Im Rampenlicht und danach

Am heutigen Montag feiert eine meiner Lieblingsschauspielerinnen ihren 90. Geburtstag: Claire Bloom. Vielleicht müssen Sie einen Moment überlegen, wer sie ist? Das wäre nicht ehrenrührig. Zwar trat sie in oft im Kino und Fernsehen auf, aber wirkliche Verwendung fanden die beiden Medien nur sporadisch für sie. Ich bin verblüfft, dass dabei dann doch rund 120 Titel herauskamen.

Ihre Karriere im englischsprachigen Theater war ohne Zweifel glanzvoller. Das bekamen wir naturgemäß selten mit; eigentlich gar nicht, man konnte allenfalls darüber lesen. Dort muss sie, schenkt man ihren Kritikern, Partnern und Kollegen Glauben, Epochales geleistet haben. Wahrscheinlich mussten wir uns Kinogänger und Fernsehzuschauer mit dem Abglanz zufriedengeben. Aber wie prächtig er ist! In jedem Auftritt ist sie wie ein eigener Appell, der oft unaufdringlich, aber vernehmlich bleibt.

Ihren Durchbruch feierte sie, wie passend, 1952 in Chaplins »Rampenlicht«. Es stand ihr gut, sie suchte es, ohne es exklusiv für sich zu beanspruchen. Zwei ihrer Ehemänner (Rod Steiger und Philip Roth) waren berühmter als sie. Sie arbeitete mit bedeutenden Regisseuren, Woody Allen, Richard Brooks, George Cukor, Stephen Frears, Laurence Olivier, Carol Reed, Martin Ritt und Robert Wise. Aber mit Ausnahme von »Rampenlicht«, »Blick zurück im Zorn« und »Der Spion, der aus der Kälte kam« machte kaum einer ihrer Filme nachhaltig Furore; wobei letzterer eventuell vor allem wegen seines einprägsamen Titels noch geläufig ist. Also, müsste man nüchtern bilanzieren, keine wirklich überragende Leinwandkarriere. Aber Nüchternheit ist auch eine ihrer Qualitäten als Darstellerin.

Meine Leidenschaft für sie ist mithin zurückhaltend, fast genügsam und, abgesehen von arglosen frühen Aufwallungen, auch keusch. Nennen wir sie deshalb lieber Verehrung. Oder Bewunderung: nicht zuletzt dafür, was sie dem Kino dennoch abtrotzte. Ich war nicht eifersüchtig, dass sie Steiger heiratete, sondern enttäuscht, dass dieser schamlose Übertreiber offenbar so wenig von ihr lernte. Aber folgen wir lieber der Chronologie ihres Filmschaffens. Als blutjunge Balletttänzerin bei Chaplin, der kein überragender Frauenregisseur war, bezauberte sie mich. In »Gefährlicher Urlaub« (The Man between) berührte sie mich. Zugleich entschädigte ihre Präsenz dafür, dass Hildegard Knef nominell die weibliche Hauptrolle spielte – ein Phänomen, das sich später mit Maria Schell bei »Die Brüder Karamasow« wiederholte. In der Hierarchie der Filme war sie oft die zweite, die andere Frau, die eine weitere Schattierung hinzufügte, emotional oder moralisch.

Als Partnerin Oliviers in »Richard III« war ihre Ausstrahlung begrenzt, der ließ sich von niemandem die Schau stehlen. »Blick zurück im Zorn« habe ich erstaunlicherweise nie gesehen, bin aber überzeugt davon, dass sie sich in John Osbornes Zimmerschlachten souverän behauptete. Als feurige Piratin in »König der Freibeuter« versetzte sie mich in besagte frühe Verzückung. Auch wenn sie in Hollywood selten dankbare Rollen fand, gefiel mir doch, wie unbritisch man sie dort besetzte - ohne dass das Vornehme ganz verschwand. Das gilt insbesondere für »Der Chapman Report«, in dem zwar wenig von ihrer Rolle übrigblieb, nachdem 20th Century Fox und die Zensur Cukor den Schnitt entrissen. Dennoch ahnt man, mit wie viel emotionaler Eleganz sie der Rolle der Nymphomanin ausstattete. In der Shirley-Jackson-Verfilmung »Bis das Blut gefriert« (The Haunting) war sie brillant aufgehoben. Ihr Stil fügt sich in die schwebende Atmosphäre von Robert Wise' Geisterfilm ein. Sie stellt sich dem namenlosen Terror, den Anfechtungen an Verstand und Sinne. Den lesbischen Subtext ihrer Rolle nimmt sie neugierig an: Ober- und Untertöne beherrscht sie. Mary Quants Kostüme trägt sie als Rüstung der Moderne in einem Film, der heimgesucht wird von einer schwarzen Vergangenheit.

Auf zwei ihrer ungewöhnlicheren Auftritte habe ich an dieser Stelle bereits hingewiesen: in dem Pandemiethriller »80000 Suspects« (siehe Eintrag „Sozialer Abstand“ vom 27,3, 2020) und als Partnerin von Alberto Sordi (siehe »Der mittlere Italiener« vom 13.5. 2019). Sie hat danach unablässig gearbeitet. In »Ein Puppenheim« muss sie 1973 eine bezwingende Ibsen-Interpretin gewesen sein. Auf Bloom freute ich mich unverbrüchlich auch in minderen Filmen (etwa als quasi Hemingway-Ehefrau in »Inseln im Strom«) und war im Gegenzug enttäuscht, dass Woody Allen ihr so wenig Handhabe gab (was in »Geliebte Aphrodite« fast noch leichter hinzunehmen war als in »Verbrechen und andere Kleinigkeiten«). Umso bedauerlicher, weil sie so wenig in Komödien spielt. In der Erstverfilmung von »Wiedersehen mit Brideshead«, der Miniserie von 1981, war sie magistral, da konnte auch Olivier sie nicht in den Schatten stellen. Gestern sah ich sie zufällig in einer Folge von „Criminal Intent“ als Schauspielerin mit tragischem Realitätsverlust.

Das pièce de résistance ihrer Filmographie ist für mich nach wie vor die John-Le-Carré-Verfilmung »Der Spion, der aus der Kälte kam“« Gewiss, Richard Burton ist großartig in der Hauptrolle. Aber mein Blick wandert unweigerlich zu ihr. Blooms Schönheit ist so vielsagend. Sie trägt ein Leuchten in das Grau dieses Films, das niederschmetternd ist. (Schwarzweiß liegt ihr.) Die enttäuschten Hoffnungen, die vergeblichen Ideale verleihen ihrer Figur eine Melancholie, die das Klima des Kalten Krieges spiegelt. Ein Gesicht, das für eine ganze Epoche steht. Ich glaube, darin besteht die Kunst der Claire Bloom. Ihre Anmut ist der Garant einer Teilhabe, der nicht nur für ihre Charaktere einnimmt, sondern unmittelbar in die Konflikte ihrer Filme hineinführt.

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