Bewährungsfrist
Sind sechs Jahre lang genug, um den Verfemten wieder die Hand zu reichen? Ich kann es nicht sagen, denn ich kenne die Zeitrechnung der Löschkultur nicht. Auf jeden Fall kommt morgen „An Officer and A Spy“ von Roman Polanski in die US-Kinos, der 2019 in Venedig den Großen Preis der Jury erhielt.
Streng genommen müsste ich die Einzahl verwenden, denn tatsächlich läuft das Historiendrama um die Dreyfus-Affäre, das bei uns „Intrige“ heißt, vorerst nur im Film Forum in New York – und dort auch nur zwei Wochen. Von einem Filmstart, der auf die Awards Season spekuliert, kann mithin wohl nicht die Rede sein. In Frankreich, wo der Film unter dem Titel „J'accuse“ lief, gewann er einige César, von denen der für die Beste Regie besonders umstritten war. Vor dem Theater, in dem die Filmpreise verliehen wurden, schimpften Demonstranten den Regisseur „Violanski“. Alte und neue Vorwürfe der Vergewaltigung gegen ihn erhitzten die Debatte, Celine Sciamma, Adèle Haenel und andere Mitglieder der französische Filmakademie verließen empört das Auditorium. Unter anderen Umständen (und zu einem früheren Zeitpunkt) hätte sich die franko-italienische Produktion durchaus Oscar-Chancen ausrechnen können, gediegen genug ist der Film ja. Warum nur kommt er jetzt in den USA heraus? An seinem Thema, dem Antisemitismus, wird es schwerlich liegen, wenngleich es gerade unverhoffte Aktualität gewonnen hat. Es ist natürlich nicht auszuschließen, das dies mit seinen erzählerischen Qualitäten zu tun hat. Und Robert-Harris-Verfilmungen stehen seit „Konklave“ wieder hoch im Kurs.
Am nächsten Samstag wiederum feiert in Locarno ein Film Premiere, den außer dem künstlerischen Leiter des Festivals im Tessin, Giona A. Nazzaro, wohl niemand mehr auf dem Schirm hatte: „Mektoub. My Love: Canto Due“ von Abdellatif Kechiche. Es ist der Abschluss einer Trilogie, die mit 2017 mit „Canto Uno“ in Venedig lanciert wurde und mit „Intermezzo“ 2019 eine Fortsetzung in Cannes fand, die sich zu einem Fiasko ohnegleichen auswuchs.
Ich gehe am Wochenendede ausführlich darauf ein, Sie kennen das alte Lied: Abgabetermine, die mich den Blog vernachlässigen lassen.
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