Rollenspiele

Für den amerikanischen Philosophen Stanley Cavell waren Filmschauspieler eigentlich gar keine Schauspieler, sondern Objekte der Betrachtung. Er verstand viel vom Kino, aber ich bezweifle, dass sein Diktum wirklich so rigide gemeint war. Folgt man ihm jedoch, kämen Filmstars erst wirklich zu sich selbst, wenn sie für Glamourfotografen posieren.

Vor ihrem Objektiv werden sie zu Phänomenen der Ferne wie der Nähe. Sie sind der Normalität entrückt und der Unscheinbarkeit erst recht. Sie halten Abstand zur Wirklichkeit und erfüllen doch ein geheimnisvolles Mandat der Nahbarkeit. Die Ausstellung "Walk of Fame", die bei "Camera Work" in Berlin noch bis zum 22. April zu sehen ist, buchstabiert dieses Schillern in zahlreichen Facetten duch. Mit 60 Porträts von 30 Fotografen versammelt sie sowohl große Namen vor wie hinter der Kamera. Ein Gutteil der Exponate stammt aus der eigenen Sammlung. Für die Galerie in der Kantstraße ist dies ein vertrautes Terrain. Steve Schapiro etwa war hier schon als Set-Fotograf von Filmen wie »Der Pate« oder »Taxi Driver« zu entdecken. Was aktuell zu sehen ist, fand indes abseits des Radius' der Filmkameras statt. Glamourfotografie ist eine Disziplin, die eigenen Regeln von Drama und Erkennen folgt. Sie ist das Zeugnis einer anderen professionellen Komplizenschaft: Die Stars wissen, was sie dem Medium schuldig sind. Und die Fotografen treibt eine unbändige Lust an, ihre Persona frei zu interpretieren.

Ich sah mir "Walk of Fame" zusammen mit Brigitte und Michael an, zwei Feunden aus Wien, deren Besuch in Berlin wie üblich im Zeichen unermüdlicher Neugier und Schauzlust stand. Ein, zwei Tage zuvor hatten sie die Nan-Goldin-Ausstellung gesehen, und dies war ein ideales Kontrastprogramm. Die Galerie bewirbt ihre aktuelle Schau mit zwei Plakaten von enormer Anziehungskraft. Auf dem einem bietet sich Nicole Kidman in offensiver Eleganz dem Blick dar. Die Geste, die sie mit ihrer linken Hand ausführt, genügt in ihrer Anmut eigentlich schon sich selbst. Aber früher, bevor sich die Schicklichkeitsregeln wandelten, hätte sie zweifellos eine Zigarette zwischen ihren Fingern balanciert. George Clooney fungiert als ihr Gegenstück, als der Posterboy der Schau. Mit aufgeklebtem Schnurrbart und stilvoll abbrennender Zigare mimt er den zweitbesten Clark Gable aller Zeiten: ein Inbegriff zweifacher Lässigkeit. Die beiden Motive dienen zugleich triftig der Einstimmung, denn das Zitat – die Überblendung von Jetzt und Einst – zieht sich als roter Faden durch die zwei Ausstellungsräume. In einem der tollkühnsten Fotos kommt gar kein Star vor, sondern ein weibliches Model, das wacker in die Rolle von Cary Grant schlüpft, der in »Der unsichtbare Dritte« vor dem Flugzeug flieht.

Das Konzept gefiel uns auf Anhieb. Die Bildlegenden sind auf den Fußboden installiert. Dort nennen sie, den berühmten Ruhmesweg auf dem Sunset Boulevard nachahmend, Dargestellte und Fotografen. Im Wechsel zwischen Auf – und Herunterblicken unternimmt man einen Spaziergang durch gut 100 Jahre Glamourfotografie. Das älteste Beispiel dürfte ein Porträt von Charlie Chaplin sein. Baron de Meyer machte, in der Nachfolge von Alfred Stieglitz, den Pictorialism in Zeitschriften wie "Vanity Fair" heimisch. Sein Foto zeigt Chaplin nicht als Tramp, sondern romantisch umflort. Brigitte fesselte Edward Steichens Studie von Gary Cooper besonders, auf der ein leises Lächeln seine Mundwinkel umspielt, während in seinem Blick noch ein anderes Funkleln liegt. Wir drei kannten das Bild, aber fragten uns, ob seine Augen nicht ebenfalls schmunzeln oder den Fotografen skeptisch mustern.

