Der Berührungspunkt zum Leben

Berlin hat Lana Gogoberidze schon häufig besucht. Meist hat die Stadt ihr und ihren Filmen Glück gebracht. Für ihren ersten Besuch galt das nicht. 1961 lud ein Kritikerverband die georgische Regisseurin nach Ost-Berlin ein, um ihren Debütfilm »Unter einem Himmel« zu zeigen. Was sie erlebte, brach ihr das Herz.

Es war gar nicht weit von hier, ganz in der Nähe des Potsdamer Platzes, berichtete sie am Freitagabend im Arsenal, wo sie ihr Debüt erneut vorstellte: nun zur Eröffnung der Retrospektive, die das Kino ihr im März ausrichtet. Als damals die Vorführung begann, fing ihr Episodenfilm mittendrin an. Das erste Segment, »Prinzessin Maya«, das 1921 während des Bürgerkriegs spielt, fehlte komplett. Die junge Regisseurin stellte den Vorführer zur Rede, der ihr nur erklären konnte, genau so sei die Kopie aus Moskau angeliefert worden. Stracks verließ sie das Kino und brach auf der Straße in Tränen aus. Sie irrte durch die Stadt, die sie eigentlich willkommen heißen wollte und ihr jetzt düster und trostlos erschien. Was es mit der Verstümmelung ihres Films auf sich hatte, erfuhr sie erst in daheim in der Sowjetunion. Wer interessiere sich schon für eine Adlige wie diese Prinzessin Maya, gab der Zensor zu bedenken. Zudem waren die Bolschewiki, die in der Episode verkommen, keine wirklichen Sympathieträger. In der Sowjetunion jedoch lief »Unter einem Himmel« in der ungekürzten Fassung und wurde gar mit 1000 Kopien gestartet. Über die Unberechenbarkeit der Zensur konnte die mittlerweile 95jährige Regisseurin auch heute nur noch die Achseln zucken.

Dass die Biographie der Filmemacherin sich nicht mit der herrschenden Ideologie vertrug, hat in der Familie Gogoberidze Tradition. Ihr Vater wurde auf dem Höhepunkt der stalinistischen Säuberungen 1937 als Volksfeind hingerichtet und ihre Mutter in zehnjährige Verbannung geschickt. Nutsa Gogoberidze war die erste Regisseurin Georgiens, die nach der Rückkehr in die Heimat keinen Film mehr drehte und nie mehr über ihre Arbeit sprach. Ihre zwei verschollen geglaubten Regiearbeiten aus den 1930ern laufen am Ende der Retro. Tochter Lana hat sich im Verlauf ihrer eigenen Karriere immer wieder mit dem Schicksal der Mutter beschäftigt - gerade erst in ihrem jüngsten Film »Mother and Daughter, or the Night is never complete« (fortan halte ich mich an die englischen Titel, die im Programm ausgedruckt sind), der im Forum der Berlinale großen Erfolg feierte. Dessen Co-Regisseurin ist ihre eigene Tochter Salome Alexi. Überhaupt schien die gesamte Familie zur Berlinale und dem Auftakt der Retro angereist zu sein, ein vielköpfiger Clan von Töchtern und Enkelkindern, in dem es gewiss auch Männer gibt, aber nicht mehr als nötig. So quirlig, wie die Enkel am Freitag auftraten, darf man sich der Hoffnung anvertrauen, dass das Filmemachen in dieser Familie auch in die vierte Generation gehen wird.

Eine Retrospektive von Lana Gogoberidzes Werk gab es bereits vor zwei Jahren bei "goEast", aber nun liegt es in neuen, digitalen Restaurierungen vor. Das Arsenal ist der genau richtige Ort, um sie zu präsentieren, denn dessen Gründer Erika und Ulrich Gregor gehörten zu ihren wichtigsten Entdeckern und Förderern im Westen. Ihre Autobiographie "Ich trank Gift wie kachetischen Wein" ist unter federführender Mitwirkung des Hauses übersetzt worden. Man fand also reichlich Anlass, sich selbst zu feiern.

