Eine Stadt verkleidet sich

Am 30. März, also genau vor einem Monat, wurden in Rom 230 audiovisuelle Produktionen gedreht. Diese erstaunliche Anzahl entnahm ich der stets informativen Branchenwebsite cineuropa.org. Wie viele Kinofilme darunter sind, die irgendwann dann zum Filmstau in den Kinos beitragen werden, war der Meldung nicht zu entnehmen. Größtenteils wird es sich dabei wohl um Fernsehfilme oder Serienepisoden handeln.

Auch in meinem Kiez bemerke ich seit einigen Wochen eine Zunahme an Dreharbeiten. Es geht wieder los. Oder weiter. Lastwagen mit Licht und Kamera, Cateringwagen und mobile Produktionsbüros sind für Berliner kein ungewöhnlicher Anblick. Diese kurzfristigen Invasionen kündigen sich ein paar Tage vorher durch Parkverbotsschilder an, nebenan in der Kalkreuthstraße sitzt eine Firma, die solche Sperrungen durchführt. Ganz so oft werden Motivsucher in meiner Straße freilich nicht fündig. Die Motzstraße hat wenige noch intakte Ensembles von Gründerzeitfassaden zu bieten, wie man sie etwa in Kreuzberg findet. Sie weist vielmehr deutliche Spuren der Nachkriegsbebauung auf und ist ein architektonischer Mischmasch. Ich führe das gern auf die Nähe von Bahnlinien zurück, die ein wichtiges Ziel für die alliierten Bomber waren. Gewiss gibt es noch andere Gründe. Dennoch passiert es immer mal wieder, dass man seine Straße dann im Fernsehen wiederentdeckt. Nico Hoffmann drehte, als er noch Regisseur war, gern im "Hafen". Und ein Nachbar berichtete einmal stolz, er habe den markanten Neubau gegenüber in einer Folge von »Balko« gesehen.

Dass hier meist nur kleinspuriges Fernsehen entsteht, ist Quelle nicht unbedingt der Kränkung, aber doch der Enttäuschung für mich. Also nehme ich Dreharbeiten eher mit den Augen eines Zivilist denn mit professionellem Interesse wahr. Neugierig bin ich schon. Als neulich in der Fugger ein ganzer Straßenzug für eine Woche von einem Produktionsteam belagert wurde, fragte ich einen der Techniker, was sie denn hier drehen würden? Einen Krimi fürs ZDF, antwortete er prompt. Noch ein Krimi? Aber ein Sechsteiler, fügte er stolz hinzu. Der Aufnahmeleiter könne mir Genaueres sagen. Aber solche Leute sind in der Regel ja mit Wichtigerem beschäftigt. Und mein Interesse hatte ohnehin schon nachgelassen.

Ganz anders war es, als ich vor ein paar Wochen vor dem Metropol mehrere Produktionstrucks entdeckte nebst einiger historischer Limousinen. Das Parterre der Fassade war umdekoriert worden. Offenkundig sollte es ein Warenhaus von Hermann Tietz (Sie wissen schon: später Hertie) darstellen. Ein paar Schaufenster waren angebracht worden, rechts daneben stand eine alte Litfaßsäule und auf der linken Seite wurde das Bild von einer Anzeigentafel mit dem kuriosen Namen "Informator" eingerahmt. Auf meine Frage, was hier stattfinde, erwiderte ein Security-Mann (die sind gesprächiger, weil nicht so beschäftigt): Das alte Berlin, 30er Jahre! Eine Folge von »Babylon Berlin«? Janz genau, berlinerte er passend.

Ich hatte die erste Staffel nur sporadisch verfolgt, die nächsten zwei gar nicht mehr. Aber wenn unser Metropol zuvor schon als Drehort für sie fungiert hätte, wäre mir das dennoch aufgefallen: als Passant. Dennoch wollte ich es genauer wissen. Immerhin ging es nun um großspuriges Fernsehen. Ein überaus serienaffiner Freund bestätigte meine Vermutung. Dafür sei dort der "European Song Contest" für »Kudamm 56« gedreht worden, der damals allerdings noch "Grand Prix Eurovision de la Chanson" hieß. Freilich konnte ich mir schwerlich vorstellen, dass die Serie auf diesen Schauplatz verzichten konnte. Er ist historisch bedeutsam (als ehemaliges Erwin-Piscator-Theater, später als Premierenkino) und verfügt über eine prunkvolle Fassade. Ich wollte es noch genauer wissen und nahm Kontakt mit Kristina Jaspers auf, die als Ausstellungskuratorin an der Deutschen Kinemathek arbeitet. Sie hat gerade einen aufschlussreichen Artikel über über den Szenenbildner Uli Hanisch geschrieben (https://www.filmdienst.de/artikel/45555/damengambit-production-design-von-uli-hanisch)  und ist eine intime Kennerin seines Werks; dessen Arbeitsarchiv wird bei der Kinemathek verwahrt. Tatsächlich begleite sie die Dreharbeiten zu »Baylon Berlin« seit 2016, schrieb sie mir zurück, und in der Tat würde dieser Drehort in der vierten Staffel eine zentrale Rolle spielen. Besonders fasziniert sie an der Serie, dass sie kaum im Studio gedreht würde (einmal abgesehen von der "Neuen Berliner Straße", die in Babelsberg errichtet wurde), sondern an Realschauplätzen, die oft viel unpraktischer und enger als Ateliers sind. Die szenischen Umwidmungen, die sich daraus ergeben sind jedoch ein so weites Feld, dass ich Sie auf die Fortsetzung im Mai vertrösten muss.

Derweil noch einmal zurück in meine Nachbarschaft. Vorerst spielt das Metropol also die Rolle eines Kaufhauses. In Volker Kutschers drittem Geron-Rath-Roman "Goldstein", auf dem die vierte »Babylon Berlin« Staffel beruht, tauchen zwei Gelegenheitsdiebe auf, die auf Raubzug gehen im Kadewe und eben bei Tietz. Die Drehbücher springen ja relativ frei mit den Vorlagen um, ich würde mir wünschen, dass das Metropol auch einmal sich selbst darstellen darf. Es gäbe da einen Fall für Gereon Rath, eine Allianz von Ort und Historie, die ins Konzept der Serie passt: den Tumult, den die SA im Kinosaal veranstaltete, um das Publikum aus einer Vorführung des unliebsamen »Im Westen nichts Neues« zu vertreiben. In den ersten drei Staffeln wird ja auch viel zu selten ins Kino gegangen.

Ein, zwei Wochen später gab es übrigens einen kurzen Nachdreh im Metropol. Wer weiß,was es da spielte? Das Haus ist ein Meister der Metamorphose. In meiner Studentenzeit beherbergte es die angesagteste Disco in West-Berlin, vor ein paar Jahren wurde sie zu einem Club umgewandelt, der nicht nicht funktionierte. Seither ist es eine Event-Location. Nicht die beste Geschäftsidee in Corona-Zeiten. Aber das Metropol weiß sich anzupassen. Dieser Tage dient es als Testzentrum.

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