Manchmal fühle ich mich wie Mitternacht
Als Michael Douglas und Peter Sarsgard in Karlovy Vary zwei Ehrenpreise verliehen wurden, bedankten sie sich mit einer geballten Dosis Amerika-Kritik. Douglas sah sein Heimatland stracks auf dem Weg in eine Autokratie, sein Kollege beklagte, die USA zögen sich immer mehr aus ihrer globalen Verantwortung zurück. Solche Bekenntnisse verlangen im aktuellen politischen Klima mehr als nur Gratismut. Derweil erinnerte die Retrospektive des Festivals an eine Ära, in der eine ganze Künstlergeneration zum Schweigen gebracht werden sollte.
Sie war dem Schauspieler John Garfield gewidmet, der als eines der prominentesten Opfer der Schwarzen Liste gilt. Die Pressemitteilung hebt den außerordentlichen Realismus seiner Darstellungen hervor. In seiner kurzen, nur 13 Jahre dauernden Karriere stellte er gleichsam das Bindeglied her zwischen dem hartgesottenen Warner-Bothers-Stil der Depressionszeit und dem Method Acting der 1950er. Er studierte bei dem Stanislawski-Schüler Richard Boleslawski und dessen Kollegin Maria Ouspenskaya und feierte seine ersten Erfolge im politisch bewegten "Group Theatre", aus dem sich das "Actor's Studio" entwickelte. Sein Stil hatte mittelbaren Einfluss auf Marlon Brando, Paul Newman, Robert De Niro und angeblich auch Frank Sinatra. Sein Rollenbild war das des aufgeklärten, rebellischen Proletariers. Es wurde hinreichend beglaubigt durch seine Herkunft: Als Straßenjunge in New York kam er immer mal wieder mit dem Gesetz in Konflikt. In der Schule galt er als schwer erziehbar, fand aber einen Lehrer, der ihn lehrte, seine Lebenswut im Boxen und der Schauspielerei zu kanalisieren. Auf der Bühne überwand er auch das Stottern, das ihn in jungen Jahren geplagt hatte.
Der Groll, den seine Leinwandfiguren von Anfang in sich trugen, stand mithin im Zeichen einer einzigartigen Authentizität. Diese wurde zwar eingangs durch Jack Warners Dekret kompromittiert, er müsse seinen Geburtsnamen Julius Garfinkle für die Filmlaufbahn ablegen, weil der zu jüdisch klang. Es dauerte sechs Jahre, bis er erstmals einen jüdischen Charakter verkörpern durfte, die reale Figur des Rekruten Al Schmid in »Pride of the Marines«. Das Publikum merkte jedoch rasch, dass Garfields renitente Straßenschläue echt war. Mit einer ridikülen Ausnahme (als Porfirio Diaz in »Juarez«) spielte er nur Gegenwartscharaktere. Sein Nonkonformismus war für Warners einerseits sehr profitabel, zugleich aber ein permanentes Ärgernis für die Studioleitung. Während seiner Vertragsdauer wurde er fast so häufig suspendiert wie Bette Davis und Humphrey Bogart.
Er war prädestiniert für die Rolle des Außenseiters, der nach oben will, und zwar auf uramerikanische Weise: ganz schnell. Dabei gerieten seine Figuren stets in Konflikt mit ihren bescheidenen Wurzeln; sie besaßen die Gabe, den eigenen Ehrgeiz zu sabotieren. Sie waren stets zerrissen zwischen der Treue (zu ihrer Familie, ihrem Milieu, ihren ersten Lieben) und dem unerbittlichen Erfolgsversprechen. Ihre größte Furcht, ein sucker, ein Verlierer zu sein (oder als solcher angesehen zu werden), bestätigte sich meist. Es war etwas Rohes an diesem Schauspieler – a touch of a savage -, was besonders reizvoll war, wenn es seine Figuren in mondäne Sphären verschlug. Die bald verliebte Philanthropin Joan Crawford hält ihn in „Humoresque“ zuerst für einen Boxer, obwohl er eine glanzvolle Karriere als Geigenvirtuose anstrebt. Oft traf er dann auf kultivierte Frauen (Lilli Palmer in »Body and Soul« ist die trefflichste unter diesen sensibel-komplizenhaften Gegenspielerinnen), die ihn vielleicht erlösen könnten von seinem moralischen Verhängnis.
