40 Yards weiter

Ohne Zweifel wäre er ein hervorragender Schuster geworden. An Demut und Geduld hätte es ihm nicht gefehlt; erst recht nicht an jener Sorgfalt, die ein beherrschtes Handwerk in eine Kunst verwandeln kann. Seine Schuhe hätten sich durch Anmut und Eleganz ausgezeichnet. Sie hätten perfekt gepasst. Und wenn es der Stil erforderte, wären die Nähte sichtbar gewesen.

Erinnern Sie sich noch, welcher Schock durch die Filmwelt ging, als Daniel Day-Lewis sich zum ersten Mal von ihr zurückzog? Inzwischen ist es fast ein Vierteljahrhundert her, dass er bei Stefano Bemer in Florenz in die Schusterlehre ging. Welches Kinoglück, dass der Schauspieler bei seinem Leisten blieb! Denn in seinem eigentlichen Metier hat er jene Souveränität erlangt, die Technik in Magie überführt. Aber er nahm den Berufswechsel wirklich ernst. In der Dokumentation "Der Weg zum weltbesten Schauspieler", die heute Abend auf arte läuft, sieht man einen Leisten aus der Werkstatt, der seinen Namen trägt. Man sieht auch, wie er sich danach über diese Auszeit in Schweigen hüllt, in der Talkshow von Charlie Rose oder einer anderen (es sind so viele, aus denen Ausschnitte laufen). Inzwischen gehört diese Pause zu seiner Folklore, als eine Sensation unter vielen. Schreiner hatte er auch werden wollen, aber dann war keine Stelle frei bei dem besten – darunter hätte er es nicht gemacht – Tischler in Großbritannien und er ging statt dessen auf die Schauspielschule.

Ich finde es ein wenig schade, dass das Ziel seines Weges für den deutschen Titel schon feststeht. Im Original heißt die Dokumentation vieldeutiger »L' hértier«, der Erbe, was hier auch als Thronfolger verstanden wird (von Burton, Olivier, Brando?). Nach welchen Kriterien ist der "Weltbeste" zu messen in einem so vielgestaltigen Beruf? An seinem Oscar-Rekord, an der unvergleichlichen Hingabe an sein Metier? Irgendwann wird jeder Champion durch einen anderen abgelöst und bleibt dann bestenfalls eine Legende. Aber seine Methode der Vertiefung stellt eben wirklich eine Maximalposition dar. Dieser Darsteller muss das Leben seiner Figuren führen, ohne wenn und aber. Er will nicht hinter ihnen verschwinden, sich auch nicht in ihnen verlieren, sondern sie aufbauen wie ein Bildhauer, der Figuren aus Kontur und Innerem erschafft. Er verleiht ihnen gestische Selbstverständlichkeit, man schaue sich nur an, wie er in „Der letzte Mohikaner“ mit einer langläufigen Flinte hantiert: als habe er sein Leben lang nichts anderes getan. Egal, in welche Epoche oder an welchen Ort ihn eine Rolle stellt, stets ist er in seinem Element.

Schön an der arte-Sendung (die noch bis zum 15. Dezember in der Mediathek abrufbar bleibt) ist, dass sie tatsächlich seinem Weg folgt, fast chronologisch. Natürlich setzt sie erst einmal im Jahr 1986 ein, als er mit zwei völlig gegensätzlichen Rollen – in »Mein wunderbarer Waschsalon« und »Zimmer mit Aussicht« - schlagartig berühmt wurde. Als seinerzeit treuem Leser von "Film Comment" ist mir noch lebhaft im Gedächtnis, welches Aufsehen dieser Coup in den USA erregte. Das Regie- und Drehbuchduo Nicolas Maupied und Jeanne Burel leitet die Gegensätzlichkeit der Figuren – ein adliger Snob bei Merchant Ivory, ein schwuler Punk bei Stephen Frears - aus seiner Herkunft ab: als Kind einer zur Kulturelite gehörenden Familie, die ihn aber auf die Schule in einer Arbeitergegend schickte. Überhaupt findet sie in seinem familiären Hintergrund mannigfache Beweggründe für seine brillante Karriere: der Vater ist der oft unzugängliche Hofpoet Cecil Day-Lewis, die Mutter Jill Balcon eine Schauspielerin, die ihren Beruf hintanstellte; der Großvater mütterlicherseits ist der Produzent Michael Balcon. Das geht mitunter ein wenig glatt auf, ist als Spekulation aber glaubhaft. Das Heranwachsen in einer Atmosphäre der Strenge und Kultursättigung als Impuls der Kreativität, das scheint schlüssig. Ansonsten hält die Doku sich wenig mit Privatem auf und wenn, dann bindet es dies eng an seinen Beruf, etwa im Fall seiner Ehe mit der Regisseurin Rebecca Miller, mit der er in die amerikanische Kulturelite einheiratete. Seine Beziehung zu Isabelle Adjani kommt nicht vor, was sie auch nicht muss, obwohl da zwei Rückzugskünstler aufeinander trafen; wie einst Albert Finney und Anouk Aimée.

