Der Wasserman Plan

Bei dem großen Hollywoodstreik von 1960 ging es nicht ganz so streng zu wie heute. Nicht jeder Rote Teppich wurde boykottiert. Obwohl die Drehbuchautoren sich bereits seit Januar im Ausstand befanden und die Schauspielergewerkschaft ihr kurz zuvor gefolgt war, ging die Oscar-Verleihung im April über die Bühne wie immer.

Die Gagschreiber von Bob Hope, der zum neunten Mal die Rolle des Gastgebers übernahm, hatten alle Hände voll zu tun. Die Truppe genoss in der Branche einen legendären Ruf und wurde ehrfurchtsvoll "Bob's Army" genannt. An diesem Abend kam niemand auf die Idee, sie Streikbrecher zu schimpfen. "Willkommen bei dem glamourösesten Streiktreffen aller Zeiten", hob der Zeremonienmeister an und hatte die Lacher auf seiner Seite. Auch seine nächste Pointe saß: "Ich hätte nie gedacht, ich würde einmal den Tag erleben, an dem Ronald Reagan der einzige beschäftigte Schauspieler ist." Dieser hübsche Scherz bedarf leider der Erklärung. Der spätere US-Präsident fristete in den 1950er Jahren eigentlich schon sein darstellerisches Gnadenbrot in B-Pictures und war im Jahr zuvor erneut zum Präsidenten der "Screen Actors Guild" gewählt worden. Als Verhandlungsführer der SAG entschied federführend mit über Wohl und Wehe seines Berufsstandes, als kurz darauf deren Streik begann. Charlton Heston, der ebenfalls dem Verhandlungskomitee angehörte, gewann an diesem Abend den Oscar als Bester Hauptdarsteller für »Ben -Hur«. In seiner Dankesrede versuchte auch er, witzig zu sein, hätte allerdings dringend die Unterstützung von "Bob's Army" gebraucht. Nun habe ich einen Oscar, klagte er, aber keinen Job mehr. Den Aberwitz des Abends, sich selbst zu feiern und zugleich zu bedauern, brachte er gleichwohl auf den Punkt.

Tatsächlich stand im Frühjahr 1960 eine Menge auf dem Spiel. Der grundlegende Konflikt unterschied sich gar nicht so sehr von dem heutigen: Es ging um die Einnahmen aus einem relativ neuen Medium, einer neuen Technologie. Damals war es das Fernsehen, jetzt ist es das Streaming. Zwischen 1950 und 1960 schnellte der Anteil von US-Haushalten, die einen TV-Gerät besaßen, von 9% auf 90% hoch. Um ihre Programmplätze zu füllen, waren die Sender längst auch auf die Ausstrahlung von Kinofilmen angewiesen. Seinerzeit nannte man die zu erstreitenden Einkünfte etwas unglücklich "residuals" (also den "Rest", wobei das gewerkschaftsferne Branchenblatt "The Hollywood Reporter" behauptete, tatsächliche gehe es um die Hauptmahlzeit), heute heißen sie selbstbewusster "revenues" (eben Einnahmen). Die beiden Gilden streikten übrigens nicht gemeinsam, sondern nur zeitweilig parallel. SAG stritt sechs Wochen lang mit den Filmstudios, die "Writers' Guild of America" 21 Wochen lang zusätzlich auch mit den TV-Produzenten.

Zwar brachte der Streik der WGA die Studios durchaus in die Bredouille (Warner Brothers spielten mit dem Gedanken, fertige Drehbücher im Vorspann mit dem Pseudonym "W Hermanos" zu zeichnen), aber vor allem das Fernsehen schreckte vor ihren Ansprüchen zurück. Der Arbeitskampf der SAG, die damals 14000 Mitglieder zählte, erschütterte die Hollywood Majors indes um so mehr. Der Produzentenverband schäumte, dass Schauspieler nun "zweimal für den selben Job" bezahlt werden wollten. Spyros Skouras, der Chef von 20th Century Fox drohte gar, den Firmensitz nach Europa zu verlagern. (Billy Wilder nannte ihn nicht von ungefähr die "einzige griechische Tragödie, die ich kenne.") Tatsächlich waren acht Studioproduktionen von dem Ausstand betroffen, darunter »Machen wir's in Liebe« mit Marilyn Monroe und »Butterfield 8«, der aber rechtzeitig fertig wurde, damit Elizabeth Taylor im Folgejahr den Oscar als Beste Hauptdarstellerin gewinnen konnte. Wie bei der momentan höchst umstrittenen "Interimslösung" ließ SAG es bereits damals zu, dass ihre Mitglieder in unabhängigen Produktionen auftraten. Frank Sinatra und Regisseur Lewis Milestone hoben deshalb kurzerhand die Produktionsfirma "Dorchester" aus der Taufe, um die Dreharbeiten zu dem üppig besetzten „Ocean's Eleven“ (Frankie und seine Spießgesellen) nicht unterbrechen zu müssen. Tatsächlich war das ein Warner.Brothers-Film und "Dorchester" drehte nie wieder einen anderen.

