten früher.

Elser war zu dem Zeitpunkt schon verhaftet. Was er bei sich hatte, machte es offenbar einfach, ihn mit der Bombe in Verbindung zu bringen. Er wurde mit "verschärften" Mitteln verhört, weil man es für unmöglich hielt, dass er allein gehandelt habe. Von den Grausamkeiten des Verhörs weg blendet »Elser« in amerikanischer Biopic-Tradition zurück zu Szenen, die vorstellen, wer dieser Elser war, woher er kam und was ihn dazu getrieben hat, im Alleingang ein Attentat auf Hitler zu planen. Erzählt wird von den 30er Jahren, die Elser im Wesentlichen in seiner Heimat Königsbronn am Ostende der schwäbischen Alp verbracht hat. Es ist die Geschichte eines charmanten Querkopfes, der mit den Jungkommunisten sympathisiert, als die sie noch jungenhaft-lustvoll mit den Nazis der Gegend prügeln. Elser hält sich abseits, auch als nach der Machtergreifung mit Verfolgung und Ausgrenzung ernst gemacht wird. Wie aus Dorfnachbarn Feinde und kleine Kinder gestärkt durch Uniformen zum höhnischen Mob werden – das alles zeigt »Elser« als nie gesehene Form des Heimatfilms: als Geschichte des "ganz gewöhnlichen Faschismus".  

Hirschbiegels wohl bekanntester Film »Der Untergang«, in dem Bruno Ganz verkörperte, war noch geprägt von einer letztlich unguten Form der Faszination für sein Thema. In »Elser« aber gelingt dem 57-jährigen deutschen Regisseur sehr viel mehr. Der Film entlarvt mit dem Werdegang seiner Hauptperson auch den deutschen Lieblingsmythos von wegen "Man habe nichts gewusst". Wie Elser, der aus einfachsten Verhältnissen stammte, hätte jeder mitbekommen können, dass Kommunisten verhaftet und Juden ausgegrenzt wurden, und dass Deutschland in großem Stil Aufrüstung betrieb. Und trotzdem: Elser besteht gegenüber seinen unnachgiebigen Verhörern mit verächtlichem Stolz auf seine Alleintäterschaft, weil, so lässt ihn das Drehbuch sagen: "Sie werden lachen. Es hätte auch keiner mitgemacht."

"Man hat uns über Jahre ein sehr verzerrtes Bild von Elser geliefert", sagte Hirschbiegel auf der Pressekonferenz. Er verglich Elser mit dem Whistleblower Edward Snowden. Doch mit seinem Film belegt Hirschbiegel, dass es solche Scheinaktualisierungen gar nicht braucht. Sein Elser ist nicht zuletzt dank des hervorragenden Spiels von Christian Friedel interessant genug, um nun endlich die Frage in die breite Öffentlichkeit zu tragen: Wer war dieser Mann? 

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