Anfangs entsprach er keinem der gängigen Schönheitsídeale, er schuf sein eigenes: rau, angriffslustig. Er war nicht hochgewachsen, aber nicht so gedrungen wie die archetypischen Warner-Stars, sondern ziemlich muskulös. Badeszenen mit seinen Partnerinnen (Crawford, Lana Turner und Shelley Winters) wurden zu einem Markenzeichen. Seine Charaktere konnten brutal sein und ihr Liebeswerben aggressiv. Von seiner Aura ging eine Bedrohung aus, eine ruppige Autorität – in »The Postman always rings twice« genügt ihm ein stummer Blick, um einen störenden Gast aus dem Diner zu verscheuchen. Seine Augen verrieten noch einen anderen Zug. Sie waren weich und wirkten treuherzig; noch im Strudel von Korruption und Verschlagenheit bewahrte er sich einen Bodensatz jungenhafter Naivität. Es schreibt sich leicht dahin, dass er Härte und Verletzbarkeit in seinen Rollen vereinigte, Aber diese Versöhnung als Schauspieler herzustellen, ist ungemein schwer. Als einfühlsamem Geiselnehmer in seinem letzten Film „He ran all the way“ gelang ihm das noch einmal mustergültig. Sein Spiel war physisch, extrovertiert, aber das war nur die Präambel zu einer robusten Innerlichkeit. Den Kosename aus seiner Kindheit – er war weiblich: Julie – griffen später Kollegen, Regisseure und Historiker unweigerlich auf.
Garfield war mitnichten ein unamerikanischer Schauspieler, konnte auf der Leinwand (eben "Pride of the Marines“) und im Leben (er gründete mit Bette Davis die "Hollywood Canteen" zur Truppenbetreuung) ziemlich patriotisch sein. Er war überzeugter Linker, aber kein Kommunist. Als der Vertrag mit Warners auslief, gründete er seine eigenen Produktionsfilme, die zwei der schärfsten Anklagen des amerikanisch Kapitalismus` darstellen: „Body and Soul“ (der deutsche Titel ist nicht unpassend: Jagd nach Millionen) und »Force of Evil«, beide geschrieben vom nachmaligen Black-List-Opfer Abraham Polonsky, der beim zweiten auch fulminant als Regisseur debütierte. Als Produzent nahm er nach dem Krieg noch einmal einen richtig großen Anlauf, obwohl sein Gesicht schon Schleifspuren aufwies. Der Schauspieler wirkte angegriffen, ja angezählt. Die Ringe unter seinen Augen wurden tiefer, seine Charaktere waren von einer existenziellen Erschöpfung ergriffen. "Sometimes I feel like midnight" sagt sein korrupter Anwalt in »Force of Evil«. Auf einen solchen Satz konnte nur ein urbaner Poet wie Polonsky kommen. Garfield war früh ausgezehrt, er starb mit nur 39 Jahren an einer Herzkrankheit, die er sich in jungen Jahren zugezogen hatte. Die Menge, die 1952 seinem Sarg folgte, war so groß wie die bei der Beerdigung von Rudolf Valentino.
Um die Umstände seines Todes sind mysteriös. Ein New Yorker Freund war fest davon überzeugt, er sei beim Sex gestorben ("He died in the saddle."). Das würde Garfields Ruf als Frauenjäger entsprechen. Zu diesem Zeitpunkt hatte seine Ehefrau, seine Jugendliebe, sich von ihm getrennt und er lebte mit einer Geliebten zusammen. Eine andere Variante behauptet, er sein in einem Hotel mit einer Prostituierten abgestiegen. Pierre Rissient, der Jahrzehnte lang über die Black List recherchierte, gelangte zu einer anderen Vermutung. Bisher hatte sich vor dem HUAC-Ausschuss als unfreundlicher Zeuge gezeigt und vorgeschützt, die Namen vermeintlicher Kommunisten im Filmgeschäft schlicht vergessen zu haben. Ob er bis zum Schluss ein loyaler Freund blieb, ist laut Pierre ungewiss. Am nächsten Tag hätte er erneut vor dem Ausschuss erscheinen sollen. Einige Leute in Garfields Umfeld fürchteten, dass er dem Druck nachgegeben hätte. Ein Konflikt wie in seinen Filmen. Aus ihnen ging er auf der Leinwand meist erhobenen Hauptes hervor.
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