Bis zu diesem Frühjahr wusste ich über den Streik von 1960 kaum mehr als das, was mir die Schauspielerin Barbara Rush über ihn erzählte. Ich hatte sie über unseren gemeinsamen Freund Robert Osborne kennengelernt. Wie viele ihrer Generation war sie sehr unzufrieden mit dem, was Reagan für die Gilde aushandelte. Zwar setzte er durch, dass die Studios in einen Fonds zur Krankenversicherung für SAG-Mitglieder sowie einen Pensionsplan einzahlten (eine klägliche Summe nach heutigen Maßstäben) und pries an, dass diese tax-free seien – schon damals ein entschiedener Gegner der Besteuerung. Aber die Forderung vieler Gewerkschaftsmitglieder, in den Genuss von TV-Tantiemen für Filme zu kommen, die vor 1960 entstanden, erfüllte der Handel nicht. Die ursprüngliche Verhandlungsposition war gewesen, sie auch an Einnahmen für Produktionen ab 1948 zu beteiligen. Dieses Jahr ist in vieler Hinsicht von Belang. Einerseits markiert es eine Wasserscheide in der Geschichte Hollywoods. Damals wurde das "Paramount Decree" ratifiziert, ein Anti-Trust-Gesetz, das die Studios zwang, sich von ihren Kinoketten zu trennen. 1948 war zugleich ein entscheidendes Datum für den Mann, der hinter den Kulissen die Verhandlungen auf der Gegenseite führte und kein Freund von Anti-Trust-Gesetzen war: Lew Wasserman.

Er war 1960, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch kein Studio besaß, einer der mächtigsten Männer Hollywoods. Wasserman leitete die Agentur MCA, die ursprünglich auf einen anderen Zweig der Unterhaltungsindustrie spezialisiert gewesen war – die "Music Company of America" vertrat 90 % aller Musiker, Komponisten und Textdichter. Als er nach Hollywood ging, hatte MCA dort nur zwei Klienten: Ronald Reagan und Hattie McDaniel, die den Oscar als Beste Nebendarstellerin in »Vom Winde verweht« gewann. Da MCA tiefe Taschen hatte, konnte er lauter andere Talentagenturen aufkaufen und vertrat bald rund 700 Film- und 300 Theaterschauspieler. Allem Vernehmen nach muss er ein diabolisches Verhandlungsgenie gewesen sein, dem es allmählich gelang, die Macht von den Studios auf seine Agentur zu verlagern. Stetig trieb er die Gagenforderungen seiner Klienten in die Höhe. Sein Kabinettstück lieferte er 1950 ab, als er für James Stewart einen bahnbrechenden Vertrag aushandelte. Für zwei Filme, »Mein Freund Harvey« und »Winchester 73«, verlangte er zusammen 400000 Dollar, einen Betrag, von dem er wusste, dass Universal ihn nicht aufbringen konnte. Als Alternative bot er an, seinen Klienten zu 50% an den Profiten zu beteiligen. Universal willigte ein. Die Komödie mit dem imaginären Hasen brachte nicht viel ein, aber an dem Western verdiente Stewart geschlagene 900000 Dollar.

Bei seinem Klienten Ronald Reagan ging es nie um solche Summen. Mit ihm hatte Lew Wasserman Größeres vor. Er ermutigte ihn, 1946 für die Präsidentschaft von SAG zu kandidieren. Seine großen Rollen in A-Pictures lagen da schon lange hinter Reagan, allzu viel verlor MCA also nicht, wenn er sich anderen Aufgaben zuwandte. Das war übrigens auch der Moment, als der Schauspieler sich von einem "New Deal Liberal" in einen Kommunistenfresser verwandelte. 1952, im letzten Jahr seiner ersten Amtsperiode, sollte Reagan von größtem Nutzen für Wasserman sein. Zu diesem Zeitpunkt war MCA in die Produktion von Fernsehserien eingestiegen. Es widersprach den Statuten der SAG, Verträge mit Produzenten abzuschließen, die zugleich Agenten waren. Das Gespann fand eine Lösung: Das Fernsehen war noch ein kleiner Markt, und was sprach dagegen, dass Arbeitsplätze geschaffen werden? Und so die Gefahr gebannt würde, dass SAG-Mitglieder zur Konkurrenz AFTRA überliefen?

Die Saga von Wasserman ist zu reichhaltig für einen einzigen Eintrag. Wie es mit ihm und Reagan (sowie anderen Präsidenten), mit ihm und dem US-Justizministerium, dem FBI, der SAG, Alfred Hitchcock, Universal (inklusive, »Der weiße Hai«) weitergeht, erzähle ich Ihnen im August.

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