Die Dokumentation folgt der Chronologie seiner Karriere, die von Daniel Day-Lewis klug und wortgewandt kommentiert wird. Faszinierend fand ich, wie aus dem schüchternen Interviewpartner der ersten Fernsehauftritte ein souveräner Talkshow-Gast wird, ein begnadeter Kommunikator, der eine enge Verbindung zum Publikum herstellt; nicht zuletzt, indem er es oft zum Lachen bringt. Dank des Erzählprinzips strenger Chronologie wird deutlich, wie unerbittlich seine Karriere von Vielseitigkeit bestimmt wird. Day-Lewis ist der Sonderfall des Charakterdarstellers als Filmstar. Keine Figur, die er für sich und das Publikum ergründen will, ist wie eine andere. Ihm liegen die rabiaten, zürnenden Charaktere ebenso wie die verschlossenen; für Scorsese hat er dies Spektrum mit »Zeit der Unschuld« und »Gangs of New York« ausgemessen. Nur der Arbeitsprozess ist gleich: Seine Charaktere, etwa der Ölsucher in »There will be blood«, der Lincoln in Steven Spielbergs Biopic oder der Modeschöpfer in »Der seidene Faden« entwickelt er ganz aus seinem darstellerischen Material: dem Körper, der Stimme und dem Licht, in das sie getaucht sind. Die Anstrengung darf sichtbar sein, aber sie ist das Unterpfand der Glaubwürdigkeit. Mit jeder Rolle setzt er seiner Kunst ein Denkmal. Falls »Der seidene Faden«, der heute zum Auftakt des Day-Lewis-Abends läuft, wirklich sein endgültiger Abschied vom Kino sein sollte, wäre er die Krönung seines Werks: das (Selbst-) Portrait eines Künstlers, der besessen ist vom Handwerk der Schönheit.

In Paul Thomas Andersons Film erlebt er die rätselhafteste aller Liebesgeschichten. Ich mag den Originaltitel »The Phantom Thread« lieber, aber der deutsche greift einen Faden auf, der ihm bereits früher einmal zur Metapher seiner Arbeitsweise geriet. Auch da spielt Seide eine zentrale Rolle. In »Der letzte Mohikaner« muss er die Verfolger des Boten ins Visier nehmen, der Hilfe für das belagerte Fort Henry holen soll. Er stopft, unter dem bewundernden Blick von Uncas und den britischen Soldaten, die Kugel mit einem Stück Seiden in den Lauf seiner Flinte. So kann er noch 40 Yards weiter schießen. Sie ist für den letzten überlebenden Gegner bestimmt, der inzwischen am weitesten vom Fort entfernt ist. Im Drehbuch, wo ich die Szene gestern Abend nachlas, ist sie etwas anders. Day-Lewis hat sie beim Dreh sacht verwandelt und sich nachdrücklich zu eigen gemacht. Im Buch war es noch ein Faden Baumwolle, den er aus Cora Munros Kleid gerissen hatte. Und hinter dem "Another 40 yards" stand ein Fragezeichen. Aber im fertigen Film ist er sich seiner Sache ganz sicher.

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