Läuterung

Der 18. Oktober 1973, an dem »Die Abenteuer des Rabbi Jacob« in Frankreich anlief, sollte zu einem schwarzen Tag für Georges Cravenne, den Presseagenten des Films werden. Seine Frau Danielle entführte frühmorgens eine Maschine der Air France. Sie hatte sich mit einer Pistole Kaliber 22 bewaffnet, um drei Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Zunächst sollte der Start des Films abgesagt werden, sodann wollte sie nach Kairo ausgeflogen werden und verlangte schließlich einen Stopp des Straßenverkehrs in Frankreich für 24 Stunden. Bei einer Zwischenlandung in Marseille wurde sie von einer Sondereinheit der Polizei erschossen, die sich als Wartungsarbeiter getarnt hatte. Madame Cravenne hielt den von ihrem Mann betreuten Film für anti-palästinensische Propaganda. Ihre Mission scheiterte auf ganzer Linie. Während auf den Golanhöhen der Jom-Kippur-Krieg tobte, eroberte das Louis-de-Funès-Vehikel die französischen Kinos und erreichte am Ende mehr als sieben Millionen Zuschauer. Es wurde als Plädoyer für Toleranz gefeiert.

Der Komiker erklärte, die Rolle des bigotten Industriellen Victor Pivert (im Deutschen: Buntspecht) habe seine Seele von allen rassistischen Anflügen gereinigt. Im Dezember 2012 nahm ein französischer Privatsender »Die Abenteuer des Rabbi Jacob« kurzfristig als Verbeugung vor dem Arabischen Frühling ins Programm. Die von Gérard Oury inszenierte Verwechslungskomödie spießt mit folkloristischer Verve den alltäglichen Rassismus des Bürgertums und den Opportunismus der französischen Außenpolitik auf. Kinogängern wird seinerzeit nicht entgangen sein, dass sie die Entführung des marokkanischen Oppositionspolitikers Ben Barka an deren Originalschauplätzen nachstellt.

Seither ist der Film zur Blaupause für Integrationskomödien geworden. »Monsieur Claude und seine Töchter« jedenfalls nimmt bei dem Katalog der multikulturellen Zumutungen dreiste Anleihen. Vollends missverstanden hat Danielle Cravenne »Rabbi Jacob« gleichwohl nicht. Ein Moratorium des Straßenverkehrs war bestimmt im Sinne Victor Piverts, der eingangs zeternd in einem Stau feststeckt und sich von ausländischen Autokennzeichen umzingelt sieht.

Louis de Funès' Leinwandgattin Suzy Delair, die im März im seligen Alter von 102 Jahren starb, war nicht nur auf der Leinwand (»Du hast einen jüdischen Chauffeur?«) eine der unentwegten Antisemitinnen des französischen Kinos, sondern auch privat. Die Nachkriegsdelle in ihrer Karriere erklärte sie damit, dass "sie" (damit meinte sie die während der deutschen Besatzung vertriebenen Produzenten) wieder zurückkamen. Mit seinen Partnerinnen verstand sich der komische Tyrann nicht immer blendend. Für ihn sollte „»Rabbi Jacob« eine Wasserscheide seines Werks sein. Von nun an war seine Figur zur Läuterung fähig. Sie musste sich dem ethnischen und demografischen Wandel der Gesellschaft fügen. Ihre Unverbesserlichkeit konnte nicht mehr triumphieren. Georges Cravenne wandte sich ebenfalls neuen Aufgaben zu. Zwei Jahre später gründete der Witwer die französische Filmakademie, die seitdem die Césars vergibt. Wie die Turbulenzen dieses Februars zeigten, musste auch sie lernen, mit der Zeit zu gehen.

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