Der Film kam zum Glück nicht zu kurz. Mit ihrem Debüt legte Lana Gogoberidze einen erstaunlichen Grundstein zu ihrem eigenen Werk. Im Zentrum der drei Episoden stehen willensstarke Frauen unterschiedlichen Alters und gesellschaftlichen Hintergrunds. Der Tonfall wechselt, das Tragische wird zuweilen komödiantisch gebrochen (in der zweiten Episode von einigen fidelen Kriegsverletzten, die sich im Hospital auskurieren), während die Wehmut stets intakt bleibt - was gewiss bestimmend für ihr weiteres Schaffen ist, das sich in vielen Genres (darunter dem Musical) artikuliert. Gemeinsam ist den Geschichten, dass sie emphatisch auf die Heldinnen konzentriert sind – nicht nur in den Nahaufnahmen ihre ausdrucksstarken Gesichtern mit den glutvollen Augen, auch in der Rauminszenierung der Totalen. Die Inszenierung ist von elementarer Dynamik, Gogoberidze filmt voller Zuversicht, dass die Natur und urbanen Landschaften ihre angemessene Rolle spielen werden. Die Kamera steht nie dort, wo man es erwartet, ihr Blickwinkel ist ungewohnt, mitunter dreht sie sich im Kreis (die Aufsichten des Hexentanzes in der ersten Episode rauben den Atem) die Komposition wagt oft kühne Anschnitte. Ich bin auf die folgenden Filme gespannt und komme hoffentlich an dieser Stelle darauf zurück.

Ein in jeder Hinsicht mutiges Debüt, meinte Gaby Babic zu Beginn des Gesprächs, das sie nach der Vorführung mit Lana Gogoberidze führte. Die Zwei kennen sich gut, Babic hat vor zwei Jahren besagte Retrospektive in Wiesbaden und Frankfurt kuratiert. Dem Kompliment, Gogoberidze würde an diesem Abend das schönste Kleid im Raum tragen, konnte man nur beipflichten. An Applaus mangelte es nicht für dieses Wunder an Rüstigkeit, deren Filmkarriere sich über mittlerweile sechs Jahrzehnte spannt. Retrospektive bedeutet für sie vielleicht Bilanz, aber bestimmt nicht Abschluss. Sie hegt ein neues Projekt und arbeitet auch an einem neuen Buch. Den nötigen Elan traut man ihr zu.

Im Gespräch zeigte sich, wie berechtigt der Titel der Berliner Reihe ist: "Ein Leben im Kino". Die Kunst habe sie gerettet, bekannte Gogoberidze. Zuerst war die Poesie ihr Berührungspunkt mit dem Leben – ihre Abschlussarbeit in Literatur hat sie über Walt Whitman geschrieben und ihn danach, ebenso wie Verlaine, Rimbaud, Appollinaire und andere übersetzt. Obwohl sie angeblich kein Deutsch spricht, zitierte sie ein Gedicht von Heine komplett. Englisch hingegen war nicht die ideale Sprache für diesen Dialog (Französisch wäre ihr lieber gewesen). So blieb er mitunter stockend und waren viele Antworten knapp oder vage. Diese quicklebendige Erzählerin, die mannigfachen Widrigkeiten einen robusten Mutterwitz abgetrotzt hat, musste hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Ein Erlebnis war das Gespräch allemal: ertragreich an Einsichten, Temperament und bezeichnenden Anekdoten.

Obwohl die drei Episoden auf literarischen Vorlagen beruhen, floss das Leben der Filmemacherin machtvoll in sie ein. Wie die junge Heldin der zweiten versah auch sie während des Zweiten Weltkriegs Wachdienst auf den Dächern von Tiflis, um deutsche Flugzeuge auszuspähen. Das fand sie großartig als Dreizehnjährige, denn sie musste nicht zur Schule. Zwei Monate verbrachten sie und ihr Team während der Dreharbeiten auf den Dächern, auch das war ein Fest. Den Sportpalast, der in der dritten, der Gegenwartsepisode errichtet wird, habe in Wirklichkeit ihr Ehemann gebaut. Er hatte nichts dagegen, dass dies im Film eine Architektin tut. Die Sequenzen auf der Baustelle sind großartig, besonders der nächtliche Spaziergang mit dem Freskenmaler, in den sich die Architektin verliebt. Der ist mit einer anderen Frau liiert, deren Gesicht sie auf dem Fresko erkennt. Der Moment, in dem die Rivalinnen stumme Zwiesprache mit dem Gemälde halten, ist von zarter Melancholie. Warum alle Geschichten von unerfüllter Liebe erzählen, wollte eine Stimme aus dem Publikum wissen? Nun ja, manchmal glückt die Liebe, antwortete Lana Gogoberidze, aber generell...

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