Mit Yousuf Karsh bahnt sich eine Nachkriegsmoderne an, die die Eleganz einer neuen Prüfung unterzieht. Grace Kelly besteht sie tadellos; Brigitte Bardot ist der einzige Star dieser Auswahl, der nicht in Hollywood gerarbeitet hat. Mit Elliott Erwitt und weiteren Mitgliedern der Agentur Magnum stößt die Schau in die Sphäre des Fotojournalismus vor. Im Pressedossier fand ich eine schöne Definition von Erwitts Kunst: das außergewöhnliche Gespür für die Symbiose von Persönlichkeit und Augenblick. Seine Aufnahme von Marlene Dietrich ist aus der Wirklichkeit ihres Star-Alltags gegriffen, sie entstand 1964 hinter der Bühne, wo sie Kostüm ihres Auftritts (Zylinder und Smoking) von Autogrammjägerinnen in Atemrobe und Nerzmantel umringt wird. Aber ihr souverän suchender Blick gehört ganz der Kamera. Marlene tritt noch in einer weiteren, unverhofften Inkarnation auf den Plan. Wir rätselten lange, welche Schauspielerin sie darstellt. Nie wären wir darauf gekommen, dass sich in dieser Maske Julianne Moore verbirgt!

Einige Stars sind in verschiedenen Karrierephasen zu sehen. Alfred Eisenstaedt porträtiert die junge, längst versierte Sophia Loren, Drei Jahrzehnte später fängt Michel Comte sie in erhabener, vieldeutiger Reife ein, als die Wange eines jungen Mannes an ihrem Busen ruht. Brigitte sah darin eine Pietà. Terry O'Neill wiederum bleibt ganz nah an Faye Dunaway dran. Am Morgen danach, als ihr Oscar für „Network“ stolz auf dem Frühstückstisch prunkt und Zeitungen zwanglos-abssichtsvoll zu ihren Füßen drapiert sind, präsentiert sie sich als Hollywood- Aristokratin. Nie wieder würde sie so gute Filme drehen wie vorher, aber das ahnt sie selbstredend noch nicht in ihrem seidenen Morgenmantel.

Mit den Jahrzehnten, namentlich bei Herb Ritts und anderen, wird das Moment der Inszenierung ohnehin bestimmender. Die Stars lassen sich auf ihr Spiel ein. Das ist eine andere, ihnen aber ebenso geläufige Form von Schauspielerführung. Jetzt gilt es, etwas hervorzubringen, auf das man nicht gefasst ist. Was mögen die Porträtierten dabei an sich selbst entdecken? Oder absolvieren sie nur kurz, mithin unangetastet die ihnen angetragenen Rollen? Auf der Treppe in den zweiten Stock zeigt sich eine weitere Schauspielerin, deren Antlitz unverkennbar ist, die man aber partout nicht identifizieren kann. Mit feinem Schnurrbartstrich und glatt zurückgekämmtem, gescheiteltem Haar beweist Michelle Pfeiffer, dass sie den Geschlechtertausch so perfekt beherrscht wie Marlene.

Im zweiten Saal wird das Spiel mit den Gesten und Attributen des Ruhms noch intensiver. Die beiderseitige Lust an den Auffächerungen von Aura und Legende bricht sich stärker Bahn. Sean Connery holt für Terry O'Neill zum Golfschlag aus in der Mondkulisse, die in Pinewood für »Diamantenfieber« errichtet wurde. Ob er in diesem Moment wohl auf die Idee kam, sich irgendwann in jedes Drehbuch eine Golfszene hineinschreiben lu lassen? Kein Mythos ist so fest konturiert, dass er Alternativen ausschließt. Das ist nie eine Abkehr, sondern stets der Versuch einer Variante. Vincent Cassel gibt dem Affen Zucker, wenn er Monica Bellucci auf dem Rücksitz einer Limousine beißt. Natürlich ist das unverfänglich, denn der Glamourfotografie geht es nicht um Entlarvung. Bestenfalls ist ihr an dekorativer Seelenerforschung gelegen. Zu ihren Spielregeln gehört, dass sich jeder wohlfühlt in seiner Haut. Gestohlen wirkt die Intimität in diesen Bildern nicht, sondern kunstvoll erfunden.

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